Ich traf einen alten Mann, der hat eine Leidenschaft. Der sitzt am Tisch mit einer Freude, wie sie fast nur bei Kindern zu beobachten ist: Zwischen Neugier und Gerissenheit. Der kramt klitzekleine Dampfmaschinen aus Streichholzschachteln und schiebt sie mit einem Lächeln im Gesicht über den Küchentisch. Der kämmt das Haar würdig gegen den Strich – die kindliche Freude hat vor dem Ausfall bewahrt: Als Kind hat man ihm einen Baukasten geschenkt. Seit dem baut Franz Demattio. Und wenn kleine Zinkfiguren ein Eigenleben hätten und Fabriken errichteten um industrielle Revolution zu spielen, Demattios Dampfmaschinen könnten bis zu hundertfünfzig Minifabriken mit Energie zu versorgen.

Im Keller seines Hauses befindet sich seine Werkstatt, sein Atelier. Im Fenster der Werkstatt sieht man am Ende einer saftigen Wiese die Gemäuer einer Fabrik. Hier hat er vor sechsundsiebzig Jahren, im Jahre 1934, seine Ausbildung zum Maschinenbauer begonnen, an einer Drehbank – eine Maschine, die dazu dient aus Metallklötzen die feinsten und präzisesten Zahnräder und Schrauben zu schleifen. Eines Tages, es möge Zeit kosten, Jahre, eines Tages, würde er eine eigene Drehbank besitzen und Schrauben und Räder nur noch für seine eigenen Kunstwerke schleifen.

Der Vater Demattio war 1895 mit leeren Taschen, auf der Suche nach Arbeit aus Italien aufgebrochen und über St.Gallen in die schwarzen Wälder gelangt. Von 1916 bis 1918 hatte er mit österreichischem Pass im Ersten Weltkrieg gedient und danach die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt. Die Kinder, die bis dahin schon zur Welt gekommen waren, wurden automatisch im Antrag mit vermerkt. Es dauerte zwei Jahre, bis die Familie 1920 endlich eingebürgert wurde. Allein der kleine Franz, der 1919 geboren wurde, also nach der Antragstellung und vor der Bewilligung, war nun mehr weder Österreicher, noch Deutscher, noch Italiener.

Im Dritten Reich hielt man ihn für deutsch genug, um ihn einzuziehen. So zog Demattio in den Krieg und sah seinen Vater nie wieder. Als er zurückkehrte und 1946 heiraten wollte, befand man ihn allerdings nun doch nicht für deutsch genug und verwehrte ihm die Staatsbürgerurkunde. Es muss seine sympathische Art gewesen sein, die dann eine Neustädter Beamtin dazu bewegte ihn flugs und unauffällig, mit dem Zeigefinger auf den Lippen damit die Kollegen nichts mitbekommen als Deutscher durch zu winken.

Als ausgebildeter Maschinenbauer wurde er im Zweiten Weltkrieg damit beauftragt Flugzeugmotoren zu warten. Bei dieser Arbeit begegnete er seiner großen Liebe. Die Augen leuchteten, kindliche Freude lag im Gesicht, die Finger fasten um die Zylinder wie seiner Zeit auf dem mütterlichen Küchentisch um das Material aus dem Baukasten, da war er: Der Sternmotor. Der Sternmotor befand sich bei den Flugzeugen aus den Vierziger Jahren unmittelbar hinter dem Propeller und sieht in der Tat aus wie ein Stern, der an jedem Fuß einen Zylinder trägt.

Als Franz Demattio, Jahre später in Rente, tagnächtlich an seinen Modellen fräste, Nachbildungen von Maschinen mit schönen Namen wie Galloway oder Steeper, zeichnete, plante und fertigte, erschuf er auch einen Sternmotor. Diesmal aber aus dem Gedächtnis: Ein Modell, das echter ist als sein Original – Kunst eben.

Tüftler, wie er sind es, so sagt Jürgen Holtz, ein engagierter Bewohner Eisenbachs, die dieser Region ihren Charakter gegeben und sie so stark gemacht haben. 1979 war es endlich soweit. Ein Traum ging in Erfüllung. Franz Demattio konnte sich eine eigene Drehbank leisten.

Ich sehe ihm dabei zu, wie er mit der Hand über die wertvolle Drehbank fährt und denke: Die so genannte „zweite Generation“ – die Kinder der Einwanderer – haben in den Kellern der Gesellschaft schon längst an den sozialen Zahnrädern mitgefräst. An den Turmuhren unserer Dörfer und Städte schlägt die Stunde einer neuen Zeit.

Heute mag er alt geworden sein, ein bescheidener Buckel beult aus der blauen Meisterjacke, aber nicht weniger Präzise. In Millimeter großes Jungsilber fräst er Gewinde und Kanten, die unabdingbar sind für die Modelle. Mitunter, sagt er, braucht es bis zu einem Jahr, bevor eine Dampfmaschine fertig gebaut ist. Während er spricht, trägt er das freudige Baukasten-Lächeln derer im Gesicht, die es nie verlernt haben sich zu begeistern.

Text: Deniz Utlu