Riskant

Spike Lee ist einer der Großen unter den Filmemachern dieser Zeit. Nicht nur, weil seine Filme schön und intelligent sind, das sowieso. Sondern auch, weil er dazu bereit ist, immer wieder etwas zu riskieren. BAMBOOZLED (It’s Showtime) ist ein Film mit vollem Risiko.

Zwischen allen Genres, zwischen allen »sicheren« Positionen entwirft er ein Puzzle vom Rassismus der Gegenwart. Sein Film fängt als böse komische und direkte Mediensatire an: Pierre Delacroix (Damon Wayans), Dela genannt, der sein Harvard-Englisch und seine Karriere vor sich her spreizt, ist der einzige schwarze Autor bei einem TV-Sender, dessen Serien gerade einen dramatischen Quotenrutsch erleben. Warum Dela sich so spreizen muss, erkennen wir an dem kleinen, alltäglichen Rassismus, dem noch dieser Erfolgreiche ausgesetzt ist. Seine betont fröhlichen Grüße am Morgen werden von den Kolleginnen und Kollegen – wenn überhaupt – nur mit mürrischen Gesten erwidert, und zur Krisensitzung hat man ihn nicht informiert, so daß es dem Boß Dunwitty (Michael Rapaport) ein leichtes ist, ihn vor der versammelten Mannschaft zu demütigen. Kaum ist man unter sich, herrscht ein ganz anderer Ton, zwischen professioneller Bewunderung, verschwörerischer Kumpelhaftigkeit und der rassistischen Provokation. Dunwitty ist mit einer Afroamerikanerin verheiratet, und klar, er kennt die Schwarzen besser als die sich selbst, wie er großkotzig betont. Was Delacroix anbelangt liegt er ja nicht vollkommen daneben, jedenfalls sieht man ihm die Mühen an, zugleich Afroamerikaner und erfolgsorientierter Bürger zu sein. Nur im Traum haut er seinem Boß eine rein, der die »Nigger«-Sprüche nicht lassen kann. Jedenfalls, wenn Delacroix nicht mit einer zündenden Idee für eine neue Serie aufwarten kann, ist er es, der als erster seinen Job verlieren wird.

Nachdem er vergeblich versucht hat, für ein »realistisches« Format einzutreten, kommt ihm die wahrhaft zündende Idee. Wie wäre es, wenn man die alten Weisen der rassistischen Unterhaltung wieder aufnähme, die Minstrel Shows, in denen frühe schwarzgeschminkte (»blackface«) Weiße die zum Gaudium des Publikums die doofen Neger abgaben, arbeitsscheu, kindisch, in unübersichtlichen Familienverhältnissen, kurzum: die Sklaven, die von Natur sind, was ihre Besitzer aus ihnen zu machen versuchen. Die Traditionen von Minstrel und Blackface setzten sich auch in den Medien fort, als Radio- und Fernsehshows wie »Amos ’n‘ Andy«, in den Stereotyp-Rollen der Filme, von Uncle Tom über die gute Mammy bis zum »Coon«. Vielleicht nicht mehr ganz so glubschäugig, dicklippig und blackfaced wie einst, aber unübersehbar sind diese Bilder noch da.

Die zweite Geschichte ist die des Steptänzers Manray (Slavion Glover) und seines Freundes Womack (Tommy Davidson), der auch der Manager seiner Straßenauftritte ist. Dela, der des morgens an ihrer Performance vorbeizugehen pflegt und ihnen einen Dollar zusteckt, entdeckt in ihnen die idealen Darsteller seiner Serie. Und so geht eine Show in Produktion, die alle rassistischen Klischees aufeinandertürmt.

Für sich und für die anderen sieht Dela in der Show eine satirische Übertreibung, noch spielt er mit dem Gedanken, durch den skandalösen Flop aus seinem Vertrag herauszukommen. Aber »Mantan: The New Millenium Minstrel Show« wird zu einem Riesenerfolg. Afroamerikaner, die ihr Gesicht schwärzen, um dem Blackface-Modell zu entsprechen, spielen die Klischees vor einem Publikum, das sich lustvoll-regressiv selber in Blackface-Masken amüsiert.

Da gibt es noch eine Geschichte, die nach race, culture und class auch noch gender in die Konstruktion einfügt, die von Delas Assistentin Sloan (Jada Pinkett-Smith), die einmal eine kurze Affäre mit ihm hatte, die sich in Manray verliebt, und die sich mit ihrem Bruder Julius alias Big Black (Mos Def) streitet, Mitglied der militanten Rap-Gruppe der Mau Mau ist. Und dann gibt es noch die Geschichte von Dela und seinem Vater, der als Comedy Man in kleinen Clubs auftritt. Dela will nicht so enden wie er: als Seele ohne Erfolg und Reichtum.

Alles könnte in ein mehr oder minder erbauliches Lehrstück münden, in dem alle noch einmal ihre Lektion gelernt haben und zur politischen Korrektheit, zu Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit zurückkehren. Aber es ist schon ziemlich genial, wie Spike Lee seinem Film und seinem Diskurs diese liberale Lösung vermasselt: Manray hat gerade sein rebellisches Abschiedsstück gegeben und vor laufender Kamera erklärt, warum er nicht mehr den Nigger spielen will, den Tanz eines eher hellhäutigen, nicht gerade wie ein Baumwollpflücker aussehenden Städters will schon niemand mehr sehen. Da entführen ihn die Mau Maus und lassen ihn tanzen unter Pistolenkugeln. Klar, dass sie da mit den falschen Mitteln am falschen Menschen das Richtige tun wol-len…

Damit noch lange nicht genug. Die Blutbäder am Ende sind zugleich grotesk und wahrhaftig. Spike Lee gehört zu den wenigen Filmemachern, die eine Farce so inszenieren können, dass es einem das Herz herumdreht, und Herzherumdreh-Szenen so, daß man die Farce darin erkennt. Daß sein Kino ein Kino der Erkenntnis ist, für das er immer auch wieder Mittel der Verfremdung einsetzt, bei denen sich Brecht vermutlich auf die Schenkel klatschen würde, heißt nicht, dass es nicht auch ein Kino der Gefühle ist. Aber wie wir nicht lachen können in diesem Film, ohne darüber nachzudenken, mit wem und über wen man denn gerade lacht, so können wir auch den Schluss als exzessive Tragödie nicht ohne das politische Lehrstück sehen.

Wer oder was ist schwarz? Diese Frage ist so leicht nicht mehr zu beantworten. Aber genauso wenig ist sie zu ignorieren, nur weil es zur Zeit der New Millenium Minstrel Show auch schwarze Gewinner und weiße Verlierer gibt. Rassismus hört auch nicht auf, wenn man, wie Pierre Delacroix einmal fordert, die Widersprüche auf allen Seiten der Straßen und Barrikaden sieht. Die Identifikation als »Schwarzer« oder »Weißer« reicht gelegentlich aus, um umgebracht zu werden; sie reicht nicht aus, ein autonomes Subjekt zu begründen. Wer nur schwarz oder weiß ist, ist vermutlich nicht einmal das richtig. Aber wer glaubt sich durch Erfolg, durch die Liebe, durch die Kunst, durch die Politik, durch das Entertainment von seiner »Hautfarbe« verabschieden zu können, liegt auch falsch.

Es gibt vier Arten, schwarz (oder weiß oder sonst was) zu sein: Durch die »Natur« der Erscheinung, durch die Geschichte, durch die eigene Entscheidung, durch die Identifikation der anderen. In »Bamboozled« sehen wir, wie »durcheinander« diese Identifikationen einer Hautfarbe sind. Alle Transitionen sind zugleich möglich und müssen scheitern. Von Pierre Delacroix sagt seine Assistentin und frühere Geliebte, er sei zwar ein »Neger«, aber nicht »schwarz«. Im Zuschauerraum der New Millenium Minstrel Show wollen sich alle als »Nigger« sehen (jeder und jede behauptet, er sei in Wahrheit der Schwarze). Aber auch eine »politische« Verwandlung funktioniert nur in einem bestimmten Kontext und wird wieder aufgehoben durch den Blick der anderen. Der vierfache Blick des Rassismus treibt jeden einzelnen Menschen in die Falle. Nur das Kino kann dieses tödliche Prisma wiedergeben. Jedenfalls wenn es so schön und intelligent ist wie das von Spike Lee.

Georg Seeßlen