Wer rettet diese Familie?

Na klar. Nicht erst seit The Queen, The King’s Speech und W.E. interessiert sich das Kino für Könige und Königinnen, Prunk und Prinzessinnen. Schließlich lässt sich kaum sonst eine so griffige Beziehung zwischen story und history herstellen, zwischen Schlafzimmer und Völkerschlacht. Elegant und giftig sind die französischen, schmalzig und todessehnsüchtig die deutsch-österreichischen, komisch und infantil die amerikanischen, blutig die italienischen Adelsfilme. Die britischen »Royals«-Filme indes haben mit alledem nichts zu tun, sie bilden ein Genre nach eigenen Regeln.

Eine Grundkonstante ist die Geschichte der starken, von Pflicht und Verantwortung getriebenen Frauen, die Gefühl und Sehnsucht hintenanstellen, und die Geschichte der schwachen, defekten Männer auf dem Thron. Das nächste Kapitel der Royals-Saga, Caught in Flight, um das Leben von Prinzessin Diana (mit Naomi Watts in der Hauptrolle und dem Deutschen Oliver Hirschbiegel als Regisseur) ist bereits in Arbeit. Caught in Flight handelt wie Madonnas Film W.E. vom schwachen Mann. Bei Madonna verzichtet er aus Liebe zu einer Bürgerlichen auf den Thron, um in einem Nirwana von Golf und Party zu verschwinden. In Dianas Melodram versagt er angesichts eines Machtkampfes der Frauen, dem die »Prinzessin der Herzen« nur zum Opfer fallen kann.

Einerseits repräsentieren die Royals die weibliche Seele des britischen Empire und der stabilen (Klassen-)Gesellschaft, andererseits aber handelt es sich offensichtlich um die unendliche Geschichte von dysfunktionalen Familien im Buckingham Palace und sonst wo. »Würde mal bitte jemand diese Familie vor sich selber retten?«, ruft Tony Blair in The Queen aus, als die Royals sich aus Gründen von Tradition und Protokoll weigern, nach dem Tod von Diana eine Fahne auf halbmast zu setzen. Diese Familie war indes vor sich selber noch nie zu retten, und daher ist das englische Königshaus ein ergiebigeres Filmthema, als Könige und Prinzessinnen es sonst sind. In The Young Victoria von 2009 (Capelight) kommentiert ein Höfling den Zornausbruch des Königs mit hochgezogenen Augenbrauen: »Familie! Die üblichen Probleme.«

Die üblichen Probleme in der Familie schließen das Attentat wie das Kopfabschlagen, die öffentliche Verleumdung wie die drastische Intrige ein. Drei Schlüsselfiguren sind es, die den Mythos der starken Frau im Zentrum des (realen wie imaginären) Empire begründeten: Elizabeth I, Queen Victoria und Elizabeth II. Zwei große Epen, eines für das Kino, das andere für das Fernsehen entstanden, geben auf sehr unterschiedliche Weise, aber nur in Nuancen voneinander abweichend, das Leben von Elizabeth I wieder: Shekhar Kapurs Elizabeth von 1998 und Elizabeth – The Golden Age von 2007 (Universal) mit Cate Blanchett in der Titelrolle überwältigen beide mit Drama, Pracht und einer computergenerierten Armada. Blanchett versucht, eher »amerikanisch«, die Widersprüche eines Lebens als Mensch und Herrscher aus ihrer Figur herauszuholen. Helen Mirren legt in Tom Hoopers HBO-TV-Produktion Elizabeth I (2005) ihr Porträt ungleich komplexer an. Sie weigert sich, diese Figur zu Ende zu erklären, und erhält damit auf wundervolle Weise ihre Mehrdeutigkeit.

Dass Mirren in The Queen von 2006 (Concorde) von Stephen Frears dann auch Elizabeth II spielt, ist viel mehr als ein Besetzungscoup: Bis in die familiären Konstellationen, bis in die Begründungen der Macht durch eine Liebesbeziehung von Königin und Volk, bis in die Kriegserklärungen wiederholt sich da der Mythos von der Herrscherin als weiblichem Zentrum des Empire in einer Welt der schwachen und korrupten Männer. Zwischen den Elizabeths lieferte Victoria ein anderes Kinobild der starken Frau im Zentrum des Empire. Sie war die große Liebende auf dem Thron, und The Young Victoria von Jean-Marc Vallée konzentriert sich auf die Beziehung zwischen Victoria und Albert, schrammt dabei gelegentlich haarscharf an der Schmonzette vorbei und schafft doch hier und da bizarre Innenansichten der Macht. Das ist so schräg wie die Liste der Produzenten, darunter Martin Scorsese und Sarah Ferguson, Herzogin von York.

Auf die defekten Männer im Genre der Royals-Filme blicken wir dagegen mit einer Mischung aus comic relief und Mitleid. Das ist ein Stoff für Feelgood Movies, wie etwa The King’s Speech von 2010 (Senator), den Tom Hooper mit Colin Firth in der Rolle von König George VI inszenierte, der vor seiner Thronrede sein Stottern überwinden muss. Noch drastischer fällt die Verfilmung des Theaterstücks The Madness of King George 1994 durch Nicholas Hytner (Concorde) aus, der Albtraum eines jeden monarchischen Konstrukts: Der König – es ist George III, dargestellt mit Verve von Nigel Hawthorne – zeigt, nach Jahren stabiler und populärer Herrschaft unübersehbar Symptome von Geisteskrankheit.

Was macht die Royals-Filme so ergiebig jenseits der üblichen Prunk- und Soap-Opera-Elemente? Zum einen geht es um großartige, verquere Charaktere; ein Royals-Film ist stets ein Schauspielerfilm. Zum anderen ist es die Deutlichkeit, mit der bei den Royals durch Maske und Rolle der Mensch schimmert, was womöglich damit zu tun hat, dass die zwischen den Royals und den Briten sich über die Jahrhunderte ziehende Hassliebesgeschichte immer auch in der Sprache verhandelt wird, in der Sprache Shakespeares und der des Marktplatzes. Ein guter Royals-Film ist einer, der den Blick der universalen Neugier auf die Geschehnisse im Palast auf sonderbare Abwege führt. In einem schlechten Royals-Film – die gibt es auch zuhauf – sieht es dort genau so aus, wie wir uns das immer schon vorgestellt haben.

Georg Seeßlen, DIE ZEIT, 19.07.2012, # 30

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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