Der Homo-Dollar rollt

Eigentlich sagt das schöne Wort «queer» schon alles. Quer steht es in der Landschaft, schräg, es findet sich da beim besten Willen nichts rechtwinkliges, es trägt alles in sich, was die Bewegung der Lesben, Schwulen und Transsexuellen, der LGBTQ-Community also, im Kern jahrzehntelang ausgemacht hat: Subversion, eine kreative, kämpferische Kraft, eine andere Perspektive auf die Gesellschaft, die Politik, die Welt. Zeichen und Rufe vom «andern Ufer», wie das früher einmal so schön hiess. Und jetzt? Alles Mainstream! Alle wollen nur noch heiraten dürfen! Frankreich führt die Homoehe ein! England vielleicht bald! Kalifornien führt sie wieder ein! Überhaupt: Amerika! Alle denken jetzt pink: François Hollande, Barack Obama, selbst der stockkonservative David Cameron und der über seinen Internetsex gestrauchelte amerikanische Demokrat Anthony Weiner. «Pinkwashing» nennt man das, wenn sich Menschen wie David Cameron das Mäntelchen der Bewegung umhängen.

«Das Problem mit der Homoehe ist nicht der homosexuelle Teil, sondern der Teil mit der Ehe», schrieb die grosse australische Feministin Germaine Greer vor kurzem in der «Sydney Morning Herald», «in einer geistig gesunden Welt würden Heterosexuelle die Rationalisierung der Ehe fordern oder ihre Abschaffung. Stattdessen gibt es die seltsame Ansicht, dass es sich bei der Ehe um ein Menschenrecht handelt.» Die Ehe, so schrieb sie weiter, gelte doch eigentlich als eine vertragliche Angelegenheit, doch niemand würde die Vertragsklauseln festlegen wollen. Und ganz klassisch gesehen, sei sie ein Sakrament – aber kein Mensch wisse doch mehr, was ein Sakrament wirklich sei.

90 Millionen für Tel Avivs Tourismus

Wozu also die Ehe wollen? Und wozu ausgerechnet die Homoehe? Weil die Homoehe eine konservative, systemfestigende Angelegenheit sei, schreibt die in Chicago lebende Bloggerin und Aktivistin Yasmin Nair. Man müsse sich dafür nur anschauen, wer denn eigentlich die Homoehe so unterstütze. Wie sich nämlich nicht nur Politiker, sondern auch globale Riesenfirmen wie Google oder Hewlett Packard plötzlich für die Homoehe engagierten.

Vor einigen Jahren war der Begriff «Pinkwashing» noch für Anti-Brustkrebs-Aktivitäten reserviert, doch allerspätestens seit 2010 wird er auch im Gay-Kontext verwendet: 2010, so berichtete die amerikanische Historikerin Sarah Schulman in der «New York Times», war nämlich das Jahr, als die Tourismusverantwortlichen von Tel Aviv 90 Millionen Franken aufwarfen, um ihre Stadt noch viel stärker als bisher zu einer internationalen Feriendestination für Homo- und Transsexuelle zu machen. Filmfestivals in aller Welt wurden gezielt mit Filmen bespielt, die junge, schöne, gleichgeschlechtliche Paare zeigten, und ein israelischer Pornoproduzent drehte den Schwulenporno «Men of Israel» auf dem Boden eines ehemaligen palästinensischen Dorfes. Schon seit 2005 musste sich Israel wegen dieses touristischen Engagements – unterstützt wurde es von amerikanischen Marketingexperten – Kritik gefallen lassen, seit den 90 Millionen will sie nicht mehr abreissen; es sei der Versuch, mithilfe eines scheinbar progressiven Images Israels wahre politische Probleme zu vertuschen. Der «Pink Dollar» fliesst indes stetig nach Tel Aviv.

Kostet nichts und wirkt cool

Seit knapp einem Jahr ist jetzt auch Google dabei, kulturelles Kapital durch «Pinkwashing» zu scheffeln, aparte junge Männer laufen mit dem Google-Logo aus Ballons an Homo-Marathons mit, Google lässt verlauten, besonders die Situation von Homosexuellen in Singapur und Polen sei bedenkenswert. Die entsprechende Google-Kampagne heisst «Legalize Love», habe aber keine gesetzlichen Veränderungen zum Ziel und keine realpolitische Einmischung, es gehe dabei vielmehr um die guten Vibes, die die Kampagne mit dem Hippie-Titel vermitteln wolle, darum, dass der schwule Google-Mitarbeiter «ausserhalb des Büros die gleichen Erfahrungen machen kann wie im Büro», sagt Google. Dass also möglichst wenig die wirtschaftliche Produktivität des Mitarbeiters stört, dass ihm sein Leben ausserhalb des Büros möglichst wenig Energie abverlangt, könnte man hinzufügen.

Es ist die Instrumentalisierung von emotionalen Bedürfnissen wie Zuneigung und Akzeptanz zugunsten der Marktwirtschaft, die hier passiert. Und es ist schließlich eine Art von humanitärem Engagement, das – zumindest in der westlichen Welt – erstens wenig anstößig und zweitens auch noch preiswert ist, die Google da betreibt. Zu sagen, dass die Liebe weltweit leben soll, ist billiger, als Bewässerungsanlagen in Afrika zu bauen, und bringt erst noch ein paar pinke Sympathie-Dollars. «Legalize Love» ist eine liberale Geste, genauso liberal wie David Camerons Bekenntnis zur Homoehe. Und irgendwie sind das doch einfach die falschen Allianzen, wenn man ein bisschen queeren Stolz in sich trägt.

Simone Meier, 02.07.2013 Tagesanzeiger.ch

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