LOHN DER ANGST ist der existentialistische Abenteuer-Thriller par excellence. Wie funktioniert er?

In einer längeren Exposition erfahren wir etwas vom Leben in Las Piedras, einem Ort in Venezuela, wo sich die gestrandeten europäischen Abenteurer in einer schäbigen Bar treffen, wenn sie der fiese Patron nicht davonjagt.

Ein Kind spielt mit Käfern, die es an Fäden festgebunden hat. Ein Straßenverkäufer schiebt seinen Karren über die von Pfützen gezeichnete Staubstraße, auf der ein Geier sitzt. Dann erst öffnet sich der Blick: Im Hintergrund des elenden Dorfes sind die Fördertürme der großen amerikanischen Ölfirma zu sehen. Ein Jeep der „S.O.C.“ rast durch die Straße, und die bewaffneten Männer darin wirken wie die Soldaten einer Besatzungsmacht. Die Einwohner, die auf Eseln reiten oder aber unter schattigen Vordächern spinnen, nehmen sie nicht zur Kenntnis. Dann wird man einiger Europäer gewahr, die offensichtlich zu einem qualvollen Warten verurteilt sind. Ein angebundener Hund wird durch Steinwürfe gequält. „Erinnert mich an einen Polizeihund“, sagt der Werfer, und Mario, der Korse aus Paris, wirft ein: „Vergangenheit interessiert kein Aas“.

Mit diesen Szenen ist schon fast alles über die trostlose Situation der Männer und ihre Herkunft gesagt. Mario wendet sich an Linda, die Kellnerin der Bar, die offensichtlich alles für ihn tut und ihn anhimmelt, auch wenn er sie sehr von oben herab behandelt. Der Besitzer der Bar verlangt nach einer Bestellung, und nur der „Doktor“ genannte Mann bestellt ein Glas Limonade. Mario, der von Linda ein Päckchen Zigaretten zugesteckt bekommt, antwortet mürrisch auf die Frage, ob er sie heute Abend besuche. Aber als der Patron sie mit der Peitsche strafen will, tritt er dazwischen.

Ein Flugzeug fliegt tief über diese Szene zum Flughafen von Las Piedras. Während der Patron den Deutschen Bimba zum Flughafen schickt, betritt ein weiterer Ausländer den Boden von Las Piedras, der großspurige Ex-Gangster Jo, der den Zollbeamten besticht, ihn als Tourist mit einem Visa zu versorgen. Durch ein Lied, das die beiden pfeifen, erkennen Mario und Jo, dass sie beide aus Paris stammen. Die beiden werden sehr schnell ein unzertrennliches Paar, und für den weltläufigen Mann im weißen Anzug verrät Mario nicht nur Linda, sondern auch seinen Freund, den italienischen Arbeiter Luigi, mit dem er seine kleine Wohnung teilt.

Mario erklärt die Lage: „Aus dem Loch kommt keiner heraus. Die Entfernungen sind zu groß.“ Man braucht Geld, um von Las Piedras wegzukommen, aber es gibt keine Jobs mehr bei den Amerikanern. Jo kennt den Boß der Ölfirma, Bill O’Brien. Nachdem er ihn vergebens um einen Job gebeten hat, versucht er ihn zu erpressen. Aber Bill zeigt ihm seine Grenzen, als er ihm die firmeneigene Polizei präsentiert. In der Bar kommt es zum Streit zwischen Luigi und Jo. Nachdem Jo ihn mit Champagner bespritzt hat, will sich Luigi auf ihn stürzen. Aber da hat Jo eine Pistole in der Hand. Er gibt sie Luigi und versetzt ihm eine Ohrfeige. Aber Luigi kann nicht abdrücken. „Ich bin kein Mörder“, sagt er, und verläßt gedemütigt die Kampfstätte.

Die Charaktere sind nun bekannt; der Film entwickelt die zweite Phase, die Voraussetzungen für die eigentliche dramatische Handlung. Ein Bohrloch brennt, und es gibt nur eine Möglichkeit, das Feuer zu löschen, nämlich eine Ladung Nitroglyzerin zu zünden. Dazu aber muß diese hochexplosive Ladung erst durch die Wildnis gefahren werden. Man sucht unter den Gestrandeten, die nichts zu verlieren und keine Familien haben, die Ansprüche erheben könnten, vier Fahrer, und neben vielen anderen bewerben sich auch Mario, Jo, Bimba und Luigi, der wegen eines Lungenleidens seine Arbeit verloren hat und nach Hause zurückkehren will. „Ihr wißt nicht, was Angst ist. Ihr werdet sehen: Die Angst überfällt einen wie die Pocken. Und wer sie kriegt, behält sie für sein Leben“, sagt einer, der das Handtuch wirft. Luigi, Bimba und Mario werden ausgewählt; Jo muß zuerst einen Konkurrenten unschädlich machen. Im Abstand von einer halben Stunde fahren die beiden Lastwagen los, Jo und Mario im ersten, Bimba und Luigi im zweiten.

Die Fahrt muss erweisen, was in den Männern steckt: Bimba, der seine Erfahrungen im Nazi-Deutschland in Härte und Unnahbarkeit verbirgt, der leutselige Luigi mit seinen kleinen Träumen und seiner Gutmütigkeit, Mario, der entschlossen ist, in sein geliebtes Paris zurückzukehren, und schließlich Jo, der immer mehr abbaut, vor Angst kotzen muss und Marios Achtung schnell verloren hat.

Als erstes muß eine enge Straßenstelle überwunden werden, die nur über eine schon morsche Rampe umfahren werden kann. Jo versucht zu flüchten, wird später aber wieder von Mario aufgenommen. Ein Felsbrocken versperrt den Weg, und Bimba gelingt es, ihn mit etwas Nitro in die Luft zu sprengen und den Weg frei zu machen. Doch kurze Zeit später fliegt der Wagen von Luigi und Bimba, der nun die Führung übernommen hat, in die Luft. Mario und Jo kommen an die Stelle des Unglücks, wo die Explosion eine Ölleitung zerstört hat, und das auslaufende Öl bildet einen kaum noch zu durchquerenden Olsee. Jo muss vorangehen in den Ölsumpf, um Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Jo verfängt sich im Gestrüpp, und Mario kann nur die Augen schließen und ihn überfahren. Mit dem Schwerverletzten im Arm fährt er weiter und erreicht schließlich das Ölfeld. Jo ist tot.

Mario erhält die Belohnung und fährt mit dem LKW zurück. Seine Freude macht ihn übermütig. Er verliert die Kontrolle über den Wagen und stürzt in den Tod.

Die Stärke des Films liegt darin, dass er genau diese Geschichte erzählt, und daß er sie genau erzählt. Jedes einzelne Element, der Aufbau der Spannung, die integrierte, lakonische Beschreibung der Charaktere, die wechselseitige Bezogenheit von Hintergrund, Handlung und Philosophie (ein auf den Handlungsfilm projezierter, überdeutlicher und damit ein wenig zeitlos-jugendlich gewordener Populär-Existentialismus), das glückliche Casting, die Atmosphäre des vergeblichen Abenteuers in der nach- oder schon wieder neokolonialen Zeit, die symbolischen Landschaften des „späten“ Abenteuers, die präzise Kamera von Armand Thirard und Louis Nee, die, stets auf das Wirkliche und das Wichtige gerichtet, uns zu Beobachtern macht, die alle Gefahren erleben, und natürlich auch die Romanvorlage des großartigen Georges Arnaud – alles ist in einem Sinne „richtig“, dass es uns heute scheinen mag wie aus einem imaginären Lehrbuch für das Kino übertragen. Warum aber ließ sich so etwas nicht wiederholen, warum ließ sich aus LOHN DER ANGST (der trotz seiner „Ganzheit“ seine Konstruktion ja nicht verbirgt) so wenig für die zweite Garde des Genres lernen, warum schließlich scheiterte ein so talentierter Regisseur wie William Friedkin (der mit seinem EXORZISTEN für ein anderes Genre einen fast ebenso perfekten, nahezu „lehrbuchmäßigen“ Film geschaffen hat) so sang- und klanglos an einer Neuverfilmung? Die eine Antwort ist, daß sich in der Filmgeschichte nichts wirklich wiederholen lässt, außer als Komödie.

Was aus einem Film zu lernen ist, ist zugleich veraltet, muß wieder verworfen werden; die Vollendung ist zugleich das Ende. Eine zweite Antwort ist, dass in der kollektiven Form der FiImproduktion die Meisterwerke nicht nur als Dokumente des Formwillens der Regisseure sondern auch als glückliches Zusammentreffen verschiedener Talente entstehen. Und eine dritte Antwort: LOHN DER ANGST konnte nur als der richtige Film zur richtigen Zeit ein Klassiker werden.

LOHN DER ANGST war nie wirklich fort. Er gehört zum mehr oder minder gesicherten Fundus der Filmgeschichte, zugänglich im Fernsehen, auf Video, in den Museen und Retrospektiven. Aber erst jetzt ist er uns wieder so nahe (wie andererseits die kunsthandwerklichen Filme von Cocteau), dass wir das Kino brauchen, hinter seiner Funktionalität die Aussage zu sehen. So wie 1987 dem Jahr 1952 nah ist, so ist uns die Botschaft nahe vom Verlieren in Freiheit, von der gleichzeitigen Produktion von Prosperität und Hoffnungslosigkeit.

Karel Reisz hat vor langer Zeit geschrieben: „Zugegeben, dieser Film ist anti-amerikanisch, aber es wäre unfair, ihn auf diese Tendenz festlegen zu wollen, denn LE SALAIRE DE LA PEUR ist wahllos und ohne Partei zu nehmen gegen Alles.“ Heute wissen wir es besser. So wie die vier Männer durch ihren Tod das Prinzip der Ausbeutung verurteilen, so konnte sich die europäische Kultur der amerikanischen nur durch den bedingungslosen Verzicht auf das Positive, auf falsche Hoffnungen entziehen. LOHN DER ANGST reflektiert, daß im Zweiten Weltkrieg das alte Europa endgültig untergegangen war. Als zusätzliches Paradox konstatiert er dabei die Überlegenheit des amerikanischen Prinzips der Ausbeutung, das den Europäern die Chance zur Rückkehr erst gibt.

Clouzots Film funktioniert auch nur, weil er in einer Welt ohne Gott spielt. Ein amerikanischer Regisseur etwa hätte es nie versäumt, uns in einem südamerikanischen Dorf die Kirche zu zeigen; in Las Piedras gibt es keine. Ob er deswegen atheistisch ist, wie oft behauptet, wage ich indes zu bezweifeln. Er ist, wie der Existentialismus, auf eine besondere Art materialistisch. Er läßt die Freiheit nicht nur zu, sondern setzt sie voraus. Woran wir uns, 1987, gelegentlich erinnern mögen.

 

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd Film 10/87