Erik Schmidt, Stop and make your own sign, 2012, Courtesy: Galerie carlier | gebauer, Foto: Bernd Borchardt

Battlefield des Postkapitalismus

Eine Ausstellung im Berliner Haus am Waldsee

New York ist ein schweres Pflaster für die Kunst. Als der Schriftsteller Ulrich Peltzer im September 2001 in der Stadt am Hudson weilte, verhagelte ihm der Angriff auf das World Trade Center ein literarisches Projekt. Statt seine Familiengeschichte zu recherchieren, schrieb er ein Buch darüber, wie sich plötzlich seine Wahrnehmung der Welt verschiebt. Wer in den Big Apple Manhattan beißt, so sangen schon die Rolling Stones 1978 in ihrem Song „Shattered“, muss immer mit Maden rechnen.

Seinem Berliner Kollegen Erik Schmidt ging es ähnlich. Als der Künstler im September 2011 in New York zwei Monate lang für ein Kunstprojekt über Gentrifizierung recherchierte, geriet er in die Demonstrationen der Bewegung von Occupy-Wallstreet, die gegen die Machenschaften der Finanzindustrie auf die Straßen ging. Shattered von der unerwarteten Begegnung hatte auch dieser Künstler plötzlich ein ganz anderes Thema.

Downtown hat Schmidt seine neueste Ausstellung genannt. Doch sie ruft alles andere als die leichtfüßige Euphorie auf, die Petula Clark in ihrem gleichnamigen Song von 1964 zum Kennzeichen des New Yorker Lebensgefühls erhob. „Just listen to the music of the traffic in the city. Forget all your troubles, forget all your cares“.

Die Schau konfrontiert vielmehr mit den angsteinflößenden Szenen, die zu Ikonen der Demokratiegeschichte geworden sind: Protestierende und Obdachlose, die in Schlafsäcken auf der Straße campieren, immer von Polizisten umringt. Seltsamerweise geht von Schmidts Bildern aber keine primär politische, sondern eine ästhetische Botschaft aus.

Der 1968 im westfälischen Herford geborene Künstler hat Erfahrung darin, soziale Milieus zu erforschen. In seinen Video-Arbeiten „Hunting Grounds“ (2006) und „Gatecrasher“ (2010) tauchte er ein in die Welt der distinktionsbereiten Bourgeoisie: Die der Jäger und des Hochadels. Immer trat Schmidt in diesen surrealistisch angehauchten Filmen selbst auf, eine Art somnambuler Grenzgänger zwischen Außenseiter und Mitspieler.

Die auffällige Reziprozität von Thema und Genre behält Schmidt in seinen neuen Arbeiten bei. Fing er in den Filmen eine obsolet gewordene Welt im modernen Medium ein. So widmet er sich dem zeitgenössischen Milieu nun mit den Mitteln der angeblich überlebten Malerei. Das Battlefield des Postkapitalismus hat er in der Manier des Postimpressionismus eingefangen: Pastoser, wie mit den Fingern aufgetragener, breitflächiger Strich, kräftige Farben – van Gogh lässt grüßen.

Schmitts Bilder lassen sich als Historienbilder lesen. Auch wenn sie nichts Pathetisches haben. Sieht man einmal von der jungen Frau ab, die auf „Recorded and Released“ ihre langen Haare schmerzverzerrt nach hinten wirft, als drei Polizisten sie abführen. Auch wie ein revolutionäres Subjekt nehmen sich die jungen Leute auch nicht aus, die da in Jeans und Kapuzenpullovern am Straßenrand kauern, auf ihre iPhones starren oder diskutieren – den ewigen Rucksack zu Füßen.

Aber diese Bilder sind dann doch viel zu distanziert, als dass sie an eine historische Mission oder eine politische Gemeinschaft appellieren würden. Schon die Überführung des Geschehens ins Malerische stellt einen Abstand her. Auch der Maler beobachtet vom Rande her. Je weiter man von den Bildern zurücktritt, um so abstrakter wird auch die Szenerie.

So entfaltet sich ein Gegenbild zu dem der Oberschicht, für die sich Schmidt bislang interessierte. So reizvoll sein Versuch ist, die neuen Bewegungsformen des Sozialen einmal anders zu fassen als in kurzschlüssigen Dokumentationen und Feldforschungen. Letztendlich erweist sich die Malerei dann aber doch als zu unflexibel, die Codes dieser fluktuierenden Gemeinschaft so zu analysieren wie in seinen Videoperformances. Die Binnendynamik des Protestes erstarrt bei Schmidt gleichsam im Gehäuse der Klassischen Moderne.

Ungewollt entlockt er der politischen Ästhetik dennoch ein paar interessante Funken. Der spontane Gestus der altmeisterlichen Technik, mehr als das Motiv der Protestierenden selbst, reflektiert das Komplexe, Eruptive aber auch Plakative des Protestes. Doch so wie er sich mit der Malerei auf Abstand zu dem Protest bringt, wirkt es einigermaßen inkonsequent, wie Schmidt sich dann doch noch performativ in die Occupy-Community einzufühlen versucht.

Auf drei Videos zu Beginn der Schau sieht man ihn, wie er in New York halbnackt unter einer grünen Zeltplane kauert, Kartons mit Sprüchen bemalt oder in seinen Laptop hackt. Ob Schmidt damit ein besserer Mensch wird oder nur ein besserer Künstler, wird sich zeigen. Aber zumindest das lehrt New York: „Pride and joy and dirty dreams and still surviving on the street” (Rolling Stones).

Ingo Arend

 

AUSSTELLUNG: Erik Schmidt, Downtown
Haus am Waldsee, noch bis zum 30. Dezember
website: www.hausamwaldsee.de

Erik Schmidt, Occupy everything, 2012, Courtesy: Galerie carlier | gebauer, Foto: Bernd Borchardt

 

Katalog, Verlag der Buchhandlung Walther König, 16,80 Euro