Hochqualifiziert, flexibel und arm – künstlerische Arbeit und gesellschaftliche Anerkennung heute

Über die „Verkünstlerung“ ganz normaler Arbeit und die „Verwirtschaftlichung“ des Künstlerbildes

1.

Ich möchte als Erstes über das Image Berlins als Kulturhauptstadt Deutschlands sprechen. Der Berlin-Tourismus boomt, der Regierende Bürgermeister Wowereit möchte Berlin zur „Top-Adresse für Kreative“ machen. Dabei hat er natürlich seine Hintergedanken: Kreativität gilt als Motor für die Infrastruktur und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Deshalb die vielzitierte Rede von der „Kreativ-Wirtschaft“. Geworben wird mit einer vielfältigen Museenlandschaft, renommierten Theatern, drei Opernhäusern, zahllosen Galerien und einer international bekannten und vernetzten freien Kunstszene. Verbunden mit niedrigen Lebenshaltungskosten zieht diese Vielfalt Künstler und Kreative aus aller Welt an. Von Quartier zu Quartier zieht eine disperate Gruppe von Laptop-Artisten mit ihren Ladengeschäften und Bürogemeinschaften. Sie alle tragen ihre Individualität zu Markte, doch was sie eint, ist eine Attitüde: Sie sind jung, innovativ, flexibel, eigenverantwortlich und kreativ. Vor sich haben sie ein vages Erfolgsversprechen – und die noch unerschlossenen Sanierungsgebiete der Stadt. Hinter ihnen liegen die durch ihre Präsenz hip gewordenen Viertel, deren steigende Mieten sie nicht mehr zahlen können.

2.

Doch was ist hier Image und was Realität? Gern werden an dieser Stelle Zahlen aus dem aktuellen kulturwirtschaftlichen Bericht des Berliner Senats genannt: Rund 13% der Berliner Wirtschaftsleistung werden von der Kreativ-Wirtschaft erzielt, 22.900 Unternehmen machten hier 2006 einen Umsatz von 17,5 Milliarden Euro. Das hört sich nicht schlecht an. Schaut man aber genauer hin, ist das Spektrum, welches unter dem Begriff Kreativ-Wirtschaft gefasst wird, sehr weit. Kreativ ist hier nicht allein der Kunstschaffende ( von dem ich im Folgenden spreche ). Kreativ ist vielmehr fast jeder – vom Buchmarkt über die Medien-, Film- und Modebranche bis hin zum Werbegrafiker und Softwareentwickler. Fragt man explizit nach in den Kernbereichen der Kultur, d.h. bei Bildender Kunst, Musik, Tanz, Schauspiel und Literatur, hört man völlig andere Zahlen.

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Was einst als Ort des symbolischen Kapitals galt,

ist nun zu einer Kampfstätte neoliberalen Konkurrenzgehabes geworden,

in der Erfolg rein quantitativ gemessen wird.

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Im Jahre 2006 verdienten nur 6.500 der 140.000 bei der Künstlersozialkasse Versicherten mehr als 30.000 Euro im Jahr  – das sind weniger als 5%. Zunehmende Etatkürzungen in den Theatern lassen die Gagen von Tänzern und Schauspielern sinken. Selbst die international renommiertesten Jazz-Clubs  Berlins zahlen keine Fest-Gagen mehr. Weite Teile des Berliner Kulturbetriebes bilden nach wie vor ein Low-Budget-System, in das zwar viele Menschen viel Arbeit, Lebenszeit und Engagement stecken, aus dem aber vergleichsweise wenige einen entsprechenden Verdienst beziehen – von festen, angemessen bezahlten Arbeitsplätzen gar nicht zu reden. Wie also ist Berlin zu seinem Ruf als Kulturhauptstadt gekommen? Ein entscheidender Faktor war der in den 90er Jahren vorhandene Wohnungsleerstand und die große Verfügbarkeit freier Räume zu extrem billigen Mieten. Wenn man so will, war der größte Kunstförderer in dieser Zeit die Immobilienwirtschaft. Die heutige Investorenpolitik zerstört gewachsene Strukturen, ihre Verwertungsmentalität führt lebendige Vierteln zurück in luxussanierte Ödnis. Um das Flair Berlins zu Erhalten braucht es aber billige Ateliers und niedrige Mieten und neben ambitionierter Kulturpolitik eine gesellschaftliche Verantwortung, welche sich am besten in der alten Idee des Mäzenatentums ausdrückt. Stattdessen kursiert das Schlagwort vom „Kreativ-Ghetto“ und das Paradox, dass diejenigen, die das eigenverantwortliche, individuelle Arbeiten geradezu verkörpern, eben nicht frei sind. Vielmehr stehen sie unter dem Zwang, unablässig kreativ sein zu müssen. Der Kulturbetrieb und die verschiedenen Kunstszenen, wo man von Projekt zu Projekt lebt, sind geprägt von einem enormen Druck: Nicht dem alltäglichen Druck, zu arbeiten, um genügend Geld zum Leben zu verdienen. Sondern dem Druck, in kürzester Zeit genügend Geld zum Leben und zum eigentlichen, d.h. künstlerischen Arbeiten zu verdienen. Welcher Künstler hat heute noch Zeit, gründlich an einem Werk zu arbeiten? Welche Konsequenzen hat das für die Qualität künstlerischer Werke? Kreativ arbeiten kann jeder – am besten aber sollte er jung, belastbar und kinderlos sein. Hilfreich sind auch eine Herkunft aus reichem Hause und ein Hang zur Selbstausbeutung.

3.

Es scheint an der Zeit die Frage zu stellen, wie die Kunst überhaupt zur Kreativwirtschaft geworden ist und der Künstler zum gesellschaftlichen Rollenmodell? Meiner Ansicht nach beruht das auf einer fatalen Bedeutungsverschiebung: Kreativ heißt heute das, was ökonomischen Mehrwert und Wachstum schafft. Was Kreativität eigentlich ist, und warum Kreativität so wertvoll ist, haben wir schon fast vergessen. Eigenschaften wie z.B. innovativ, flexibel, eigenverantwortlich und schöpferisch zu sein werden vom Kunstbereich in den Arbeitsbegriff der herkömmlichen Wirtschaft übertragen. Denn dort werden tradierte Strukturen aufgelöst, man arbeitet heute in Teams und projektbezogen, der Einzelne trägt mehr Eigenverantwortung und Arbeitsverträge sind zeitlich befristet. Aus dem Arbeitnehmer wird ein Arbeitskraftunternehmer nach dem Vorbild des Künstlers. Eine Art Leitbild entsteht: Alle sollen heute kreativ sein, und das erscheint dann wert- und sinnvoll. Tatsächlich aber geht es um die Art und Weise, wie Arbeit definiert wird, und in der Folge dann darum, zu welchen Sozialleistungen wir noch bereit sind. Die Forderung, fit für den Wettbewerb zu sein und die persönliche Verantwortung für den beruflichen Erfolg und damit auch das eigene Scheitern zu übernehmen, geht einher mit einem Abbau der Sozialleistungen. Der Traum von Freiheit, Selbstverwirklichung und Individualität, welcher mit dem Bild des Künstlers verbunden wird, verdeckt die realen Konsequenzen: Ein Künstler ist in der Regel nicht sozial abgesichert, er hat weder feste Arbeitszeiten, noch bezahlte Urlaubs- oder Krankentage, es gibt keine Mindestlöhne oder Überstunden und eine Trennung zwischen Arbeit und Privatleben ist nicht vorhanden. Für das Künstlerbild ist dies nun sozusagen rückwirkend doppelt fatal. Denn mit dieser „Verkünstlerung“ ganz normaler Arbeit einher geht eine „Verwirtschaftlichung“ des Künstlerbilds. Welches dann wiederum natürlich auf „richtige“ Künstler angewendet wird. Künstler sind heute Mikro-Unternehmer, die marktorientierte Produkte schaffen sollen. Schmückt sich auf der einen Seite also die Wirtschaft mit Begriffen wie Innovation und Kreativität, so wird die Kunstproduktion auf der anderen Seite ökonomisiert.

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Kreativ heißt heute das, was ökonomischen

Mehrwert und Wachstum schafft.

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Was einst als Ort des symbolischen Kapitals galt, ist nun zu einer Kampfstätte neoliberalen Konkurrenzgehabes geworden, in der Erfolg rein quantitativ gemessen wird. Maßstab sind Kriterien, die aus einem wirtschaftlichen Kontext stammen: Leistung und Effizienz, oder direkt quantitative ökonomische Kriterien wie der erzielte Preis. Werkspezifische und ästhetische Beurteilungskriterien spielen in dieser Erfolgsauffassung nur eine untergeordnete Rolle, ausgespart bleiben auch die durch ein Werk erreichte Anerkennung und das subjektive Empfinden künstlerischen Gelingens.

4.

Wie kommt nun der Erfolg der Kreativen zustande und was macht ihn aus? Ist ein ökonomisierter Erfolgsbegriff auf Kunstproduktion überhaupt sinnvoll anwendbar und wollen wir Erfolg in der Kunst wirklich auf Verkaufs- oder Besucherzahlen reduzieren? Bemisst sich der Wert eines Kunstschaffens tatsächlich nur daran, ob es sich wirtschaftlich lohnt? Ein solches Denken verstellt den Blick auf die wirklichen Verhältnisse. Ein Großteil der Kunstschaffenden ist einem breitem Publikum völlig unbekannt und ökonomisch nicht erfolgreich. Sie arbeiten aus einer individuellen Motivation heraus und sind künstlerisch tätig, weil genau das ihre Person und ihr Leben ausmacht. Das Gelingen eines Kunstwerkes hat für sie nichts mit der jeweiligen Marktsituation zu tun. Ihr künstlerischer Erfolg drückt sich nicht im erzielten Preis aus. Diese Menschen sind nicht nur unabdingbar für die Entwicklung der Kunst; vielmehr machen sie überhaupt erst aus, was unter Kunst verstanden wird. Denn in der Welt der Kunst geht es nicht primär um Verkäuflichkeit, sondern um Gelingen und Anerkennung. Ohne diese Basis, von der aus es einige, wenige in die Biennalen, documenta-Ausstellungen oder hochpreisigen Sphären des Marktes schaffen, gäbe es streng genommen gar keinen Erfolg. Provokant gesagt: für den Erfolg einiger weniger, muss es eine Menge „schlechter“ Künstler geben. Und weil das so ist, bedarf es einer adäquaten Förderung genau dieser „Masse“. Verzichtet die Kulturpolitik darauf, Künstlern lebbare Strukturen, Räume und Auskommen zu ermöglichen, beraubt sich die Gesellschaft im Endeffekt auch all derjenigen großen Werke, mit denen sich sogenannten „Kulturnationen“ so gerne schmücken. Die entscheidende Frage ist doch eigentlich: Warum muss sich Kunst heute rechtfertigen? Kunst ist ein existentielles Bedürfnis des Menschen, von der Höhlenmalerei bis heute haben Menschen ihr Sein künstlerisch reflektiert, wie sonst sind die Hallen der Museen zu ihren Exponaten gekommen? Für eine funktionierende Gesellschaft ist Kunst etwas notwendiges. Zu rechtfertigen ist die Haltung, welche Kunst unter marktwirtschaftlichen oder rein ökonomischen Bedingungen betrachtet. Was für eine Geisteshaltung drückt sich hierin aus? Der kürzlich verstorbenen britische Historiker Tony Judt beklagt in seinem letzten Werk – Ill Fares the Land, eine Art Manifest für die Sozialdemokratie der Zukunft – die Ökonomisierung des politischen Diskurses. Er schreibt: „Etwas ist grundlegend falsch an unserer heutigen Lebensweise. In den letzten 30 Jahren haben wir eine Tugend daraus gemacht, unsere materiellen Eigeninteressen zu verfolgen. (…)  Wir wissen, was die Dinge kosten, aber wir haben keine Ahnung mehr, was sie wert sind.“ Judt warnt vor den fatalen Folgen dieses Denkens. Sie lassen sich nur vermeiden, mahnt er, wenn wir wieder lernen, Kosten nicht nur nach ökonomischen, sondern auch nach sozialen, an der Umwelt orientierten, humanitären, ästhetischen und kulturellen Maßstäben zu messen. Das gilt auch und gerade für die Kunst. Eine Gesellschaft, die vergisst, dass Kultur, Kunst und Wissen Bereiche sind, in denen die essentiellen Kosten und Werte immaterieller Natur sind, wird letztendlich einen zu hohen Preis dafür zahlen.

5.

Dieser kurze Überblick wirft eine Reihe von Fragen auf, die wir in Ansätzen in der anschließenden Diskussion zu beantworten suchen.

1. Wie kommt man zu einer notwendigen Rückbesinnung auf die eigentliche Bedeutung künstlerischer Arbeit und ihrer gesellschaftlichen Relevanz?

2. Welche Lösungen sind denkbar, um den Druck aus dem Kunstbetrieb zu nehmen und adäquates künstlerisches Arbeiten zu ermöglichen?

3. Wie bricht man die Dominanz der Massenmedien und stärkt die kulturelle Bildung?

4. Ist Investition statt Rückzug eine Möglichkeit, Stärkung struktureller Rahmenbedingungen künstlerischer Arbeit statt Abbau des sogenannten Wohlfahrtsstaates?

5. Wie könnte eine adäquate Förderung von Künstlern aussehen und wer soll gefördert werden? Welche Fördermodelle und Kriterien finden sich im europäischen Vergleich?

6. Ist ein Grundeinkommen eine Lösung?

 

Vortrag von Imke Elliesen-Kliefoth

Kunst, Kritik und Kommerz im politischen Diskurs

Eine Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 30.11.2010

Bild: Der arme Poet (Carl Spitzweg, 1839), Neue Pinakothek