Hollywood und alle Serienfans trauern um Jack Klugman. Der Schauspieler und Star der Pathologen-Krimiserie „Quincy“ starb im Alter von 90 Jahren. Auch am Broadway und im Kino war Klugman während seiner 60 Jahre währenden Karriere zu sehen. Getidan-Autor Michael Scholten traf Jack Klugman im Januar 2009 im Kölner Hotel im Wasserturm zum ausführlichen Interview über „Quincy“, CSI und die Krebserkrankung des Schauspielers.

Ganz hinten in der Ecke, in der Bar eines Kölner Luxushotels, versinkt ein alter Herr im tiefen Sessel. Die beige-farbene Cord-Kappe, der gemusterte Strickpullover und ein aufwendig geschnitzter Gehstock lassen ihn wie einen schottischen Schäfer wirken. Das Gesicht ist schmal und von feinem weißen Haar eingerahmt. Der Mann ist 86 Jahre alt und heißt Jack Klugman. Die Welt kennt ihn als „Quincy“. In der gleichnamigen amerikanischen Serie rollte er von 1976 bis 1983 als Gerichtsmediziner knifflige Kriminalfälle wieder auf, die von der Polizei vorschnell als gelöst zu den Akten gelegt zu werden drohten. 1985 entpuppte sich „Quincy“ für den damals jungen deutschen Privatsender RTL plus als Quotengarant. Egal, ob als Erstausstrahlung oder in der zehnten Wiederholung. Grund genug für RTL, Jack Klugman zur Geburtstagsshow des Senders aus dem sonnigen Kalifornien ins verschneite Deutschland einzufliegen; gemeinsam mit seiner zweiten Frau, Peggy Crosby (68), der Jackman im Februar 2008 nach 20 Jahren „wilder Ehe“ da Ja-Wort gab.

 

Herr Klugman, Sie waren am Samstag in einer Show zum 25-jährigen Jubiläum von RTL zu Gast. Wie hat Ihnen deutsches Fernsehen gefallen?

Jack Klugman: Das war wundervoll. Die Zuschauer sind für mich aufgestanden und haben applaudiert. Das war sehr bewegend. In Amerika würde ich niemals Standing Ovations bekommen. Ich habe fast geweint. Und ich bin wirklich keine Heulsuse!

Ist das Ihr erster Besuch in Deutschland?

Nein, ich war schon viermal hier. Immer beruflich. Einmal in Frankfurt, zweimal in München, einmal in Berlin. „Quincy“ wurde so oft in Deutschland wiederholt, dass ich immer wieder Anfragen bekam. Einmal war ich in einer Sendung zu Gast… Ich habe den Namen vergessen. Das war so ein großer Blonder.

Thomas Gottschalk?

Ja. Richtig. Und ein paar andere Shows.

Ihr bürgerlicher Name ist Jacob Joachim Klugman. Kamen Ihre Vorfahren aus Deutschland?

Sie kamen aus Russland, aber meine Eltern haben sich in Deutschland kennengelernt und hier geheiratet. Mein Onkel brachte meine Mutter nach Deutschland, weil hier einige Verwandte lebten. Dort traf sie meinen Vater, aber ich weiß nicht, warum er aus Russland nach Deutschland gekommen war.

© Universal

Haben Sie noch Verwandte in Deutschland?

Nein, ich glaube nicht. Oder besser: Ich weiß es nicht.

Sind Sie es manchmal leid, immer über „Quincy“ reden zu müssen?

Nein. Denn ich bin sehr stolz auf diese Serie. Ich habe im Vorfeld viel dafür getan, dass das MEINE Serie wird. Ich ließ einen der Produzenten feuern und habe viel selbst gemacht. Ich wollte, dass es keine beliebige Fernsehshow ist, sondern dass sie soziale und politische Themen aufgreift. Das war die erste Show in den USA, die zum Beispiel das Thema Inzest aufgriff. NBC sagte zunächst: Das können wir nicht machen! Ich habe es dann trotzdem gemacht. Die Reaktion war: Das ist sehr geschmackvoll gelöst. Ich fragte: Wieso hätte ich es geschmacklos machen sollen? Wir haben den Inzest nicht voyeuristisch aus der Perspektive des Vaters thematisiert, sondern sind sehr stark auf die Gefühle der Tochter eingegangen. Jedes Wort, das ein Schauspieler in „Quincy“ sagte, war vorher von mir abgesegnet. Alles sollte authentisch sein und auf wahren Fällen basieren. Wenn mir ein Autor sagte: „So könnte es sein“, habe ich es nicht in der Show haben wollen. Ich wollte immer nur ein „So war es wirklich.“

Im Gegensatz zu modernen Fernsehserien über Gerichtsmediziner sah Sie als Quincy nie an Leichen herumschnippeln.

Dadurch wurde es aber nicht schlechter, oder? Ich hatte vor einigen Jahren einen Gastauftritt in „Crossing Jordan“. Am Set haben sie die Leiche blau angemalt! Und sie haben ganz genau gezeigt, wie die künstliche Haut aufgeschnitten wird und das Blut rausschießt! Warum? Das muss man nicht zeigen, wenn man ein gutes Drehbuch hat.

Verlangt das Publikum danach?

Als das Fernsehen aufkam, hatten wir sehr gute Serien. Und die Leute haben gern zugeschaut. Aber dann setzten sich immer mehr die Extravaganzen von Hollywood im Fernsehen durch. Ich glaube nicht, dass die Zuschauer die Detailaufnahmen der Leichen vermissen würden, wenn das Fernsehen sie ihnen nicht mehr bieten würde. Bei uns ging es damals nicht vorrangig um die Toten. Wir haben uns mehr um die Lebenden gekümmert. Wenn wir einen Mörder fingen, war klar, dass er keine Morde mehr begehen kann. Wenn wir eine Epidemie erkannten, konnte die Ursache bekämpft werden und es wurden viele Leben gerettet.

Schauen Sie gern CSI?

Nein. Ich mag die Serie nicht. Ich habe sie vielleicht zweimal gesehen. Das sind alles gute Schauspieler. Aber die Serie entspricht nicht meiner Vorstellung von Gerichtsmedizin im Fernsehen.

War „Quincy“ ein Wegbereiter für „CSI“?

Natürlich. „Quincy“ hat das Genre der Gerichtsmediziner im US-Fernsehen gegründet. „CSI“ hat es nur blutiger und vielleicht auch sexier fortgeführt. „Quincy“ war eine Art Ein-Mann-CSI, allerdings mit mehr Aussage.

Der Pathologe Dr. Thomas Noguchi, der auch Autopsien an den Leichen von Marilyn Monroe und Natalie Wood vornahm, soll das reale Vorbild für „Quincy“ gewesen sein.

Das ist eine Legende und eine Lüge, die vor allem von Dr. Noguchi selbst lanciert wurde, nachdem „Quincy“ ein weltweiter Erfolg war. Er kam mal bei einer Party auf mich zu und überreichte mir eine Armbanduhr. Mit den Worten: „Für Quincy von dem echten Quincy“.  Aber dieser Mann war kein Quincy! Unsere Serie basierte auf einem Pathologen, der schon in den 1920er Jahren in New York arbeitete.

Verglichen mit den Gagen heutiger Fernsehstars dürften Sie damals sehr bescheiden verdient haben…

Ich bekam anfangs 35.000 Dollar pro Folge. Wir hatten ja überhaupt keine Ahnung, wie viel Geld die Studios und die Sender mit uns machten. Jahrzehnte später wusste eine Jennifer Aniston natürlich, wie viel Geld „Friends“ einbrachte. Deshalb verlangte sie gegen Ende eine Million Dollar pro Folge – und bekam die auch. Das muss man sich mal vorstellen: Die machen mehr als 20 Millionen Dollar pro Jahr durch eine einzige Serie.

Ist das ungerecht?

Ja, das macht mich böse. Denn die Serienschauspieler von heute müssen nicht so hart arbeiten wie wir damals. Ich habe inzwischen den Sender NBC verklagt, weil ich rückwirkend an den Gewinnen beteiligt werden will, die meine Serien durch Wiederholungen und DVD-Auswertungen eingefahren haben. Aber ich befürchte, dass ich keine Aussicht auf Erfolg habe. Studios und Sender wissen immer besser, was sie tun, als die Schauspieler.

© MGM

1984 wurde bei Ihnen Kehlkopfkrebs diagnostiziert. Bangten Sie um das Ende Ihrer Karriere oder gar um das Ende Ihres Lebens?

Beides. Denn das war in meinem Fall eng miteinander verknüpft: Die Schauspielerei war mein Leben. Ich fühlte mich nach der Diagnose sehr allein. Eine Krebs Interessengemeinschaft bat mich damals, nach Atlanta zu reisen und eine Rede zu halten. Ich wollte das nicht, sagte am Ende aber doch zu. Dort sollte ich 250 Lebensbäume einweihen. Jeder davon symbolisierte einen Krebskranken, der seine Krankheit überlebt hatte. Nach der Rede kamen die Menschen von allen Seiten auf mich zu und sagten: Wir lieben Dich! Du siehst großartig aus! Auch Du wirst Deine Krankheit meistern! Ich wollte diese Art von Liebe nicht! Ich fühlte mich wie ein Wrack, wie ein Krüppel. Aber dann schritt ich diese Reihe von Bäumen ab und musste plötzlich lächeln. Das war ein Wendepunkt in meinem Leben und im Umgang mit der Krankheit.

1989 wurden dann einige Stimmbänder und ein Teil ihres Kehlkopfs entfernt. Was geht in einem Schauspieler vor, der sein wichtigstes Arbeitsinstrument, die Stimme, einbüßt?

Es war schrecklich und ich wollte niemanden mehr sehen. Ich wusste: Es ist vorbei. Dann rief irgendwann mein wundervoller Freund Tony Randall an, mit dem ich seit 1970 die Serie „Ein seltsames Paar“ gedreht hatte. Er sagte: Wir können eine Million Dollar pro Woche verdienen, wenn wir die Fortsetzung „Sunshine Boys“ machen. Ich sagte ab, denn meine Stimme war noch viel schlechter als sie heute ist. Doch Tony bestand darauf: Nur einmal! Als Theaterstück! Tony zu Liebe ließ ich zumindest einen Sprechlehrer zu mir kommen. Der war zuversichtlich, mich innerhalb von sechs Monaten bühnenreif zum Sprechen bringen zu können. Also rief ich Tony an und sagte: In sechs Monaten könnte es klappen.

Und sie hielten Wort.

Ja, aber als ich bei der Probe den ersten Satz sagen sollte, kam kein Ton heraus. Es war totenstill und für alle im Theater war es eine sehr seltsame Situation. Ich wusste: Ich werde die kommenden zwei Stunden nicht überstehen. Ich hasste meinen Freund Tony dafür, dass er mich überredet hatte und ich jetzt zum Scheitern verdammt war. Doch im zweiten Anlauf klappte es dann, zumal das Mikrofon meine Stimme auch künstlich verstärkte. Und die Vorführung war ein voller Erfolg. Meine Kinder sagten mir hinterher: Das war der beste Auftritt, den wir jemals von Dir gesehen haben. Da merkte ich, dass an dem alten Sprichwort etwas dran ist: Wenn Du einen Arm verlierst, wird der andere umso stärker.

Welche Karrierepläne haben Sie für die Zukunft?

Nun ja, ich bin 86 Jahre alt. Das Fernsehen will mich nicht mit dieser Stimme haben. Aber ich genieße es, auf der Theaterbühne zu stehen.

(Jack Klugmans Frau, Peggy Crosby, betritt den Raum. Sie trägt bereits einen dicken Wintermantel und hat einen Stadtplan von Köln in der Hand. Sie will mit ihrem Mann zum Sightseeing aufbrechen.)

Herr Klugman, seit dem 2. Februar 2008 sind sie wieder verheiratet. In einer Hollywood-Gesellschaft von Blitzhochzeiten und Blitzscheidungen verbindet Sie und Peggy eine einzigartige Liebesgeschichte.

Jack Klugman: Ja, wir sind seit 20 Jahren zusammen, wir kennen uns seit 30 Jahren.

Peggy Crosby: Und es wird keine Scheidung geben! (lacht)

Jack Klugman: Richtig. Ich liebe sie so sehr.

Frau Crosby, Ihr Mann hat sich nie von seiner ersten Frau Bret Somers scheiden lassen, obwohl die beiden seit 1974 Jahren getrennt lebten. Erst nach Bret Somers Tod im September 2007 fühlte er sich frei für eine neue Hochzeit. War das hart für Sie?

Peggy Crosby: Am Anfang war es hart. Ich wollte, dass er mich heiratet. Obwohl ich ja wusste, dass wir in gewisser Weise eh verheiratet sind. Jetzt sind wir aber ganz offiziell verheiratet. Ich habe lang genug gewartet. Finden Sie nicht?

In den 70er Jahren tauchte auch Ihr Name fünfmal in der Besetzungsliste von „Quincy“ auf. Sie spielten die Kellnerin Dee Dee. Haben Sie sich am Set von „Quincy“ kennengelernt?

Peggy Crosby: Ein gemeinsamer Bekannter hat uns einander vorgestellt. Ich war Schauspielerin und er sagte: Ich kenne Jack Klugman, soll ich Dich mit einer kleinen Rolle bei „Quincy“ unterbringen? Aber Jack und ich wurden erst ein Paar, als „Quincy“ schon lange eingestellt worden war.

Ein anderer Fernsehhit Ihres Mannes war die Serie „Ein seltsames Paar“. Sehen Sie sich manchmal auch als „Seltsames Paar“?

Peggy Crosby: Unsere Freunde nennen uns so, seit wir zusammen sind. Sie wissen aber auch, dass mein Mann mich braucht. Er ist ein Messie. Ich muss bei ihm sein. Er kann nicht mal das Badezimmer aufräumen.

Stimmt das, Herr Klugman?

Jack Klugman: Ja. Ich bin ein Messie. Ich mag Glückspiele, Pferderennen und Frauen. Und ich bin ein Messie. Ich bin im wahren Leben genau so wie der Oscar Madison aus „Ein seltsames Paar“.

Peggy Crosby: Erzähl ihm mal die Geschichte von Deiner Garderobe in „Ein seltsames Paar“.

Jack Klugman: Man fand damals nicht die richtigen Klamotten für mich. Die Kostümbildner wollten mir was kaufen, aber ich sagte nur: Was ist denn mit meinen eigenen Klamotten? Die wurden akzeptiert und ich bekam 350 Dollar dafür. Der Witz ist: So teuer waren die gar nicht. Ich habe also Gewinn gemacht.

Sie sind der letzte Überlebende von den zwölf Schauspielern aus „Die zwölf Geschworenen“. Macht Sie das stolz oder traurig?

Das macht mich sehr traurig. Ich kannte all diese Leute, sie waren großartige Schauspieler und viele von ihnen gute Freunde. Als 2006 auch noch Jack Warden starb, war ich drauf und dran zu rufen: Gott, jetzt kannst Du mich auch holen!

© ABC

Würden Sie in der heutigen Filmindustrie noch mal ganz von vorn als junger Schauspieler anfangen wollen?

Oh, nein. Der Film ist tot. Heute gibt Dir die Industrie noch viel weniger Gelegenheit, Deine Talente zu nutzen, als früher. Da werden nur Schnipsel produziert, jede Aufnahme ist beendet, sobald Du einen Satz oder manchmal auch nur einen halben gesagt hast. Spielfreude und Experimente gibt es nur auf der Bühne.

Was war der Höhepunkt Ihres eigenen Schaffens vor der Kamera?

„Der versteinerte Wald“. Nicht nur weil wir das ganze Werk wie ein Theaterstück live für die Fernsehausstrahlung gespielt haben, sondern vor allem, weil ich durch diesen Film Humphrey Bogart erleben durfte. Er war ein sehr kleiner Mann, aber ich konnte meine Augen nicht von ihm abwenden. Er war der sexieste Mann, den ich je gesehen habe. Wenn er zum Mittagessen ging, liefen links und rechts von ihm Lauren Bacall und Henry Fonda. Beide waren viel größer als er, aber ich konnte meine Augen nicht von ihm abwenden.

Letzte Frage: Was ist eigentlich aus dem Hausboot geworden, in dem „Quincy“ die ganze Serie über wohnte? Steht das jetzt in Ihrem Garten?

Oh, nein! Das war ein einziges Wrack! Schon bei den Dreharbeiten war alles kaputt und es wurde nur notdürftig zusammengehalten. Ich hoffe, dass es nach dem Ende von „Quincy“ sofort entsorgt wurde.

 

Interview: Michael Scholten

Bild oben: CC BY-Sa 3.0 Angela George at http://www.flickr.com/photos/sharongraphics/