Kapital & Kino

Geld gehört zu den Dingen, die im Kino sehr schwer darzustellen sind. Kaum sieht man es, sieht es billig aus, kindisch, trivial: am ehesten „glaubt“ man an Falsch- und Spielgeld. Obschon das Kino bislang Geld daher am liebsten im Zustand des Verschwindens zeigte, beim Davonfliegen, Wegschwimmen, Verbrennen oder Vergraben, ging es doch im allgemeinen noch von einer materiellen Realität und einer fixen Beziehung zwischen der Realabstraktion und seinen Besitzern aus. Man sah Menschen beim Geld-Bekommen und Geld-Haben (oder eben –Verlieren) zu, und allenfalls die Summen lappen ein wenig ins Irreale, denken wir an „Ocean’s Eleven“ oder an den Scherz bei „Austin Power“, wo ein (über Jahre vom Weltkapitalismus entfernter) Superschurke „Eine Million“ verlangt, und alles in herzhaftes Lachen ob solcher „Peanuts“ ausbricht. Mittlerweile sieht Geld auch im Kino aus wie Zahlenreihen auf dem Bildschirm, einerseits, und andrerseits wie das Glitzern kalter Lust in den Augen von Gordon Gekko alias Michael Douglas in den beiden „Wall Street“-Filmen von Oliver Stone. Die Realabstraktion (wie es Karl Marx genannt hat) Geld, etwas was zugleich nichts anderes als wertloser Plunder, leeres Zeichen ist, und andrerseits über Schicksal und Geschichte entscheidet, zugleich McGuffin und Seele, wird immer virtueller und grotesker und zugleich immer körperlicher und obszöner, ganz direkt: bis in die Fußspitzen bei einem wie Gordon Gekko.

Mit dem Anbruch des neuen Jahrhunderts und mit den sich abwechselnden Krisen und Katastrophen auf den Dot.com- und Finanzmärkten, wandelte sich das Bild des Geldes im Film drastisch. Der haptische Wert des Dagobert Duck-Geldes, in dem man wühlt und das man sich auf den Kopf prasseln lässt, verschwindet, Geld steht nicht mehr am guten oder bösen Ende einer Handlung, sondern ist Bezugspunkt einer Endlos-Spirale. Und nicht einmal in den Sozialmärchen des Kinos ist es noch Lösung. Zum einen wurden die Kreisläufe schneller und absurder, auch die Geldzählmaschinen wie in Martin Scorseses „Casino“ kommen mit den Zahlenkolonnen auf den Bildschirmen mit. Zum anderen interessierten sich die Filme für die menschlichen Monster, die das Geld aus den Leuten machte, Leute, die damit immer waghalsiger jonglierten und die nun nicht mehr gar so „dämonisch“ erscheinen mussten wie in „Wall Street“ oder so grotesk wie in „Glengarry Glen Ross“.

„The Boiler Room“(Risiko – Der schnellste Weg zum Reichtum – 2000) von Ben Younger zum Beispiel erzählt von ihnen, von Aktienhändlern, die mit ihrem Reichtum protzen, vom Betreiber eines illegalen Casinos, der es ihnen gleich tun will, und der entdeckt, wie viel krimineller das Bankgeschäft ist als das verbotene Glücksspiel. Kaum ein Film zuvor hat das Geschäft der Broker selber als so skrupellos beschrieben. Nicht einzelne, das ganze System ist heillos moralisch krank – weshalb der Held auch nur auf eher märchenhafte Weise gerettet werden kann. Filme dieser Zeit – kurz vor der nächsten großen Krise also – handeln nicht mehr von Menschen, die Geld haben (wollen), sondern vom Geld, das die Menschen hat. Markus Imboden portraitiert in „Das Konto“ (2003) einen Manager des neuen Stils, Spezialität: Unfreundliche Übernahmen. Er muss in Mordverdacht geraten, was eine seit langem bewährte Form der Läuterung ist. „I Was a Swiss Banker“ (2007) von Thomas Imbach erzählt die Geschichte von Hans Christian  Andersens „Meerjungfrau“ in ungewohntem Milieu: Der Schweizer Jung-Banker Roger Caviezel schmuggelt Schwarzgeld seiner deutschen Kunden über die Grenze. Als er bei einer Grenzkontrolle mitsamt seinem Geldkoffer angehalten wird, flüchtet er – in den Bodensee. Und dort wird ihm von den phantastischen Wesen des Grundes eine Liebeswette angeboten. Einmal mehr werden die erkalteten Herzen auf diese Weise erlöst: das Geld muss weg! (Naja, auch wieder nicht ganz weg.)

Das Geld ist zum coolen Medium geworden in diesen Jahren; die Besitzer „berauschen“ sich an ihm nicht mehr, sondern sie verwandeln sich in kalte genießende Fetischisten, die sich nur noch untereinander zu übertrumpfen versuchen, und das Geld hat sich vom Menschen bereits verabschiedet. So häufen sich die Fälle, in denen sich die Moneten als falsche Fährte erweisen; während noch zum Beispiel in den „Die Hard“-Filmen die Moral von der Geschichte war, dass hinter allen terroristischen Anschlägen nur Geldgier steckt, dreht sich das in Filmen wie Spike Lees „Inside Man“ (2006) oder Roger Donaldson „Bank Job“ (2008) um: Beidesmal kommt hinter der Beute eines Bankraubes brisantes politisches Material zum Vorschein, eine Schuld, die viel tiefer reicht als ein „gewöhnliches“ Verbrechen. Auch hier erweist sich Geld als Schimäre: Von der Realabstraktion über den Fetisch zum metaphysischen Zeichen – schwarze Religion.

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Im Kapitalismus hat das Geld Willen und Traum. Und es okkupiert

die zwei Grundelemente des Kinematografischen: die Bewegung und das Bild.

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Später wird es Gordon Gekko noch deutlicher sagen: Es geht nicht um das Geld, es geht um das Spiel. In „The Bank“ (2003) von Robert Connolly  hat ein gewisser Jim Doyle ein Computerprogramm entwickelt, das Schwankungen der Börsenkurse vorhersagen kann. Kein Wunder, dass der skrupellose Banker Simon O’Reilly, der Konkurrenten mit allen Tricks plattmacht und Schuldner ins Verderben treibt, das ideale Mittel sieht, seine Macht ins Unermessliche zu treiben. Jim Doyle weiß gar nicht, auf was für einen Deal er sich da einlässt. Und als ihm endlich die Zweifel kommen, entfalten Simon und das Banksystem ihre mörderischen Impulse. Nicht nur das Geld selber ist eine Schimäre, auch das Spiel ist eine Illusion, denn es gibt weder einen Text für die Spielregeln noch jemand, der ernsthaft für ihre Einhaltung sorgen könnte.

Mehr oder weniger unscharf beziehen sich die meisten der Bank-Thriller in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends auf reale Fälle. Tom Tykwer in „The International“ dagegen bleibt erkennbar am realen Vorbild, bei Agha Hasan Abedi und seiner 1972 gegründeten Bank of Credit and Commercial International (BCCI – im Film ist es die IBBC und residiert in Luxemburg statt in Karachi). Im Lauf der Jahre entwickelte sie sich zur siebtgrößten Privatbank der Welt mit Niederlassungen in 72 Ländern und 16.000 Angestellten. Abedi ließ sich gern mit den Großen dieser Welt sehen, mit Präsident Carter wie mit Papst Johannes Paul II. Erst Ende der achtziger Jahre brachten dann amerikanische Ermittlungen ans Tageslicht, was längst gerüchteweise umging, dass die BCCI ihre immensen Gewinne mit Waffengeschäften machte, dass Abedi Privatarmeen und Todesschwadronen finanzierte und in terroristische Anschläge verwickelt war. 1991 war das Unternehmen am Ende. Tykwer erzählt dazu eine Geschichte nach den Mustern des Verschwörungsthrillers, und doch bleibt die Ausgangssituation sehr klar: Es geht nicht um ein System, das sich von Terroristen bedroht fühlen muss, sondern um eines, das selber den Terrorismus erzeugt. Kapitalismus und Terrorismus bedingen einander, und an irgend eine Art von Vertrauen ist nicht zu denken: Geld, das ist die Bewegung in Filmen wie diesem, und es ist nicht dadurch gefährlich, dass es aus den Kreisläufen entnommen wird (wie im klassischen Crime- und Caper-Film), sondern im Gegenteil dadurch, wie es in die absurdesten und bösesten Winkel gepumpt wird. Geld macht keine Verbrecher, Geld ist das Verbrechen.

Vom Kreisen und von der Irrealität der Realabstraktion Geld erzählt Erwin Wagenhofers Dokumentation „Let’s Make Money“. Drei Jahre haben Erwin Wagenhofer und seine Assistentin Lisa Ganser das Geld ganz buchstäblich verfolgt (und die Finanzkrise hat dem Film nur noch die letzte Aktualität gegeben), dabei, wie es sich vermehren will und wie es dabei Menschen, Landschaften und Kulturen zerstört: Geisterstädte an spanischen Küsten, rund um leere Golfplätze, errichtet zu keinem anderen Zweck als der Spekulation mit Rentenfonds und nun gigantische Maschinen zur Vernichtung von Wasser, Energie und Land. Der obszönste Spruch der Bankenreklame wird hier illustriert: Geld, das „arbeitet“, tut dies nur durch die Entwertung und Zerstörung der menschlichen Arbeit. Was einen Dokumentarfilm wie den von Wagenhöfer und einen Genrefilm wie den von Tykwer verbindet: Das unheilvolle Wirken des Geldes wird nicht mehr so sehr in seiner eigenen Qualität und Quantität entlarvt, sondern vor allem in der Architektur, die es erzeugt. Und in den Menschen, die buchstäblich nur noch Geld denken. Und noch etwas vereint Dokumentation und Fiktion, nämlich der Umstand, dass der Staat dabei immer mit macht; bei Tykwer drückt sich das in dem Ex-Stasimann aus, den Armin Mueller-Stahl spielt, bei Wagenhöfer erklären sich die durch das Geld erzeugten Spekulationswüsten als politisch gewollt.

Eine Neuauflage von „Wall Street“ kommt nach der aktuellen Krise, wir sollen sie ja gerade vergessen, natürlich gerade recht. Oliver Stone hat im ersten Film wie üblich ordentlich dreingeschlagen und den Michael Douglas-Typus des machtbesessenen, skrupellosen Karriere- und Geldmenschen bis an die Grenzen der Belastbarkeit ausgereizt. Aber zugleich hatte der Film auch einen durchaus dokumentarischen Touch (immerhin konnte Stone auf die Erfahrungen mit dem Makler-Beruf des  eigenen Vaters zurückgreifen), er zeigte, wie die Faszination für jemanden wie Gordon Gekko und seine Welt entstehen konnte. Nun aber, zwanzig Jahre später, kommt ein anderer Gekko aus dem Gefängnis, und der macht sich ein Vergnügen daraus die Finanzwelt vor dem drohenden endgültigen Kollaps warnen, mit einem Buch betitelt „Ist Gier gut?“. Natürlich glaubt einem wie diesem niemand, denn er ist ja zugleich der lebende Gegenbeweis: Das System mag möglicherweise zugrunde gehen, aber die Gekkos stehen immer wieder auf.

„Wall Street“ war vor zweiundzwanzig Jahren der Film zur Zeit: „Gier ist gut“, Gordon Gekkos Motto, erschien zugleich als verführerisch und böse, es schien, zumindest, eine Erklärung (und prompt erklärten dann auch die liberalen Kommentatoren die Finanzkrise schlicht mit der „Gier“). Es war die Geschichte des junge Brokers (Charlie Sheen, der nun einen kurzen Gastauftritt hat), der sich in seinem Streben nach Erfolg und Reichtum von Gordon Gekko korrumpieren lässt. „Die Gier ist richtig. Die Gier funktioniert. Die Gier klärt die Dinge, durchdringt sie und ist der Kern jeden fortschrittlichen Geistes. Gier in all ihren Formen, die Gier nach Laben, nach Geld, nach Liebe, nach Wissen, hat die Entwicklung der Menschheit geprägt“. Diese Rede wurde als faszinierend-böses Mantra gesehen und zu Tode zitiert; nicht nur die Kritiker fielen darauf herein, sondern vor allem die Leute von der Wall Street selber. So wie sich Gangster gerne geben und kleiden nach Bildern aus dem Kino, so gaben und kleideten sich in den frühen neunziger Jahren nach dem Vorbild von „Wall Street“.

Und es war dieser Film, der in der Öffentlichkeit dieses Bild erzeugte von einer eigenen Welt  mit eigenen Gesetzen, „Das hatte zur Folge, dass die Menschen die dort arbeiteten, tatsächlich davon beeinflusst wurden, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten“ so meint es Produzent Edward  Pressman heute. Aus dem moralischen Bösewicht wurde sehr rasch ein Ideal. Und der Kino-Anteil am Kapitalismus hatte sich spürbar erhöht: die kriminelle Trivialität des Systems hatte ein dramatisches Gesicht. Narzisstische Wonnen bis in die nach hinten gegelten Haare, die Krawatten und die eleganten Schuhe.

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Nahezu alle sind durch Verbrechen zu ihrem Status

gekommen, aber die Gesellschaft wäscht sie weiß

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In der Finanzkrise schließlich musste jemand wie Gekko indes nahezu altmodisch erscheinen. Es war System geworden, was er verkörperte, und folgerichtig ist das Credo nun nicht mehr „Gier ist gut“, sondern „Gier ist legal geworden“. Genau dies ist die Metaphysik der Finanzkrise: Die mehr oder weniger demokratischen Regierungen legalisierten die Verbrechen ihrer finanziellen „Eliten“, wälzten die Kosten auf die Bevölkerung ab und statteten die Verursacher der Krise mit neuer Machtfülle aus. (Natürlich müssen ein paar der Mitspieler geopfert werden, auch das gehört zum Spiel, und auch davon handelt „Wall Street II“.) Der einzige kleine Nachteil: Der faszinierende Touch des Verbotenen verschwindet, die kalte Sexyness der Unmoral. Wenn Stone konstatiert „2008 gab es keine Gordon Gekkos mehr“, so klingt auch immer das Bedauern darüber dass nach den Deregulierungen der achtziger Jahre.

Gordon Gekko hat wegen Aktienschwindel und Betrug seine acht Jahre im Gefängnis abgesessen; er kommt in ein scheinbar verändertes Amerika zurück (jedenfalls sind die Mobiltelefone sehr viel kleiner und handlicher geworden). Niemand holt ihn vom Gefängnis ab, die große Stretchlimousine gilt einem inhaftierten Rapper. Auch seine Tochter Winnie (Carey Mulligan) hat alle Kontakte zu ihm abgebrochen, nun betreibt sie eine kleine kritische Website.

Der junge Aktienbroker Jake Moore (Shia LaBeouf), der mit Winnie zusammenlebt und dessen Beruf sie akzeptiert, weil er in umweltverträgliche Energie investiert, verdient sein nicht unbeträchtliches Geld bei der Firma Keller Zabel Investments, die von Louis Zabel (Frank Langella) geleitet wird. Da entstehen Gerüchte, dass Zabel mit vergifteten Papieren handelt, und sogleich gehen die Aktienkurse in den Keller, vergeblich kämpft Zabel um den Fortbestand seiner Firma. Schließlich sieht er keinen Ausweg und wirft sich vor einen U-Bahnwagen. Bretton James (Josh Brolin), einer der Partner der mächtigen Investmentbank von Churchill Schwartz, leitet die Übernahme  zu einem Bruchteil des Werts der Firma. So sehen jetzt Gewinner aus.

Auch Jake steht nun vor dem Nichts, und ein Vortrag von Gordon Gekko zu seinem Buch „Ist Gier gut?“  an der Universität, bei dem der schonungslos die Ursachen der Finanzkrise benennt und grinsend erklärt, dieses System habe die Welt wie ein Krebsgeschwür befallen und werde sie zerstören, bringt ihn auf den Gedanken eines Rachezugs. Gordon schlägt Jake bei einem ersten Zusammentreffen einen Deal vor, er wird ihm helfen, sich an Bretton James zu rächen, und dafür hilft Jake ihm, sich mit der Tochter zu versöhnen. Aber in Wahrheit geht es um etwas ganz anderes: Mit Hilfe von Jake und Winnie kommt Gordon Gekko wieder an ein Kapital das er in der Schweiz deponiert – angeblich für Winnie und ihre humanitären Ziele – und mit dem er wieder in das große Spiel eingreift.

Nebenfiguren wie Susan Sarandon als Jakes Mutter, die sich in ihren dubiosen Immobiliengeschäften verheddert und immer wieder den Sohn um Geld bitten muss, weil sie nicht lassen kann von dem Spiel (und erst ganz zum Schluss, mehr oder weniger, zu ihrem eigentlichen Job als Krankenschwester zurückkehrt), der greise Meta-Banker, den Eli Wallach gibt, Jakes Broker-Freund, der nie seine enthusiastische Naivität verliert – lauter Klischees, und vielleicht gerade deswegen ziemlich zutreffend. Wenn der erste Film von einer Art heiligem Monster des Finanzkapitalismus erzählt hat, dann erzählt dieser von ganz normalen Menschen, die in einer bescheuerten Familien-Soap Opera feststecken und in jeder Hinsicht viel, viel kleiner sind, als das System, das sie bedienen. Schwer zu sagen, welches von beidem das richtiger oder das bösere Bild ist.

Die Aufstiegsgeschichte geht nun anders, aber immer noch nach der amerikanischen Mythtologie: Jake war einst Caddie beim Finanzmann Zabel, und der wurde sein Mentor, eine Stellung, die Bretton nun gerne bei ihm übernehmen würde. Neben der Gier scheint noch eine ganz andere Triebkraft am Werk: das Geltungsbedürfnis. Und das System Geld ist endlos verflochten mit dem System Familie (vielleicht ist es ja gar kein Wunder, dass die amerikanischen Milliardäre derzeit darüber nachdenken, beides zu entkoppeln). Die große Macht über das Geld und über die Konkurrenz ist am Ende nichts als Mittel zum Zweck, Gordon Gekko will durch sein Buch Anerkennung, will die Anerkennung des Jungen, der Tochter, der Welt. Aber in Wahrheit reicht es eben doch nur zu einem dieser Büros in der richtigen Lage, zu den entsprechenden Klamotten, zum Neid der Konkurrenten. Und zu einem familiären Happy End, das so abstrus ist, dass man es schon als Parodie auffassen kann.

Wieder funktioniert dieser Kurzschluss zwischen  Fiktion und Wirklichkeit, den wir vom ersten Film kennen. Shia LaBoeuf verwandelte sich auch real in einen Broker (und machte Gewinne in nicht unbeträchtlicher Höhe), die Autoren und Produzenten trafen die Größen von Wall Street zum Gespräch, die nur zu bereitwillig Auskunft gaben, über das Spiel wie über Dresscodes und die Zeichen der kleinen Unterschiede. Wenn Gekko noch die Gier verkörperte, so ist Bretton der Vertreter einer Generation, die sich schon als Herren der Welt fühlen, aber da ist immer noch der alte Banker (Eli Wallach spielt ihn mit bösartiger Jenseitigkeit), der alle überlebt, der alle Tricksereien übersteht, der immer auf der Seite der Gewinner ist: Julie Steinhardt, der Gründer, dessen Reichtum nur das andere des großen Verbrechens sein kann, und der noch die Lehren des Börsencrashs von 1929 kennt. So übersteht er auch die technologischen Verschärfungen, per Twitter gehen Nachrichten, falsch oder nicht, und werden sofort in die Transaktionen übersetzt. George Soros und Sam Waksal von ImClone gehörten zu den Beratern unter vielen anderen Protagonisten des Finanzmarktes und seiner Krise. (Wir nehmen nicht an, dass sie die Wahrheit sagen, wir nehmen an, dass sie uns zeigen, wie sie gesehen werden wollen.) Wenn Kleidung eine Waffe ist, dann ist Gekkos lockere Kleidung am Anfang Tarnung („Ein Wolf im Schafpelz“ erklärt die Kostümbildnerin) und die Wiederkehr seiner Kampfkleidung am Ende schon wieder Vorzeichen seines Falls. Was man im Kino lernen kann: Kapitalismus ist auch ein Spiel der Zeichen, und ganz direkt erfahren wir in „Wall Street II“: Die Wölfe erkennen einander. Und wenn sie einander erkennen, verlieren sie jedes Mitleid mit den Schafen.

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Gehen wir nicht gerade ins Kino, um vom

Kapitalismus abzusehen, während wir ihm dienen?

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Die „progressive Bloggerin“ Winnie schließlich ist die Verkörperung des liberalen Kleinbürgertums, das immer noch an Demokratie und Werte glaubt, immer noch ein wenig naiv, sie ist zugleich Kind des alten Gier-Kapitalismus, und Geliebte des neuen Postkrisen-Kapitals, und sie wird von beiden hintergangen, begibt sich aber dennoch in die Abhängigkeit; auch eine kritische Website, auch wenn sie unkommerziell ist, braucht einerseits Geld und andererseits Informationen. So schnappt auch diese Falle zu, „Wall Street II“ handelt nicht zuletzt von der Verschwörung zweier Männer gegen eine Frau, so wie er von der Verschwörung zweier Arten von Kapitalismus gegen die Gesellschaft handelt. Es gelingt weder, das System zu ändern, noch sich aus ihm herauszuhalten, noch es zu ändern. Insofern kann man das höchst seltsame Happy End auch als letzten Hohn ansehen.

Aus der Gier ist ein System von Neid und Angst geworden, das absurde Geld in den Sphären dieses „Spiels“ hat seinen Wert für sich und für das Leben nur noch weiter verloren, es besagt nur die Rolle im Spiel, es bedeutet mehr als der andere, oder weniger, es bedeutet überholt werden, geschluckt werden, gedemütigt werden. Der Gedanke der Legalisierung zieht sich durch den Film: Nahezu alle sind durch Verbrechen zu ihrem Status gekommen, aber eine Gesellschaft hat sich weiß gewaschen. Sie hat eine kriminelle Clique legalisiert und durch die Krise, die sie selbst hervorgerufen hat, politisch sanktioniert.

Da begegnen sich die verschiedensten Facetten des Finanzkapitalismus, die Generationen und Konzepte, und nur auf den ersten Blick gibt es das den neuen Bösen, Bretton James, demgegenüber der alte Böse schon nicht mehr so böse scheint, und einen neuen, der schon beinahe wieder gut ist, und den ganz alten, der wie das Gespenst der kriminellen Urgründe des Kapitalismus im Nebel der Geschäftswelt auftaucht, der einzige, der nicht gelten will, Aus Gekkos „Gier ist gut“ ist nun Jakes „Gute Dinge brauchen Zeit“ geworden, die Entschleunigung und das Bündnis mit dem neuen Kleinbürgertum scheinen die neue Strategie. Aber ist dies um einen Deut besser? Oder zeigt es nicht viel mehr die Anpassungs- und Maskenfähigkeit des Systems? Der moralische Broker ist so sehr eine Schimäre wie der Glamour-Broker, in Wahrheit geht es viel mehr um Gewohnheiten, um das Spiel an sich, das permanent seine Regeln ändert, weil es eben seine eigene Legalisierung erzwingt. In Amerika ist das, Geschichte als Legalisierung des Verbrechens, Teil der nationalen Mythologie (weshalb es zweitrangig ist, ob Oliver Stone es „kritisch“ meint oder „affirmativ“). Und hierzulande? Wir reden nicht einmal im Mythos vom Geld-Spiel.

Kann das Kino überhaupt etwas Relevantes über den Kapitalismus sagen? Ist es nicht vielmehr bis in die Technik, bis in die Organisation des Publikums, bis in die Bildersprache hinein sein perfekter Ausdruck? Gehen wir nicht gerade ins Kino, um vom Kapitalismus abzusehen, während wir ihm dienen? Gleichzeitig kann man nur hier erkennen, wie „kinematografisch“ Geld im avancierten Kapitalismus geworden ist. Die fundamentale Frage: „Was ist Geld?“, jenseits der Ableitungen in Gier und Gewohnheit, kann offensichtlich nur als Bewegungsbild beantwortet werden.

Wenn Geld ein Ding ist, dann ist es das Ding an sich. Das Ding, sagt Mark Aurel, hat kein Bewusstsein und keine Sprache. „Was also gibt uns von ihnen Kunde? Unsere Vernunft!“. Mark Aurel kannte zwar das Geld, aber er kannte den Kapitalismus nicht. Hier hat das Geld zumindest Willen und Traum. Und es okkupiert die zwei Grund-Elemente des Kinematografischen: Die Bewegung und das Bild.

Text: Georg Seeßlen

Bild: Fox