Henryk Goldberg hat einen Intellektuellen gesehen:

Ein kluger Mann, keine Frage. Ein scharf denkender Intellektueller, ohne Zweifel. Das war zu bemerken im Bundestag, das war zu bemerken in Erfurt, als es um die Unverhandelbarkeit der ökumenischen Träume ging, um das Lebensglück von glaubenden Menschen, die sich der allein selig machenden Mutter Kirche unterzuordnen haben.

Bei diesen Reden war der Mensch unverstellt vom Ritus, unmaskiert von der Liturgie. Und da fiel ins Auge, was zugleich Faszination und Problematik dieses Amtes ausmacht: Durch das Votum der Kardinäle erhält ein Mensch ein Amt, das in der Tat nicht mehr von dieser Welt scheint. Der weiße Rauch verkündet die Weitergabe von Vollmachten an einen Menschen, wie sie sonst keinem Menschen mehr übertragen werden in dieser Welt. Ein absoluter Herrscher der Moral, ein Herrscher, der nicht fehlen kann, fehlen können nur die, die ihm nicht folgen.

Dieses Amt, das seine Legitimation von Jesus Christus herleitet, das Geschichte repräsentiert wie kein anderes, fasziniert in unserer Zeit der Beliebigkeit durch seine Kontinuität, durch seine Unberührbarkeit, durch eine trotzige Würde, die 2000 Jahre alt ist. Und genau das ist auch sein Problem, denn vielen erscheint eine solche über-menschliche Erhöhung als das Relikt einer vergangenen Zeit. Irgendwann wird es einen Papst geben, der sich der Zeit nicht mehr entziehen kann.

Henryk Goldberg in Thüringer Allgemeine, 27.09.2011