Christian Petzolds Thema sind Gespenster, Geschöpfe des „Nicht-Mehr“ oder „Noch-Nicht“. Immer wieder geht es in seinen Filmen um ein Leben im Schwebezustand, in Zwischenzonen. Unfälle, Verwechslungen oder falsche Entscheidungen machen seine Figuren zu Getriebenen oder Verfolgten, zu Menschen, die aus einer (sozialen) Ordnung und aus einer bestimmten Zeit gefallen sind. „Die innere Sicherheit“ (2000), „Wolfsburg“ (2003), „Gespenster“ (2005) oder „Phönix“ (2014) stehen beispielhaft hierfür.

Mit seinem neusten auf der diesjährigen Berlinale vorgestellten Film „Transit“ geht Petzold noch einen Schritt weiter. Hier wird der ganze Film nicht nur an Hand einzelner Personen, sondern über die gesamte erzählte Geschichte auf zwei parallele Zeit-Ebenen gestellt. Die Romanvorlage von Anna Seghers, die 1942 in Marseille spielt, beschreibt das Leben von jüdischen Exilanten auf der Flucht vor den Nazis. Sie hoffen auf eine Weiterfahrt nach Lateinamerika oder Mexiko, wohin die Autorin selbst emigrieren musste. Das Zynische an der Situation damals war, dass ohne ein Transitvisum und zahlreiche andere Papiere die Ausreise nicht erlaubt war. Christian Petzolds Film transferiert die Handlung des Romans in die Jetzt-Zeit.

Gewagt ist das, was er da macht. Doch der kühne Kunstgriff gelingt ihm. Und das ist das Faszinierende an dem Film. Gestern und Heute überlagern sich, ohne dass dies groß irritieren würde. So sprechen die Hauptfiguren beispielsweise von Faschisten oder den anrückenden deutschen Truppen, gleichzeitig sieht man aber französische Polizisten mit modernen Kampfanzügen und Maschinenpistolen. „Mich hat interessiert, welche Fragen die Historie an die Gegenwart stellt“, sagte Petzold im Gespräch bei der Berlinale. „Der Asylparagraph im Grundgesetz basiert auf den Erfahrungen von Flüchtlingen, die vor den Nazis flohen und nicht in die Schweiz oder nach Mexiko gelassen wurden, die in Transitzonen festsaßen und starben. Die Vergangenheit fragt uns doch, was wir da eigentlich machen, wenn wir das Asylrecht jetzt beschneiden.“

Doch der Film ist kein Kommentar zur aktuellen Flüchtlingsdebatte, vielmehr eine Aufforderung grundsätzlich über das zeitlos Gültige von Flucht und Vertreibung nachzudenken. Und er stellt die Frage danach, was uns in unserer Existenz so sicher macht, was uns glauben lässt diejenigen zu sein, als die wir uns fühlen. Und auf welchen Zufällen unser Leben letztendlich beruht.

So kommt Georg (Franz Rogowski), die Hauptfigur, nur auf Grund eines Zufalls an die Ausreise-Papiere des Schriftstellers Weidel. Auf dem Konsulat in Marseille, wo er eigentlich die Unterlagen nur abgeben wollte, wird er für den Dichter selbst gehalten. Er geht auf die Verwechslung ein, auf das Spiel mit einer fremden Identität. Doch dann taucht Marie (Paula Beer) auf, die Weidels Frau ist und ihren Mann sucht. Zwar hat sie sich von ihm getrennt und lebt jetzt mit einem Arzt (Godehard Giese) zusammen, doch kann sie sich nicht entschließen die Flucht anzutreten. Sie will ihren Gatten noch einmal sehen. Georg verliebt sich in Marie, erzählt ihr jedoch nichts von der Verwechslung. Und Marie fühlt sich in ihrer Suche bestätigt, weil man ihr zuträgt, dass ihr Mann sich in Marseille aufhält. Der Arzt wiederum ist hin und hergerissen zwischen Bleiben und Abreise, zwischen Liebe und Pflichtgefühl. Und dann gibt es noch die Figur des Barkeepers (Matthias Brandt), dem die Flüchtlinge ihre Geschichten anvertrauen und der aus dem off die Situationen beschreibt, die im Film eintreten werden.

Alles ist vom Regisseur klug komponiert und durchdacht. Jedoch hält der Film den Zuschauer auf Abstand. Nur manchmal wird diese Distanz durchbrochen. Etwa wenn Georg sich an seine Kindheit erinnert und ein Lied von Hans Dieter Hüsch anstimmt, oder wenn er das Kofferradio eines kleinen arabischen Jungen repariert, mit dem er einige Male Fußball spielt.

So sind die zeitlichen Überlagerungen nicht das eigentlich Irritierende oder sperrige Moment des Films, vielmehr sind es die Figuren selbst, die extrem künstlich bzw. chiffrehaft wirken. Petzold will uns damit wohl zum Nachdenken bringen, seine Methode erinnert an den Verfremdungseffekt, wie man ihn aus dem brechtschen Theater kennt. Ein mutiges ästhetisches Experiment, jedoch irgendwie blutleer – wie Gespenster eben so sind.

Daniela Kloock

Bilder: © Piffl