Robert Aldrichs Filme

Bei Robert Aldrich fallen mir drei Wörter ein: Amerika, Wahrheit, rüde. Aber „rüde amerikanische Wahrheiten“, das gibt leider nicht das one-sentence-says-it-all, von dem wir träumen, sondern allenfalls so eine catchy Überschrift, auf die wir Kritiker so viel Zeit und Liebe verwenden. Der Fall ist, wieder einmal komplizierter, und ich muß, wieder einmal, weiter ausholen.

1. Der erste Film, der für mich ein Film war, und nicht, zum Beispiel, Kino, ein Wildwester, die Jugendvorstellung als Alternative zum Kindergottesdienst, ein Film, von dem auch ich nicht zum nächsten, sondern immer und meinethalben auf Umwegen zu diesem zurück wollte, das war »Apache« (Massai, 1954). Ich gestehe, dass ich wohl viel zu lange der Massai der Bogenhausener Hinterhöfe war.

Die Woche darauf gab es »The Vanishing American« (Der letzte Indianer, 1954), von Joe Kane, und von da an sollte ich wissen, daß es nicht nur auf die richtigen Träume, sondern auch auf die richtige Art zu träumen ankommt. Ich will damit nicht etwa sagen, ich hätte mit acht Jahren den Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Film verstanden (das habe ich bis heute nicht); es war nur die Idee in mein unzufriedenes Ach-wäre-ich-doch-in-ArizonaGehirn gesenkt, dass einige Dinge anders, stärker, tiefer zu einem sprechen als andere.

Viel später erfuhr ich, dass der Regisseur, Robert Aldrich, in der ursprünglichen Intention Massai unter den Kugeln der Weißen sterben lassen wollte. Ich weiß nicht, ob ich das Aldrich, dem Kino und allen Beteiligten verziehen hätte. Den Bogenhausener Hinterhöfen wäre jedenfalls eine Menge Ärger erspart geblieben.

Vielleicht ist Erwachsen-Werden unter anderem jener schmerzliche Prozess, in dem man erkennt, dass Mr. Aldrich mit Massais Tod den besseren Schluss gedreht hätte. Besser, Träume zu durchmessen, als in ihnen gefangen zu bleiben. Burt Lancaster, Co-Produzent von »Apache«, der sich für den – scheinbar – glücklicheren Schluss entschied, dachte an die Kinder und an das Geld; Robert Aldrich an Erwachsene und, ja was? Kunst ist es nicht, und auch das Handwerk mit bekanntlich goldenem Boden nicht. Eine merkwürdige Kraft, der Erwachsenen-Stachel in den Kinderträumen: Wahrheiten, die nicht groß sind und die jeder kennt, sondern klein, und keiner will sie hören. Mit anderen Worten, es sind keine moralischen Wahrheiten, schön systematisch abgesichert, sondern direkt, sinnlich und rüde: der Atem muß einem stocken. So etwas entsteht nicht, indem man etwas sagt, sondern indem man es unterlässt, das Gesagte zurückzuholen in den Kreis der verlässlichen Konventionen.

Ein Schlüsselfilm dafür ist vielleicht »Ulzana’s Raid« (Keine Gnade für Ulzana, 1972), Aldrichs Rache für »Apache«’s falschen Schluss. Hier erfahren wir unter anderem, daß eine (die indianische) Kultur nicht besser ist als die andere (die weiße), sondern etwas viel faszinierenderes: anders. Der Augenblick der Wahrheit, man weiß das vom Stierkampf, sagt nichts über das „besser“ oder „schlechter“ aus; er lässt nur dem Sieger den zweifelhaften Triumph und dem Verlierer die zweifelhafte Schönheit, Dieses „gut“ und „schlecht“ aus unseren Kinderträumen zu vertreiben, ist die erstrebte „Kunst“ des Robert Aldrich. Vielleicht ist das Ritual nicht viel zukünftiger als das ewige moralische Drama, aber wer zur Stille im Lärm aufbrechen will, braucht das Ritual.

2. Nun ist ja auch das Kino nicht der Ort der Träume geblieben, die Wärme und Heimat, aus der der kleine Truffaut Identitäten zimmert. Aldrichs „große“ Filme sind nicht Filme über Krisen, es sind selber Krisen, passend und manchmal erfolgreich in einem Krisenkino. Diese poetischen Bastarde scheinen überall aufzutauchen, wo das alte schon nicht mehr, und das neue noch nicht geht. Seinen »Killing of Sister George« (Das Doppelleben der Sister George, 1968), hat man von den „normalen“ Kinos in die gerade entstandenen x-rated Spezialkinos verbannt; was für ein Bild für die Zersetzung des Kinos! Fast jeder Aldrich-Film hat sowohl eine krisengeschüttelte Produktionsgeschichte als auch eine solche Kino-Geschichte. Manchmal hat man in dem Bemühen, seine Filme mit den falschen Titeln, der falschen Werbung in die falschen Kinos zu bringen, Aldrichs Arbeiten genau dorthin gebracht, wo sie hingehören. Sie haben sich zerrieben und aufgeheizt an den Krisen des Kinos.

Nicht ganz zufällig kommt mir Henry Miller in die Hände: „Wenn der weiße amerikanische Mörder sich auf die Hinterbeine stellt und anfängt zu speien und zu spucken, wird Europa, dieser alte Schauplatz blutigen Gemetzels, wie ein Hafen des Friedens erscheinen. Wenn die Dämme nachgeben – und sie sind bereits nahe daran -, wird nichts zu phantastisch oder teuflisch sein – zu unaussprechlich grauenhaft -, das nicht geschehen könnte. Schon jetzt ist der Ausdruck auf den amerikanischen Gesichtern, besonders in den Städten, ein erschreckender. Wenn ich das Foyer eines Großstadtkinos betrete, eines der wenigen Plätze, wo man in einer Großstadt Frieden und Einsamkeit finden kann, überwältigt mich immer das völlige Fehlen einer Beziehung zwischen der Umgebung dieser prächtigen Ruhepaläste und der Mentalität jener, die sie mit vieler Mühe schufen. Oft ist mir ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen, wenn ich mir den Mann ansah, der neben mir im Pissoir stand.“

Aldrich-Filme, böse, genau, manchmal mitleidig, gelten diesem Mann im Pissoir. Sie feiern ihn nicht, sie kritisieren ihn nicht, sie analysieren ihn nicht. Sie zeigen ihn (und natürlich seine Frau). Das ist schrecklich genug.

3. Hier ist ein schöner Satz aus dem „Film-Lexikon“: „In den vierziger Jahren verließ er die erfolgreiche Firma seiner Familie und ging nach Hollywood“. Was für ein Karrierestart! Man verläßt provinziell-erfolgreiche Kleinkrämerei, um nach Hollywood zu gehen. Nach Westen, zum Zirkus, in die Kolonien, in den Krieg. Und wozu? Nein, zunächst einmal, um zu lernen. „Von Renoir lernte ich, wie wichtig Authentizität und Genauigkeit in der Präsentation von Bauten und Kostümen ist; von William Wellman lernte ich, wie wichtig es ist, sich ganz auf die jeweilige Produktion zu konzentrieren und alles an Einflüssen von außen fernzuhalten; von Milestone lernte ich, wie wichtig es ist, die Schauspieler diplomatisch zu behandeln. Und einige Jahre später lernte ich von Chaplin bei »Limelight« (Rampenlicht, 1952), wie wichtig Kraft und Begeisterung für den Film sind“.

Darüberhinaus arbeitete Aldrich noch mit Joseph Losey, Robert Rossen und Abraham Polonsky zusammen, und all das provoziert das Bild vom jungen Mann, der das Glück hat, an Lehrmeister zu geraten, die ihm mehr als das Handwerk vermitteln. Er kommt früh genug, um noch etwas vom Enthusiasmus der Hollywood-Linken mit auf den Weg zu bekommen, aber zu spät, als daß nicht Unterdrückung, Schwarze Liste, Denunziation, McCarthy, der kleine Tod im Verrat als Schatten seine weitere Arbeit begleiten müsste. Robert Aldrich war und blieb lange Zeit ein Mann des Zorns, der Billy the Kid der Hollywood-Linken. Seine Filme sind Racheakte an Hollywood und an sich selbst. Als nämlich Aldrich, nach kurzer Zeit TV-Arbeit, Filme zu inszenieren begann, war die dramatische Phase des McCarthyismus schon wieder vorbei, Verbote und Unmöglichkeiten hatten sich bereits strukturell und alltäglich gemacht. Viele von Aldrichs Filmen, beginnend mit »The Big Leaguer« (1953), bilden (Männer-)Systeme ab, in denen Gewalt und Korruption leichtes Spiel haben. Dahinter steckt zum einen die Lektion, die er von seinen Lehrmeistern gelernt hat: „Don’t blame the man, blame the system!“, das ist zum andern eine Hollywood-Formel für die Konstruktion des Anti-Helden und für die Schaffung von Distanz. Und das ist zum dritten auch Aldrichs ganz persönliche Mythologie: In einem System, egal, wie es beschaffen sein mag, wie groß oder klein es ist, wie sehr es die Gesellschaft repräsentiert oder ihr entgegensteht, kommt es zum Konflikt, weil immer irgend jemand darin in die Enge getrieben wird und sich nur mit einer sogar für ihn selbst überraschenden Brutalität aus dieser Situation befreien kann (oder auch nicht).

Aldrichs Helden sind oft zugleich Produkte wie Außenseiter dieser Systeme. Man mag das als einen durchgehenden Zug der politischen Autobiographie des Regisseurs betrachten. Es ist aber natürlich auch der beste Kunstgriff, um die Interaktion zwischen Einzelnen und System zu demonstrieren, und zwar in Action.

Natürlich kommen dabei Bilder von ausgesprochen häßlichen Amerikanern heraus. Gelegentlich füllten sich auch die Kinos mit noch viel hässlicheren Amerikanern, die ihren Ebenbildern auf der Leinwand begeisterten Beifall spendeten. Robert Aldrich sah auch das, und wurde noch böser. „Er liebt kranke, kaputte und abstoßende Sachen“ sagte Joan Crawford.

Der „linke“ Aldrich exploriert unentwegt „rechte“ Charaktere, Mike Callaghan (Dan Duryea) in » World for Ransom« (Menschenraub in Singapur, 1954), Mike Hammer (Ralph Meeker) in »Kiss Me Deadly« (Rattennest, 1955) undsoweiter. Immer wieder geschah es, daß man statt der Exploration nur die Faszination bemerkte, die von diesen Charakteren ausging – das reicht bis hinter »The Dirty Dozen« (Das dreckige Dutzend, 1967). Robert Aldrich wünschte sich später, er hätte »Kiss Me Deadly« nie gedreht, aber so besehen hätte er mindestens die Hälfte seiner Filme nicht drehen dürfen. „Don’t blame the man, blame the system“.

Der eine Held Aldrichs ist der Mann, der in seinem „System“ so überfunktioniert und heißläuft, daß er es unterwegs zur Kenntlichkeit entstellt. Der andere seiner Anti-Helden ist der Mann, der zu denken begonnen hat, aber von einem Kompromiß in den anderen und schließlich in die Katastrophe wankt. Rudimentär und verwaschen von den eigenen Mythen der Schauspieler sind beide vorhanden in »Vera Cruz« (1954). Charlie Castle (Jack Palance) in »The Big Knife« (Hollywood Story, 1955), ist die reinste Darstellung des zweiten.

Natürlich war mit diesem Schauspieler ebenso eine „reale“ Figur abgebildet wie mit diesem schrecklichen Produzenten (Rod Steiger), und wieder sollte auch das „System“ gehörig etwas abbekommen. Darüber hinaus geht es aber auch um eine weitere thematische Leitlinie bei Aldrich: der Hass zwischen zwei Männern, der als Lösung nur die physische Vernichtung offen läßt. Solche Duelle bezeichnen die Unmöglichkeit jeden ideellen und materiellen Systems; der „Anarchismus“ von »Apache« (1954) war kein Zufall. Diese Hass-Geschichten, die Aldrich immer wieder, und gelegentlich so brutal wie in »Attack!« (Ardennen 1944, 1956), zelebriert, stehen freilich zugleich auch wieder für die Stabilität solcher Systeme. Jedes Gewalt-Ritual stellt ein System in Frage, um es am Ende zu stützen. Wenn er aus diesem Widerspruch einen Weg gewusst hätte, dann hätte Robert Aldrich ihn uns bestimmt mitgeteilt. Vielleicht hätte er uns in »Yakuza« (1974) einen Hinweis geben können, aber da wurde ihm die Regie genommen. Blame the man: Robert Mitchum.

Wenn die Beziehung zwischen Männern zuerst der Haß ist, dann erst recht die Beziehung zwischen Männern und Frauen und die Beziehung zwischen Frauen. Liebe, die Ehe, mehr noch, jede „häusliche Gemeinschaft“ ist auch nur ein weiteres „System“, für das kompromisslerische Lüge gefordert wird und in dem die Beziehung, wenn dies nicht mehr funktioniert, in blanken, mörderischen Haß umschlägt. Die Menschen in Aldrichs Welt trachten danach, einander wie einen Incubus loszuwerden, und das System lässt ihnen dafür keinen anderen Weg als den Mord. Wir erinnern uns für eine Sekunde an Henry Millers Mann im Pissoir.

So führt eine gerade Linie von »Autumn Leaves« (Herbststürme, 1956) zu »Whatever Happened to Baby Jane« (Was geschah wirklich mit Baby Jane?, 1962), zu »Hush, Hush…Sweet Charlotte« (Wiegenlied für eine Leiche, 1965) und darüber hinaus zu »The Grissom Gang« (Die Grissom Bande, 1971). „Sozialkritik“ (das sozialliberale Passpartout) hat damit wenig zu tun. Es ist die andere Seite von Aldrichs Privatmythologie und von seinem ständig weiter gewobenen Bild vom „amerikanischen Faschismus“.

4. »The Dirty Dozen« brachte 1967 für Aldrich dann den kommerziellen Erfolg, der es ihm gestattete, sich als Produzent selbständig zu machen. Ob dieser Erfolg zufällig war, oder ob sich Aldrich in die Rolle seines zweitliebsten Helden begeben hatte, oder ob er schließlich gar diesen Erfolg „geplant“ hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Jedenfalls läßt sich in »The Dirty Dozen« ebenso ein mörderisch unterhaltsames Remake von »Attack!« sehen wie ein gewaltiger, blutiger Witz. Ein Witz war es auf jeden Fall in Bezug auf eine weitere von Aldrichs Besessenheiten: der männlichen Todessehnsucht. (Es ist dies jene Eigenschaft, die Verteidigungsminister Wörner bei uns so schmerzlich vermisst; er gäbe eine gute Nebenfigur ab in einem von Aldrichs Witzen über irrsinnige Männergesellschaften.)

Aldrich kaufte das alte Mary Pickford Studio und nannte es, yes, certainly, Aldrich Studios (Mehrzahl). Er glaubte schon, das „System“ Hollywood mit den eigenen Waffen geschlagen zu haben. Und er drehte 1968 »The Killing of Sister George« und machte Furore als Fall für die Zensur. Der Grund dafür war nicht so sehr das Thema der gleichgeschlechtlichen Liebe, du liebe Güte, in diesen glanzvollen Sechzigern trug man bereits Aufgeklärtheit. Vielmehr war es Aldrichs Weigerung, das Thema „geschmackvoll“ zu behandeln. Und es war eben jene lange Szene, in der uns die Liebkosung einer Lesbierinnenbrust näher gezeigt wird, als unseren ikonengewohnten Augen zuzumuten war, die Entrüstung hervorrief, als wäre wer weiß was geschehen. Und es war in dieser Szene etwas geschehen: eine ganze Konzeption von Sex hatte einen Schlag erhalten. Er schmerzte fast noch mehr als die vielen anderen erotischen Obsessionen, von denen Aldrichs Filme randvoll sind. Der massiv gezeugte, infantile Busenkult Hollywoods war durch eine einzige Einstellung als ziemlich lächerliche Veranstaltung kenntlich. Wieder war ein kleiner Moment der Wahrheit dazu angetan, aus dem endlosen Kindertraum zu reißen.

Man befand die Szene als ausgesprochen „unerotisch“ („die längste, unerotischste, geldgeilste Szene zwischen einem Menschen und einer Brust, die man jemals auf der Leinwand gesehen hat“ maulte die Filmkritikerin der „New York Times“) und verbannte den Film deshalb, ohne sich über den Widerspruch lange aufzuhalten, ins Sexkino.

Eine kultivierte, „erotische“ Szene wäre wohl von Robert Aldrich auch nicht zu erwarten gewesen. Er rückt seinen Frauengestalten ebenso auf den Leib wie seinen haß- und angsterfüllten Männern. Dabei hat Aldrich nie etwas anderes gedreht als sexuelle Filme, manchmal sogar veritable Orgasmus-Filme (was man in der Tat auch wieder unerotisch nennen kann). Bewegung und Rhythmus seiner Filme sind blanker Sex, aber eben Sex von rüder, wahrer Qualität, nicht wie man Sex genießt, sondern wie man Sex lebt. Meistens. Sexualität (und immer wieder auch Homosexualität) ist nicht die Feier, die Sinnstiftung über das Alltägliche hinaus, die ersehnte Kultur der Lust; es ist vielmehr die gewalttätige, bewusstlose Lebenskraft, die vorwärts treibt, über Tote hinweg und selber in den Tod.

»Sodom and Gomorrha« (1962 in Italien gedreht) ist kein sonderlich typischer Aldrich-Film, und doch einer, den er „machen musste“, um die „Zusammenhänge von Schmerz und Ekstase“ dazustellen. Alle Filme Aldrichs zusammen genommen ergeben erst seinen wahren „Sodom und Gomorrha“-Film.

5. Was »Dirty Dozen« für seine Action- und Männerfilme, das ist »The Grissom Gang« für seine Melodram- und Frauenfilme: die letzte Steigerung, in der der Umschlag in die Parodie schon steckt. Hier ist einmal, nein mehrere Male, ganz direkt angesprochen die Identität von Gewalt und Orgasmus. Das ist allerdings meilenweit entfernt etwa von einer de Sadeschen Konzeption der Sexualität, denn niemand ist davon mehr überrascht als Aldrichs Helden selber. Sie haben nicht die Kunst der Inszenierung, sich über ihre Leidenschaften zu erheben. Ganz zwangsläufig müssen sie sich nach solchen Erfahrungen gegenseitig und selber hassen. Die ganze blutige Geschichte von »The Grissom Gang« ist ein langer Deflorationstraum. Und immer wieder, immer wieder wird Massai am Ende erschossen.

Die Frau, der Robert Aldrichs Interesse gilt, ist nicht die amerikanische Frau; was ihr überhaupt „Geschichte“ gibt, ist, daß sie nicht ins Bild der amerikanischen Traumfrau passt. Ihre Sexualität, was immer das sein mag, ist nicht so zu kontrollieren wie die der Sexbombe, deren Beschaffenheit wir kennen (schließlich haben wie sie selbst erfunden). Schon von daher zieht sie mehr oder minder organisierte Gewalt an, für Aldrichs Frauen sind die Männer an sich schon wieder ein System, an dem, wie auch in »The Legend of Lylah Clare« (Große Lüge Lylah Clare, 1968) der eigene „Selbstentwurf?“ scheitert.

»Ulzana’s Raid« verhält sich zu »Apache« wie »The Dirty Dozen« zu »Attack!«, oder aber auch wie »Too Late the Hero« (auch »Suicide Run«; Zu spät für Helden – Antreten zum Verrecken, 1970) zu »Dirty Dozen«: Steigerung und Reflexion in einem. Bei genauerem Hinsehen erweist sich auch hier die Gewalt als nicht kulturell, historisch sondern auch als sexuell motiviert: Es ist „Macht“, Lebenskraft, was sich die Apachen von der Folter ihrer Opfer erhoffen. (Übrigens frage ich mich manchmal, ob Mr. Aldrich einmal ein Nietzsche-Paperback in die Hände bekommen hat.)

Mit solch strengeren, weniger unberechenbaren Filmen eroberte sich Robert Aldrich die Gunst der Kritiker zurück. Aber überwältigende Kassenerfolge gab es nicht mehr, und so musste er sein Studio verkaufen, um wieder für die großen Companies zu arbeiten.
Die Unabhängigkeit ist ein Traum.
Nimmt man seine letzten Filme zusammen – auch wenn zum Beispiel »Ultimatum« (Das Ultimatum, 1976) so sehr non-Aldrich sein sollte wie »Four For Texas« (Vier für Texas, 1963), so ergibt sich am ehesten das Bild einer gelassenen, von falschen Ambitionen und richtigen Illusionen gereinigten Rückschau. Dieser Teil des Werks ist das Remake von »Sodom und Gomorrha« im Gewand des Rituals; nahezu alle Filme beziehen sich nun direkt oder indirekt auf frühere Arbeiten, vereinfachen, klären ab, lockern auf. Immer wieder tauchen Motive aus »The Dirty Dozen« auf, in »The Longest Yard« (Die Kampfmaschine, 1973) ebenso wie in »The Choirboys« (Die Chorknaben, 1977), »Hustle« (Straßen der Nacht, 1975) ist schwarz, erotisch und kontinental, der Treffpunkt des „Dozen“- und der „Baby Jane“/„Grissom“-Linie, und »The Frisco Kid« ist sanft (zumindest an der Oberfläche), und wie »Apache« als Dokumentation einer Flucht aus Sodom und Gomorrha.

In der Stunde der Verzweiflung wird der amerikanische Actionfilm orientalisch, denn es gibt keine Moral mehr, die er zu vertreten hätte. Robert Aldrichs Werk ist dafür mehr als ein Beispiel. Moral war hier von vorneherein eine zweifelhafte Größe. Aber nun ist auch die Freiheit da, den unfruchtbaren Boden der Erklärungen zu verlassen. In der Welt der Rituale haben ideologische Legitimationen keine Chance. Da sie nichts sagen, sagen sie nie etwas Falsches. Sie beweisen allerdings, dass wir im Augenblick noch leben. Der Augenblick der Wahrheit kommt immer. Morgen wird Massai wieder erschossen. Was dann?

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht  in epd Film 2/1984