Gérard Lauzier ist ein Comic-Zeichner mit wuchtigem, indiskretem Strich. Er erzählt von allerlei Großstadtneurotikern, die sich grotesk verrenken, wenn die Gesellschaft in ihr Intimleben greift. Und das tut sie bei Lauzier immer. Auch „Souvenirs d’un jeune homme“, der Comic, nach dem Lauzier den Film „P’tit Con“ schrieb und inszenierte, geht einigermaßen unbarmherzig mit seinen Alltagshelden um. Um so erstaunlicher ist es, diesen „bösen“ Zeichner als einen Regisseur zu erleben, der nun seine Geschöpfe in sehr viel freundlicherem Licht zeigt.

Der „kleine Spinner“ Michel ist gerade 18 Jahre alt geworden, und in seiner bürgerlichen Familie wird es ihm eng. Die Suche nach Alternativen freilich führt nur in Sackgassen von überkommener Nach-68er-Phraseologie und eigener Wehleidigkeit. Bei einem älteren Hippie-Paar und seiner kleinen Kommune findet er Unterschlupf und „Verständnis“.

Eines Nachts – gerade hat Michel wieder versucht, einen seiner geliebten Parias zu „retten“, der sich hintendrein als versoffener Faschist entpuppte – lernt er in einer finsteren Gegend das algerische Mädchen Salima kennen. In seinem Traum von ihr fließen politische und erotische Schwärmereien zusammen. Um sich vor dem Jugendgericht zu verbergen, lebt sie mit ihm in einem Zimmer, das die Eltern für ihn gemietet haben. Statt allerdings mit seinen Bekehrungs- und Annäherungsversuchen Erfolg zu haben, erlebt Michel eher das, was er in seinem Tagebuch als „den Abstieg in die Hölle“ bezeichnet.

Die wird erst richtig brenzlig, als Salimas Freund aus dem Knast kommt und mit in dem Zimmer wohnt. Und als die beiden dann endgültig verschwinden, versucht es Michel mit einem Selbstmord, der natürlich ebensowenig gelingen will wie alles andere. Danach findet er wieder Unterschlupf bei seinen Hippie-Freunden, aber diese Idylle will auch nicht mehr so recht funktionieren. Zum guten Schluss kann Michel gerade noch den Zusammenbruch seiner eigenen Familie verhindern und die 14jährige Claudine aus ihrer „Hölle“ befreien.

Daß der Film so viel milder mit dem »P’tit Con« umgeht als die Zeichnungen, hat eine Ursache darin, daß Schauspieler wirkliche Menschen sind, die man nicht wie gezeichnete Figuren ohne Anteilnahme beobachten kann. So sieht es jedenfalls Lauzier. Und in der Tat dürfte es jedem Schauspieler der Welt schwerfallen, längere Zeit so blasiert und schimmerlos dreinzuschauen wie der kleine Spinner des Comics. Vielleicht aber hat es auch noch einen anderen Grund. Der Film zwingt Lauzier ein wenig dazu, Farbe zu bekennen. Seine kleine Komödie wäre, wenn sie so bösartig daherkäme wie sein Comic, nämlich hoffnungslos reaktionär. Eine von jenen Satiren, bei denen der Spott auf die banalen Widersprüche der „alternativen Alltäglichkeit“ umzuschlagen droht in den Spott auf die Suche nach Alternativen selbst.

So hat Lauzier gerade noch der Versuchung widerstanden, im Gewand einer Pubertätskomödie eine Apotheose der Klassengesellschaft zu verfilmen. »Kleiner Spinner« ist eher eine amüsante und recht französische Illustration der These, dass jeder zugleich Opfer und Teil des Systems ist (was immer man sich darunter vorstellen mag) und daß Erwachsenwerden etwas damit zu tun hat, diesen Verrat, der im Leben selber steckt, die eigene Mittäterschaft, zu akzeptieren.

Daß es der Film eines Zeichners ist, zeigt sich vor allem in den Details. Lauzier hat zum Beispiel eine große Lust daran, kunstvall „Unordnung“ zu arrangieren. Er überfüllt manche Bilder mit kleinen und kleinsten „Zeichen“. Doch die Liebe zum Detail, die vom Zeichnen kommt, will sich nicht immer auflösen in einem Großen und Ganzen, das den Film ausmacht. Eine große Anzahl genau beobachteter und wiedergegebener Kleinigkeiten ist noch nicht ganz das, was man Atmosphäre nennt.

Was hübsch ist an diesem kleinen Film, neben Vermeidung der erdrückenden Klischees der französischen Pubertätskomödie, das ist der ziemlich lässige Umgang mit den Gags. Lauzier verschenkt ein paar davon ganz offensichtlich, andere deutet er nur an und lässt sie uns selber zu Ende denken. Er versucht jedenfalls nicht, was Mode geworden ist, uns unter Lachzwang zu setzen.

Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd Film 11/84