Ausstellungen von Memed Erdener und Ahmet Öğüt in den Berliner Galerien Zilberman und KOW bringen das Dilemma nicht nur der türkischen Polit-Kunst auf den Punkt.

Siegt am Ende doch immer die Diktatur? Oder bleiben noch Möglichkeiten zum Widerstand gegen Populismus, Rechtsdrift und Unterdrückung? Seit dem Sieg Donald Trumps treibt diese Frage Künstler auf der ganzen Welt um. Wie stark sie schon immer den genetischen Code der Gegenwartskunst aus der Türkei ausmacht, demonstrieren derzeit zwei Ausstellungen.

Eine Antwort liefert Memed Erdener. Man darf sich von der Mixtur aus surrealistischer Verschlüsselung und altmeisterlichem Gestus seiner Ölbilder nicht ablenken lassen. Wer genau hinschaut, erkennt die politische Brisanz.

Der verkrüppelte Fuß, den auf dem Bild „Conclusion and then Rationalization“ eine schwarz behandschuhte Hand schwingt, die aus einem gelben Bulldozer ragt, ist ein deutliches Symbol: Die Maschinerie der Macht walzt alles nieder, was sich ihr in den Weg stellt. Selbst das Gesetzbuch liegt auf dem Kühler in ledernen Ketten.

Memed Erdener ist das, was man gemeinhin eine Künstlerlegende nennt. Der 1970 geborene Istanbuler wurde berühmt mit seinen Comics für die avantgardistische Karikatur-Zeitschrift „Deli“. 1997 gründete er das Projekt mit dem bezeichnenden Titel „Extramücadele/Extrastruggle“.

So wie der gelernte Grafikdesigner da mit Hilfe des Vokabulars des Corporate Design die visuellen Codes von Staat und Nation in seiner Heimat dekonstruierte, hat er türkische Kunstgeschichte geschrieben. Vom Gebrauchs- strebt er nun zum Ewigkeitswert, diesmal unter seinem Klarnamen.

Erdener inszeniert seine Wende vom subversiven grafischen Kürzel zur expressiven Klassik mit pastosem Überschwang. Das kleidet den Abscheu vor der Intransigenz der Macht freilich in eine seltsame Erhabenheit. An der auch der SM-Appeal der Bilder nichts ändern kann, mit dem er die Körper der Macht zu obszönen Fratzen entstellt.

Wege aus diesem Repressionskomplex deutet Erdener nicht an. In seinem erstmals publizierten Langgedicht „Schönheit des Fanatismus“, das der Ausstellung den Titel gegeben hat, schlägt er alle türkischen Herrscher, vom ersten Osmanen bis zu Recep Tayyip Erdoğan über ein und denselben Leisten.

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AHMET ÖĞÜT: While others attack. 2016, Bronze, Granit, Photo: Ladislav Zajac | KOW

Elf Jahre nur trennen Erdener von seinem Landsmann Ahmet Öğüt. Der ästhetische Tausendsassa, Jahrgang 1981, lebt heute in Berlin und Amsterdam. Wie ein Komet zieht der ewig gut gelaunte Protagonist einer multimedial ausgefransten Konzeptkunst derzeit seine Bahn durch die Kunsthallen der Welt, ein Feuerwerk der Ideen versprühend.

Wie Erdener macht sich auch das rasende Partykid Öğüt keine Illusionen über die Macht. Schließlich kommt er aus dem kurdischen Diyarbakir. Besucher seiner unmissverständlich „Hotel Résistance“ übertitelten Ausstellung bei KOW in Berlin-Mitte, müssen sich, um ins Kellergeschoß zu gelangen, durch zwei Plastikschilde der Polizei zwängen.

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AHMET ÖĞÜT: The Swinging Doors. 2009, German Edition. Original Schutzschilde. Photo: Ladislav Zajac | KOW

Ögut will die Sphäre der Macht aber nüchtern durchleuchten. Etwa, wenn er in einem Video einzelne Occupy-Demonstranten im New Yorker Zuccotti-Park mit seinem Zeigefinger markiert und so die Observationstechniken des FBI nachahmt. Und die Schau wimmelt nur so von Beispielen, ihre Techniken zu unterlaufen.

Die Laser-Pointer, mit denen die Protagonisten des „Arabischen Frühlings“ in Kairo Militärhubschrauber lahmlegten, hat er wie Luxury-Goods in einer exklusiven Schatulle präsentiert. Eine Ausstellung vor drei Jahren nannte der Künstler programmatisch „Apparatuses of Subversion“.  

Zwei Ausstellungen, ein Motiv: „Hand of the state“ heißt eine Arbeit Erdeners, wo eine klobige Hand mit phallischen Fingern aus einem Anzugärmel nach unten drückt. Es ist dieselbe, unsichtbare Hand, die an einem von Öğüts unbekannten Helden des Widerstands aus Bronze zerrt. Beide Künstler träumen von demselben Land von Gerechtigkeit und Freiheit. Und doch könnte ihr Ansatz nicht unterschiedlicher ausfallen: Fundamentalanklage hier, kaltblütig gewitzte Analyse dort.

Mit den erstklassig kuratierten Schauen unterstreichen Zilberman und KOW ihren Anspruch als zwei der ambitioniertesten Programmgalerien. Sie demonstrieren auch, wie sehr Berlin zum Schauplatz der türkischen Kunst-Diaspora und des Dilemma geworden ist, in dem die politische Ästhetik derzeit überall auf der Welt steckt: Zwischen Fatalismus und Widerstand.

Ingo Arend | Tagesspiegel 13.01.2018

Foto ganz oben: Memed Erdener: Hand of the State, 2017. Ölkreide auf Papier. Courtesy: Galerie Zilberman (Foto: Galerie Zilberman)

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Galerie Zilberman | www.zilbermangallery.com 

Berlin | Goethestraße 82

bis 27.01.2018 | Die – Sa: 11 – 19 Uhr

KOW Galeriewww.kow-berlin.info/texts/home

Berlin | Brunnenstraße 9

bis 28.01.2018 | Mi – So, 12 – 18 Uhr