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2012 (Roland Emmerich, 2009)

Bilder vom Untergang 

Und wie ist das jetzt mit der Rettung unseres Heimatplaneten, kommt da noch was? Ach so, die Erde – nein, das war’s. Die interessanteste Wendung in M. Night Shyamalans postkatastrophalem Sciencefiction „After Earth“, in dem Hollywoodstar Will Smith und sein Sohn Jaden eine Mischung aus patriarchaler Angsttherapie und Videospiel-Bootcamp mit Endgegner und Abschlussprüfung durchspielen, ist vielleicht das abrupte Ende. Vater und Sohn haben ihren Raumschiffabsturz auf die inzwischen unbewohnbare Erde überstanden. Doch während im Rettungs-Shuttle das ehedem gestörte Familienverhältnis melodramatisch-militärisch geheilt werden darf („Ich steh vor dir stramm, mein Sohn!“), hat der Film überhaupt kein Interesse mehr an seinem dritten Protagonisten. Die Erde, auf der 1.000 Jahre nach ihrem Kollaps „alles dazu mutiert ist, Menschen zu töten“ wird einfach zurückgelassen; nicht der kleinste Hoffnungsschimmer, dass sich auch dieses Problem vielleicht noch mal lösen ließe.

Damit steht „After Earth“ in einer Traditionslinie, die seit einigen Jahren die Untergangsszenarien des populären Kinos prägt. Die gegenwärtige Aufmerksamkeit und PR-Kampagne für die Welle von Katastrophen- und Endzeitfilmen dieses Sommers mit u.a. „After Earth“, „Oblivion“ und „World War Z“ sollten nicht über Zusammenhänge hinwegtäuschen, die etwas weit reichender und älter sind. Seit 2007 boomt der Katastrophenfilm in diversen Spielformen und auf unterschiedlichen Märkten. Seine dominanten Fiktionen in Richtung totaler Bedrohung ohne Erlösung wirken nicht nur ebenfalls in der Popmusik und einigen Top Ten Hits der letzten Jahre wie Britney Spears’ Till the World Ends (2011) oder Adeles Skyfall (2012). Sie stehen auch in einer bemerkenswerten Beziehung zum Diskurs der internationalen Schulden- und Finanzkrise, die bis heute als Krise und Scheitern des Kapitalismus verhandelt wird.

Die Zukunft endet jetzt

Desaster und Schaulust sind seit jeher miteinander verbunden und Katastrophenfilme so alt wie das Kino selbst. Die gegenwärtige Hochzeit von Untergangsspektakeln und Endzeitvisionen unterscheidet sich jedoch in einigen Punkten deutlich von der letzten großen Dekade des Katastrophenfilms. In den 1970er Jahren entwarfen Hollywoodfilme wie „Erdbeben“ (1974), und die vierteilige „Airport“-Reihe (1970-79) ein bewährtes Bedrohungsszenario: Örtlich begrenzte Gefahren (ein Flugzeug droht abzustürzen, ein untergehendes Schiff hat Überlebende eingeschlossen, ein Erdbeben erschüttert Los Angeles usw.) formen eine Gemeinschaft, die zum Schluss – wenn auch dezimiert – überleben darf, weil das Schlimmste noch so eben abgewendet werden kann. Hier war Hilfe noch bombensicher und oft in Gestalt des schwergängigen Charlton Heston abrufbar, der vor lauter Zähnezusammenbeißen kaum zu Dialogen kam.

Für einen Heston-Nachfolger ist in der gegenwärtigen Katastrophenfilmwelle kein Bedarf, die nicht nur aus Blockbustern von Roland Emmerichs „2012“ (2009) bis „World War Z“, sondern auch aus TV- und Arthouse-Filmen wie „Melancholie“ (2011), „Auf der Suche nach einem Freund fürs Ende der Welt“ (2012) und „Das ist das Ende“ (2013) besteht. Die Tonfälle variieren zwischen Untergangs-Thriller, Dystopie, Romantik und Komödie.

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The Happening (M. Night Shyamalan, 2008)

Ob nun der gesamte Planet Erde dank größerem Weltraumgeschehens dem Untergang geweiht ist oder es nur den Fortbestand der Menschheit trifft: Geeint sind die Katastrophen darin, dass sie einerseits global sind und andererseits erstaunlich häufig kein Happy End kennen. Während die 1970er-Desaster regelmäßig auf einzelne Orte und vor allem Fortbewegungsmittel beschränkt blieben, betrifft die aktuelle Kinokatastrophe immer wieder den ganzen Planeten. Und sie geschieht tatsächlich: Asteroiden führen den Weltuntergang herbei, die Erde verbrennt dank Sonneneruption, der Verfall allen irdischen Lebens setzt ein, Zombies greifen nach der Weltherrschaft, die Menschheit verliert ihre Sinne oder stirbt, wie in „The Happening“ (2008), am Psycho-Gift wehrhafter Pflanzen – Fleuropokalypse now.

Gelduntergang: Stürme und Beben

Die Wechselwirkungen zwischen Inszenierungen der Popkultur und weiteren politischen und sozioökonomischen Entwicklungen sind zu komplex, um sie auf einfache Antworten zu reduzieren. Zu stark bedingen sich Medien und Politiken gegenseitig. Gleichwohl lassen sich hier bei aller Vorsicht bestimmte Vorstellungen und Argumentationsfiguren wiederentdecken: dominante Fiktionen, die jene seit 2007 zunehmenden, globalen und so häufig unaufhaltbaren Filmniedergängen mit den Bildern verbinden, die zeitgleich den Diskurs zur internationalen Finanzkrise prägen.

Katastrophenbilder zu bemühen, die auch vom populären Kino verbreitet worden sind, ist ein wiederkehrendes Mittel der Veranschaulichung und Evidenzpolitik in diesem Diskurs. Exemplarisch hat der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Dennis Snower, seine Analyse der Finanzkrise im Jahr 2010 mit Motiven des Emmerich-Films „2012“ illustriert. Jan Pieter Krahnen, Frankfurter Professor für Kreditwirtschaft und Finanzierung, wählte 2011 das Airport-Bild vom Flugzeug, bei dem die Messgeräte ausfallen. Internationale Kommentare von BBC und Handelsblatt bis zur New York Times machen seit „2011“ den Begriff „Eurogeddon” stark.

Diese Anspielung auf die endzeitliche Vorstellung der christlichen Offenbarungslehre bezeugt die Vorliebe der Bildpolitik zur Finanzkrise, auf Vollständigkeit zu setzen. Szenarien totaler Katastrophen werden entworfen, die auch aus Titelbildern wie „Geht die Welt bankrott?” (Der Spiegel vom 8.8.2011), „Wie die Krise uns alle trifft” (Stern vom 3.3.2009), „Be afraid” (The Economist vom 7.10.2011), „Nowhere to hide” (The Economist vom 7.10.2011) und „Gelduntergang” (Der Spiegel vom 22.8.2011) sprechen. Was den Charakter dieser Totaldesaster angeht, überwiegt die Metapher der Naturkatastrophe.

Exemplarisch betont Nouriel Roubinis und Stephen Mihms Sachbuch-Bestseller Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft die Nähe der Wirtschaftskrise zu Wirbelstürmen, die sich „im Grunde vorhersehbar” verhielten. 2008 sprach Vorstandsvorsitzende der Landesbank Baden-Württemberg, Siegfried Jaschinski, davon, man müsse „den Tornado aushalten”, und der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan vom „Kredit-Tsunami”. Zu diesem weit verbreiteten Bild heißt es in Johan Norbergs Buch Financial Fiasco, der „Finanzsturm” habe „mehr Schiffe stranden lassen als jeder natürliche Sturm jemals zuvor”.

Eine andere Variante der Naturkatastrophenanalogie liefert das Erdbeben. Etabliert wurde diese dominante Fiktion, gleich nachdem die Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 Insolvenz beantragt hatte. An diesem Montag kommentierte eine geschockte Londoner Brokerin auf CNN „it’s like a massive earthquake”, was zum Titel eines am selben Tag auf youtube eingestellten Videos mit CNN-Ausschnitten wurde. Bis heute wird der Bankrott als „Lehman-Katastrophe” oder „Lehman-Desaster” bezeichnet und dieser erste Höhepunkt der Finanzkrise als „Lehman-Beben” konturiert. Peer Steinbrück, 2008 Finanzminister der Bundesregierung, brachte 2009 im Spiegel diese symbolpolitische Sicherheit auf den Punkt: „Die Lehman-Entscheidung hatte ein Erdbeben ausgelöst, weltweit”.

Wirtschaft als Natur

Freilich ist diese Rhetorik wesentlich älter als die damit klassifizierten Vorgänge. Der Kultur- und Medienwissenschaftler Ramón Reichert hat in seiner Studie Das Wissen der Börse die Durchsetzung der „meteorologischen Konzeption ökonomischer Prozesse” untersucht, die sich z.B. in der Veröffentlichung des „Harvard-Barometers” seit 1919 ausdrücken. Eine Folge dieser Fiktion ist gerade heute die Bekräftigung der „Physikalisierung der Ökonomie”, dank der die gegenwärtigen Vorstellungen neoklassischer Prägung so natürlich erscheinen wie die Gesetze der Schwerkraft. Ein sprechendes Beispiel der Naturalisierung ökonomischer Fragen liefert die von der Zeit veröffentlichte „Arena Analyse 2012”, die das Aushalten in der Krise mit dem Resilienz-Begriff der Ökologie nahe legt.

Dieses Phänomen, mittels Natur-(Katastrophen-)Analogien ökonomische Lehrsätze ins überzeitliche Recht zu setzen, ist zuletzt nachdrücklich von den Ökonomen André Orléan, Philip Mirowski und Paul Mattick jr. kritisiert worden. Sie konstatieren damit das gegenwärtige „Versagen” bzw. die „Krise” der Wirtschaftswissenschaft oder, wie Mirowski es ausdrückt, der „ökonomischen Erzählung”. Wenn ein ökonomisches System als natürliches Ganzes alternativlos ist, kann keine kritische Position großen Schaden anrichten. Auch dies trägt dazu bei, dass einerseits allenthalben massivste Kritik am Kapitalismus vernehmbar ist, in die sogar Klaus Schwab, Gründer und Executive Chairman des Weltwirtschaftsforums in Davos, einstimmt, andererseits aber die Diskussionen um Alternativen nahezu unsichtbar sind.

Ein hierzu of bemühtes Bild ist der Slogan „Wir sitzen alle im selben Boot”, mit dem z.B. 2012 Bill Clintons Buch zur Finanzkrise Es gibt viel zu tun beworben wurde. Nur vermeintlich banal ist die alle Unterschiede der Notsituationen ignorierende Bootmetapher auch deshalb, weil dieses Krisenbild die Naturalisierung des Ökonomischen fortführt. Außerhalb des Boots/Systems drohen wir zu ertrinken, weil das weite Wasser bekanntlich keine Balken hat.

Verschwörerische Vollständigkeit

Genau hier liegt eine von mehreren Verbindungslinien zum populären Kino seit 2007. Immer wieder wird ein weltweiter, anhaltender Niedergang ohne Zufluchtsorte inszeniert, mit dem zu leben bzw. den zu auszuhalten die gegenwärtige Aufgabe ist. Von außerhalb ist keine Hilfe zu erwarten, weil es kein Außen mehr gibt; keine Alternative, die den Weltuntergang in Filmen wie“ 4:44 Last Day on Earth“ (2011), „Melancholie und Knowing – Die Zukunft endet jetzt“ (2009) stoppen könnte oder in „The Happening“ und „Perfect Sense“ (2011) den Niedergang der Menschheit.

Während im Film diese oft unerklärte Vollständigkeit des Desasters verschwörerische Züge annimmt, wird auch der Finanzkrisendiskurs weiter von einer Vorstellung vollständiger Verstrickung in eine systemische Problematik geprägt, die darauf wartet, ob und wie sie überstanden werden kann. In beiden Fällen unterstützt durch die dominante Fiktion eines Mangels an Überschaubarkeit: Der Katastrophenfilm hat menschliche Kontrolle weitgehend dispensiert, zur Finanzkrise urteilt exemplarisch der Soziologie Ulrich Beck, „wir alle” seien, „in eine Welt katapultiert worden, die niemand mehr versteht”.

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Melancholia (Lars von Trier, 2001)

Auf diese Weise wird die Katastrophe so diffus vereinnahmend wie eine Verschwörung und die bestätigte Krise des Kapitalismus zugleich maximal dringlich und unbestimmt. Es triumphiert konspirative Totalität. Vom Boot aus ist das Meer, in dem es treibt, nicht zu überschauen.

Wir, irgendwie

Die Handlungsunfähigkeit, die daraus so zwingend zu folgen scheint, hat ebenso großes Potential zur angespannten Ruhigstellung in diesen stürmischen Zeiten, wie die Auflösung des vielleicht größten Widerspruchs im Finanzkrisendiskurs: Wie passen die Metaphern der Naturkatastrophen, die eigentlich keine Schuldfrage stellen, zusammen mit den konsequenzlosen Schuldzuweisungen in Richtung gieriger Banken, politischer Deregulierung und des Kapitalismus überhaupt? Eine Antwort gibt der veränderte Status der Naturkatastrophe im Diskurs zum anthropogenen Klimawandel. Hier versteht der Common Sense seit Jahren ein diffuses „irgendwie wir” als Antwort auf die Frage nach den Schuldigen an den zunehmenden Naturkatastrophen.

So löst sich ein Widerspruch, um eine Weltgesellschaft dringlich und unbestimmt in die Pflicht zu nehmen und alert zu halten – ohne die Aussicht auf konkrete Veränderungen. „Wir” haben gelernt, damit zu leben.

 

Jan Distelmeyer, Tagesspiegel 01.09.2013

 

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In den Kommentaren und Bildern zu der seit 2007 anhaltenden Krise des Kapitalismus dominieren Vorstellungen eines Niedergangs, der an Naturkatastrophen erinnert. Gleichzeitig häufen sich Endzeitphantasien in diversen medialen Inszenierungen, und insbesondere der Katastrophenfilm feiert eine spektakuläre Renaissance. Das Buch untersucht die Beziehung zwischen den Untergangsvisionen in der zeitgenössischen Popkultur und den laufenden Debatten zur ökonomischen Krise. Dominante Fiktionen werden dabei auch vor dem Hintergrund der 1970er Jahre analysiert, die nicht nur die letzte Hochzeit des Katastrophenfilms hervorgebracht haben, sondern zugleich eine Blüte der Verschwörungsphantasien. Wie Desaster und Konspiration zusammenfinden, prägt das gegenwärtige Verhältnis der Film- und Ökonomie-Katastrophen. Mit Macht stellt sich dabei die Frage: Ist ein Jenseits des Untergangs vorstellbar?