Zur Eröffnung der Dauerausstellung im Filmmuseum Berlin

Das Kino ist eine zusammengesetzte Kunst. Mehr noch: Es ist die Kunst des Zusammensetzens, und zwar in Bewegung. Das Kino ist die Kunst, etwas entstehen und zugleich verschwinden zu lassen. Das Museum ist eine auseinander genommene Darstellung. Mehr noch: Ein Besuch im Museum ist eine Erfahrung des Auseinandernehmens, in der Reihung, in der Historisierung, im Modellhaften. Das Museum ist die Kunst, etwas ein für alle Mal festzuhalten, was in der Wirklichkeit zu verschwinden drohte.

Ein Filmmuseum, das ist demnach zunächst so etwas wie die absurde Vereinigung der zwei gegenläufigen Bewegungen der bürgerlichen Kulturgeschichte des vergangenen Jahrhunderts: Auf der einen Seite gibt es den Impuls zum Festhalten, Katalogisieren, Einrahmen und Beschriften, die Sammlung der „schönen“ und „interessanten“ Dinge, die, im besten Fall, zu einer inneren Sammlung des Menschen führen sollen. Auf der anderen Seite gibt es den Impuls, alles in Bewegung zu versetzen, Beschränkungen von Raum und Zeit zu überwinden, die Aufmerksamkeit vom gezeigten Objekt zum empfindenden Subjekt zu lenken. Natürlich kann nur das eine von beidem das jeweils andere davor bewahren, über vollständigem Bewegungsrausch oder vollständigem Stillstand ganz einfach wahnsinnig zu werden.

Was kann man sammeln, was ausstellen vom Kino? Das, was zum Kino hinführt, die Kameras, Modelle, Beleuchtungen, Projektoren, den Schminkkoffer des großen Stars. Das, was Text geworden ist: Drehbücher, Briefe, Kritiken. Das, was Bild geworden ist: Fotos vom Set, Aushangfotos und Plakate. Das, was Objekt geworden ist: Kostüme und Ausstattungen, Kultgegenstände wie die zu gewissen Hollywood-Zeiten gern verschenkten Zigarettenetuis. Das alles entzückt die mehr oder weniger wissende Filmkennerin, den mehr oder weniger empfindsamen Filmliebhaber. Und es muss doch enttäuschend bleiben. So wie jeder Text zum Kino entzücken kann und enttäuschen muss. Die Kunst des Zusammensetzens zerfällt wieder in das, woraus sie zusammengesetzt wird, und ganz nebenbei wird dabei jedes Objekt zu einer falschen Spur in diese Kunst. Zum Fetisch, um es genauer zu sagen.

Mit seinem eigenen Weg ins Museum hat das Kino immer so seine Schwierigkeiten gehabt. Das Museum ist das entschieden ältere bürgerliche Weltverständigungssystem. Vielleicht ist sogar einer der vielen Gründe, warum das Kino entstehen musste, die Überwindung des Museums. Vielleicht aber enthält das Kino auch viel mehr Museum, als wir es uns eingestehen wollen.

Wie aber kann man einen Augenblick ausstellen? Wie die letzte Produktionsstätte des Kinos, den Kopf der Zuschauerin, die Erinnerung des Zuschauers? Und bedeutet nicht der Weg ins Museum auch eine Art von Tod, müsste nicht hier spätestens die Hoffnung auf eine Kunst des permanenten Aufbruchs begraben werden, unter der Last der Zeichen, der Last des Wissens?

Das klassische Filmmuseum, wenn es so etwas gibt, hat jedenfalls die dynamische Kunst des Films zurückzutragen versucht in die Schatzkammern des Diskursiven. Zauberhafte Details, so versessen nebeneinander aufgereiht und beschriftet, dass sie, zusammengenommen, nur eine Sprache der Entzauberung und der Historisierung ergeben konnten. Wo das Kino und das Museum zusammenkamen, da entstand als furchtbare Meta-Aussage: Wir werden alt. Aber das Kino ist nicht mehr, was das Kino einmal war. Es ist nicht mehr das große, kultische Ereignis an einem großen kultischen Ort. Es ist eine Maschine zur Multiplikation der Bilder in allen Medien und Genres geworden, es produziert längst selbst jene Objektwelten, mit denen das bürgerliche Museum die Welt rekonstruiert. Das Kino ist nicht mehr nur die Kunst des Zusammensetzens, es ist auch schon die Kunst des Auseinanderfallens geworden.

Jeder (ökonomisch) große Film ist neben vielem anderen der Anlass für seine Fans, ein kleines, privates Museum mit Bildern, Figuren und Trouvaillen wie, sagen wir, einem Satz heißer Spock-Ohren zu begründen.

Aber auch das neue Produktions- und Vertriebssystem produziert die eigene Musealisierung: kein Studio, das auf sich hält, ohne seine „Studio-Tour“, ohne Sammlung der „echten“ und „einzigen“ Objekte, die man früher für den Film verbraucht und höchstens für ein mögliches sequel konserviert hat. Und auch das Diskursivmachen, wenn auch auf bescheidenem Niveau, betreibt die Bilderfabrik längst selbst. Kein Film auf DVD ohne seine „Making of“-Beigabe, kein Spezialeffekt ohne Spezialeffekterklärung.

Wie das Kino, so ist auch das Museum nicht mehr, was es einmal war. Längst geschieht das Eigentliche, die Sammlung der „Quellen“ und Objekte, eher im fachlich Verborgenen. In seinen dem großen Publikum zugewandten Teilen ist das Museum nicht mehr in erster Linie von dem bestimmt, was es zeigt, sondern vor allem davon, wie es gezeigt wird. Das Museum ist eine Kunst des Inszenierens geworden, eine dramaturgische Einheit, die nicht nur Objekte, sondern bereits ihre Empfindung präsentiert. Immer weniger geht es um Sammlung und immer mehr um – innere und äußere – Bewegung. Anders gesagt: Das Kino produziert immer mehr „Museum“, und das Museum funktioniert immer mehr nach Prinzipien des Films.

Ein neues Filmverständnis trifft auf eine neue Museumsidee

Das neue deutsche Filmmuseum in Berlin, die Inszenierung eines kleinen, aber kostbaren Teils grandioser Sammlungen, ist wohl mehr als nur Teil dieser Entwicklung, es ist dabei zugleich Motor und Reflexion. Vor unseren Augen zerlegt sich hier nicht, wie in einer klassischen Ausstellungskonzeption, ein Stück Kino in seine Einzelteile, es ist vielmehr ein begehbarer Film entstanden, der sich ins Unendliche ausdehnt, eine Konstruktion der inneren Verwandtschaften und der Wiederkehr. Man könnte das wohlfeil „postmodern“ nennen, besser aber wäre wohl gesagt: Ein neues Verständnis von Museum trifft auf ein neues Verständnis von Film.

Wenn man die Dauerausstellungen im Filmmuseum im Berliner Sony-Zentrum als „begehbaren Film“ ansieht, gehört es sich wohl, einiges vom Inhalt und von der Form wiederzugeben, aber nicht alles zu verraten. Es handelt sich um ein klassisches Double Feature. Der erste Teil ist ein Gang (manchmal auch ein Sturz) durch die deutsche Filmgeschichte, von den Pionieren und frühen Diven bis zur rennenden Lola. Wir sehen alles, was es dabei in traditionellen Sammlungen zu sehen gibt, dazu Filmausschnitte auf Bildschirmen und Leinwänden, und neben den realen gibt es auch immer wieder die Möglichkeit zu virtuellen Gängen durch unsere Filmgeschichte in den bereitgestellten interaktivten. Mindestens genau so wichtig wie die Exponate selbst sind die Lichtgestaltung, die Klangwege, die überraschenden Blickachsen. Man bekommt oft ganz direkt einen Durchblick geboten, der Dinge und Zeichen über Raum und Zeit miteinander verbindet. Wenn wir zum Beispiel in einem Raum Bilder, Kostüme und Dokumente zu bestimmten Schauspielern sehen, dann gibt es in den Bildern und Objekten gleich mehrere Leitmotive, die eine zweite Lesart der Exponate ermöglichen. Einzelne Personen, Motive und „Einstellungen“ tauchen in verschieden Räumen wieder auf. So gelangen wir von der Frühzeit über eine Caligari gewidmete Galerie zur Weimarer Republik, zu Metropolis, zum „Transatlantik“-Raum, der den gelungenen und gescheiterten Versuchen deutscher Künstler in Hollywood gewidmet ist, zu Leni Riefenstahl und zum Film im Nationalsozialismus, zum Filmexil und schließlich in die Abteilung Vom Kriegsende zur Gegenwart. Nur zum Beispiel sehen wir dort eine Wand mit den einander gegenübergestellten Plakaten der Filme, die jeweils in BRD und DDR am erfolgreichsten waren. Das ist eine von den vielen Geschichten, die die Ausstellung erzählt, eine von ihren vielen Vorschlägen. Sogar wenn die Exponate selbst hinlänglich bekannt sind, wenn der primäre Informationswert sich vor allem an ein Publikum ohne allzu viel Vorwissen wendet, sind in solchen strukturellen Inszenierungen des Materials auch für aficionados und Fachleute überraschende Erfahrungen zu machen.

Teil zwei erzählt von den künstlichen Welten des fantastischen Films, wobei eine Abteilung dem Stop-Motion-Künstler Ray Harryhausen mit seinen Urzeittieren, antiken Sagenwelten und fechtenden Skeletten, eine zweite der Entwicklung der Spezialeffekte von der mechanischen Imitation des Unmöglichen zur digitalen Erschaffung künstlicher Wirklichkeit gewidmet ist. Wie im begehbaren A-Film zum deutschen Kino so bekommt man auch hier nicht nur Exponat plus Text als eine Art des fetischistischen Wissens geboten, sondern Möglichkeiten, auf einer zweiten und dritten Ebene der Wahrnehmung zu reflektieren – zum Beispiel darüber, was etwa Kriegserfahrungen und Science-Fiction-Fantasien miteinander zu tun haben.

Das Ganze ist, man kann es wohl nicht anders sagen, selbst zu einem cineastischen Kunstwerk geworden. Und wie es sich für ein solches gehört, kann man den begehbaren Film des Filmmuseums Berlin ein paarmal ansehen, um noch ein paar Feinheiten, ein paar inszenatorische Subtexte zu entdecken. Zur gleichen Zeit

Autor: Georg Seesslen

Text veröffentlicht in DIE ZEIT, 26.09.2000 Nr. 40