„Der seidene Faden“ (Phantom Thread) handelt von der Schneiderkunst, von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen und deren Verschiebungen, und von einer zwanghaften männlichen Psyche und deren Aufweichung. Paul Thomas Anderson ließ sich bei sei seinem neuen Film vom Leben des spanischen Modemachers Cristóbal Balenciaga (1895-1972) inspirieren, dessen Kreationen weltweit bekannt und gefeiert wurden, und der klösterlich zurückgezogen ausschließlich für seine Damenschneiderei lebte. Balenciagas attraktive Gesichtszüge erinnerten den ebenso erfolgsverwöhnten Regisseur an seinen „There Will Be Blood“-Star Daniel Day-Lewis, der – seinerseits äußerst modebewusst und zudem ausgebildeter Schuhmacher – sofort bereit war die Hauptrolle zu übernehmen

Und das ist die Geschichte: Mr. Reynolds Woodcock, ein durch und zwanghafter, penibler und ichbezogener Typ, lebt und wirkt in einem Londoner Stadt-Palais in den 50er Jahren des 20.Jahrhunderts. Seine Kundinnen, vorzugsweise reiche Witwen und auch einige adlige Damen, betreten das exklusive Etablishment zu Anproben und Modeschauen, bewegen sich mehr oder weniger elegant zwischen Lüstern, Spiegeln und Stuck in atemberaubenden Roben (Kostümdesign Mark Bridge), an denen sich die Kamera kaum sattsehen kann. Woodcocks Schwester Chyrill (Lesley Manville) fungiert in dieser Menagerie als strenger und wortkarger Gatekeeper. Bei ihr laufen alle Fäden(!) zusammen was Organisation, Management oder den Rausschmiss der jeweiligen Musen anbetrifft. Über dem Ganzen schwebt dann noch der Geist der verstorbenen Mutter. Sie hat nach wie vor großen Einfluss auf ihren Sohn, erscheint ihm in seinen Träumen.

Als Reynolds eines Tages zum Ausspannen aufs Land fährt begegnet er dort Alma (Vicky Krieps), einem „einfachen Mädchen“ aus Osteuropa. Sie arbeitet als Bedienung im Hotel. Reynolds ist fasziniert von ihrer Natürlichkeit. Vor allem aber erkennt er sofort, dass sie für ihn das absolute Idealmaß hat. „You’re perfect – it’s my job to keep you so“, sprach’s und nimmt sie mit in sein Refugium.

„Der seidene Faden“ beginnt also als klassische einseitige „Liebesgeschichte“ zwischen einer aus bescheidenen Verhältnissen kommenden jungen Frau und einem narzistischen, gefühlskalten Egomanen – letztendlich handelt es sich um die x-te Variante des Pygmalion Stoffes. Gleich bei ihrem ersten gemeinsamen Abend befiehlt Woodcock Alma den Lippenstift abzunehmen, dann in London fühlt er sich bald gestört von ihren lauten Essgeräuschen, aber auch von ihren Gedanken und Einfällen. Er duldet und kennt keine Ablenkung, keine Fragen, keine Widerrede, letztendlich überhaupt keine menschliche Nähe. Alles, was nicht seiner Inspiration dient ist für ihn Störung. So sieht man ihn zeichnend, nähend, Modelle begutachtend.

Wie lange wird Alma also den goldenen Käfig und das Künstler-Genie aushalten? Wird Reynolds sie psychisch brechen oder wird sie den Spieß umdrehen? Die zaghaften Ansätze von suspense verpuffen jedoch, eh sie richtig an- oder gar ausgespielt sind. Die Drehungen, die Alma versucht, um Reynolds näher zu kommen sind schwer nachvollziehbar und dramaturgisch äußerst seltsam. Sie vergiftet ihn zweimal mit Pilzen, so dass der zwanghaft korrekte Mann komplett außer Kontrolle gerät, unschön schwitzt, über seine kostbaren Entwürfe stolpert, seine gepflegte Form, und wenn man so will auch seine Identität, verliert.

Irgendwann beschleicht einem das Gefühl, Reynolds Woodcock könnte vielleicht eine Spiegelung von Paul Thomas Anderson sein. Denn auch er liebt offensichtlich die totale Kontrolle, führt nicht nur Regie, sondern auch gleich die Kamera. Alles wirkt zwanghaft durchkomponiert, entwickelt sich mühsam über ein Länge von mehr als zwei Stunden und findet dann ein äußerst abruptes glückliches Ende. Über dem Streben nach der perfekten Form scheint der Regisseur Figuren, Geschichte, Dramaturgie und Spannung aus den Augen verloren zu haben. Und so wie Reynolds Woodcock vom Geist seiner verstorbenen Mutter abhängt, so ist Alfred Hitchcock der große Geist hinter diesem Film. Unverkennbar ist vor allem „Rebecca“ (USA 1946) Inspiration und Motivgeber gewesen. „Wir haben mit der Vergangenheit abgeschlossen, aber sie nicht mit uns“, das Zitat könnte aus beiden Filmen stammen. Doch Woodcock ist trotz Day-Lewis – der sich mit diesem Film bedauerlicherweise von der Leinwand verabschiedet – nicht Maxim de Winter, vor allem weil Anderson kein zweiter Hitchcock ist.

Daniela Kloock

Bilder: © Universal Pictures International