Snow White an the Huntsman (Bild: Universal Pictures)

Snow White an the Huntsman (Bild: Universal Pictures)

Es ist was los in der Teenie-Unterhaltung: «Snow White and the Huntsman» und «The Hunger Games» propagieren starke, junge, unsentimentale Frauen.

Die große Ingrid Bergman hatte zeit ihres Lebens die gleiche Traumrolle: Jeanne d’Arc. Die Jungfrau, die noch als Teenager das französische Heer in eine Schlacht gegen die Engländer führte und siegte. Und die für dieses unglaubliche Ereignis mit 19 Jahren als Hexe verbrannt wurde. Ingrid Bergman kämpfte lange, bis sie die unnachgiebige Kriegerin, die unbeugsame Christin, die unbeirrbare Jungpolitikerin endlich spielen durfte, und dann ließ sie sie nicht mehr los, spielte sie im Theater, im Film und auf der Opernbühne, mal konventionell, mal schon fast postmodern. Jeanne d’Arc war Ingrid Bergmans großer Sieg, ihre Emanzipation von allen Frauenbildern, die ihr beruflich wie privat jahrzehntelang angetan worden waren. Jeanne d’Arc war ihr ein Grundbedürfnis.

Bergmans Verkörperungen der Jeanne d’Arc gehörten samt und sonders in den Bereich der hochkulturellen Erwachsenenunterhaltung, aber es gab sie damals ja auch noch nicht, die bombastischen Kino-Events für sehr junge Menschen. Heute wäre das Zielpublikum einer Jeanne d’Arc klar: Es wären die gleichen Mädchen und jungen Frauen, die gerade «The Hunger Games» verschlingen und ab morgen auch noch «Snow White and the Huntsman». Kinogängerinnen also, die sich nicht vor Gewalt fürchten und die schon reichlich Fantasy-gestählt sind, Töchter, die recht desillusioniert in eine stahlgraue Zukunft blicken und deren Glaube an den romantischen Kitsch schon längst dem Willen zur Coolness gewichen ist. Und die nichts dagegen einzuwenden haben, wenn sich ihre neuen Heldinnen in der Liebe zwar nicht so richtig, an einer politischen Schlüsselstelle aber für den radikalen Kampf gegen alle Autoritäten und für eine demokratische statt eine diktatorische Weltordnung entscheiden.

Beide können töten, töten, töten

Die Tribute von Panem (Bild: Studiocanal)

Die Tribute von Panem (Bild: Studiocanal)

In «The Hunger Games» ist es die brutale Mediokratie eines kriegsgeborenen Staates namens Panem, die es zu regulieren gilt, in «Snow White and the Huntsman» ist es die ebenfalls kriegsgeborene Diktatur einer bösen, absolutistischen Königin (Charlize Theron, die ja immer schon gut böse Frauen spielen konnte), die ihrerseits unter dem Diktat des absoluten Schönheitskults steht. Und weil man offenbar in einem Film, in dem die Vampir-Braut Kristen Stewart (als Snow White) mitspielt, einfach nicht auf ein Vampir-Zitat verzichten kann, besteht die Schönheitskur der Königin eben darin, attraktiven jungen Frauen nicht das Blut, sondern die Schönheit auszusaugen. Was in der weiblichen Bevölkerung ihres geplagten Reiches unter anderem zu prophylaktischen und epidemischen Akten der Selbstzerstümmelung führt.

Aber es geht hier nicht um das in beiden Filmen schillernde Böse, nein, es geht um Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) aus «The Hunger Games» und um Snow White. In ihrer Grundstruktur sind sie sich ähnlich: Beiden zerstören ein Krieg oder seine Folgen ganz oder teilweise die Familien. Katniss wächst im Slum, Snow White im Kerker auf. Beide beherrschen archaische Methoden der Selbstverteidigung. Beide kämpfen in einer feindselig präparierten Natur ums Überleben, bei Katniss ist es die Waldarena einer Realityshow, bei Snow White der grimme Märchenwald. Beide können töten, töten, töten, und es liegen viele befriedigende Adrenalinkicks in so einer erfolgreich gehandhabten Kampfhandlung.

Vor allem aber mögen sich beide – bei wachsender Kraft und Macht – einfach nicht zwischen zwei Männern entscheiden, Schneewittchens pflichtbestimmtem Prinzen kommt ein proletarisch-sinnlicher Jäger ganz gehörig in die Quere. Kristen Stewart kennt das Problem der Vielmännerei ja bereits aus «Twilight», und auch in Cannes sorgte sie in «On the Road» gerade mit einer Gruppensex-Szene mit zwei Herren für Furore, es scheint dies definitiv ein neuer Trend im weiblichen Verhaltenskodex zu sein.

Kinderwunschlos glücklich

Bei Snow White wie bei Katniss Everdeen kommt da also zur politischen Entschlossenheit, eine unterjochte Gesellschaft zu retten, eine moralische Entspanntheit, was die Herzensdinge anbelangt. Fast könnte man sagen, ein gutes altes männliches Konzept vom Laisser-faire der Liebe. Beziehungsweise die Ausdehnung des Wettbewerbsgedankens auf zwei Bewerber, was das Leben fraglos spannender macht.

Dass Katniss wie Snow White vollkommen unangefochten von jeder klassisch fraulichen Regung bleiben, macht sie zu einer sehr realistischen, geradezu ultrafeministischen Alternative zu all den familiengeplagten und auf ewig vom Familienhorror verfolgten Filmfrauen wie neulich Tilda Swinton in «We Need to Talk About Kevin». Snow White geht ganz in ihrer Rolle als künftige Landesmutter und Spitzenpolitikerin auf, und Katniss macht klar, dass frau überhaupt erst einen Kinderwunsch hegen darf, wenn die gesellschaftlichen Umstände einigermaßen vernünftig geregelt sind. Sentimentalität und der Wunsch nach Selbstverwirklichung im Kinde haben da gar nichts zu suchen, Biologismus gilt nicht. Was für eine Offenbarung nach all dem Kummer, den Kristen Stewart in «Twilight» wegen der Sache mit der Ehe und dem Sex und dem nicht ganz so gut geratenen Nachwuchs über sich ergehen lassen musste.

Snow White kämpft in jener irgendwie mittelalterlichen Märchenwelt, die seit «Lord of the Rings» die Kinos überflutet und die genauso gut die Welt der Jeanne d’Arc sein könnte. Katniss ist in einer seltsamen Zukunft zwischen Science-Fiction und Robin Hood zu Hause. Jetzt müssen wir also nur noch auf eine Heldin warten, die genauso stark und politisch versiert, aber wirklich gegenwärtig ist. Bis dahin sind Snow White und Katniss aber ein wundervoller Zeitvertreib. Und Ingrid Bergman mit ihrem lebenslangen Traum von der französischen Kriegerin wäre stolz auf sie.

Simone Meier (Tages-Anzeiger, 30.05.2012)