John Woos erster Hollywood-Film, HARD TARGET mit Jean-Claude van Damme, war eine kleine Enttäuschung. Nicht, dass es der MOST DANGEROUS GAME-Variation an handwerklicher Perfektion und überwältigenden Action-Sequenzen gemangelt hätte. Aber dem ganzen fehlte so etwas wie eine innere Notwendigkeit, eine Seele. BROKEN ARROW ist noch erheblich aufwendiger, hat die besseren Schauspieler, vereint all die Elemente, die man bei den in Hongkong entstandenen Woo-Filmen so schätzt, das Thema von Freundschaft und Verrat, die Feuergefechte der umeinander wirbelnden Kämpfer, die Augenblicke intimster Bedrohung, wenn zwei Menschen sich gegenseitig die Waffe an die Schläfe setzen, den Zug der Melancholie in der berauschenden Aktion, die Einbeziehung der Kamera in die Stunts, den Sog der ineinander verflochtenen, eindeutige Raum- und Zeit-Zuordnungen überschreitenden Bilder und vieles mehr, – und trotzdem bleibt auch dieser Film auf eine seltsame Weise leer. Es ist ein Action-Thriller, der sein eigenes Funktionieren zum einzigen Inhalt zu haben scheint. Jedes einzelne Element, von der Zeichnung der Charaktere über das Ambiente, die grandiose Landschaft von Nevada, die Benutzung von Objekten und Verkehrsmitteln, die Kadrage und den Schnitt, bis zum Dialog und zur Musik scheint ausschließlich dem Ziel untergeordnet, dem Zuschauer Spannung zu vermitteln, die Bilder von Gefahr, Bewegung und Gewalt in eine Form zu bringen, in denen die Regeln des Genres zugleich durchschaut werden können und aufs beste ihre Wirkung tun. Das hat so großartig funktioniert in SPEED, und wenn man BROKEN ARROW genauer ansieht, wiederholen sich eine Reihe von Elementen hier, vor allem in der Beziehung zwischen dem Helden und der Heldin und in der ausgesprochen aristotelischen Erzählweise. Das ist kein Wunder, denn der Drehbuchautor Graham Yost, der Produzent Mark Gordon und der Cutter John Wright haben bereits bei Jan de Bonts Film (SPEED) mitgearbeitet.

Die Geschichte von BROKEN ARROW ist, wie beim Vorbild, ebenso simpel wie unfehlbar. Zwei Freunde, Piloten bei der US-Airforce, Vic Deakins und Riley Hale, stehen sich im Boxring gegenüber. Vic erteilt Riley eine schmerzhafte Lektion. Noch am selben Tag erhalten sie den Befehl, mit ihrem Stealth-Bomber (eine leicht futuristische Fortentwicklung des bestehenden Kriegsgeräts) und zwei Atombomben einen Übungsflug zu absolvieren. Plötzlich versucht Deakins seinen Freund im Cockpit umzubringen, bei dem erbitterten Kampf wird Hale mit dem Schleudersitz in die Wüstenlandschaft von Nevada gerettet. Deakins wirft die Atombombe ab, bringt sich dann selbst in Sicherheit und läßt das Flugzeug zerschellen. Zeugin dieses Absturzes wird die Rangerin Terry Carmichael, die auf der Suche nach Überlebenden auf Hale trifft und ihn zunächst für einen Feind hält. Sie ist mutig und autark, aber sie reißt das Gesetz des Handels nicht vollkommen an sich. Samantha Mathis gibt, sympathisch und widerspruchsfrei, die neue Mainstream-Form der Actionlady. Das sind die drei Personen, um die es gehen wird, alle anderen spielen nur mit, um die Handlung voranzutreiben, sie telefonieren, bewegen Dinge von A nach B und sterben, wenn sie im Wege sind. Deakins und seine Bande wollen die Regierung mit den Bomben erpressen (vielleicht, argwöhnt Hale, hat die Armee einfach sein Ego nicht gut gefüttert), und Hale, mit immer mehr Unterstützung von Terry Carmichael, muss alles daransetzen, sie am Transport der gefährlichen Ladung zu hindern. Schießereien, Verfolgungsjagden, Rettungsaktionen, Nahkämpfe, die Flucht in einem Fluß unter einer Mine, jede Menge Explosionen und ein wahrhaft beeindruckender Schlußkampf im fahrenden Zug fügen sich zu einem beinahe abstrakten Action-Reigen, in dem Woo es immer wieder fertig bringt, verblüffende Steigerungen, bizarre Pointen und spektakuläre Variationen einzubauen (zum Beispiel eine wunderbare Version des Postkutschen-Stunts aus vielen Western). Er schöpft dabei so sehr aus dem Vollen, dass er es sich sogar leisten kann, Thrill-Motive zu verschenken, wenn sie ihm nicht entgegenkommen (Wasser, so scheint es, ist kein John-Woo-Element), und den Action-Overkill gelegentlich mit einem gewissen Unernst zu präsentieren (etwa in der Szene, wo sich Terry in letzter Sekunde vor den hinteren Rotorblättern des Hubschraubers in Sicherheit bringt, der sich in den Boden bohrt).

John Travolta und Christian Slater sind geschickt besetzt; Travolta gibt seiner manieristischen Schnöseligkeit nie zuviel Raum, und Slater übertreibt nie seine mögliche Auffälligkeit für den Zynismus seines Freund-Feindes, so daß uns bewusst bleibt, wie wenig es bedarf, die Grenze zu überschreiten, und vom Elitesoldaten zum Kriminellen zu werden. Aber sehr viel mehr an Wahrnehmung und Erkenntnis ist hier nicht zu holen. Woo enttäuscht, während er den perfekten Action-Thriller abliefert, auch was die Behandlung von Raum und Bewegung anbelangt; er erscheint hier wie sein eigener Epigone, der es nicht wagt, die Genre-Konvention nicht nur ein wenig manieristisch aufzuladen, sondern auch bewusst zu überschreiten.

Der Regisseur sprengt halb Nevada in die Luft, lässt Feuer und Trümmer über uns fallen und nicht einen einzigen Hubschrauber heil auf die Erde kommen (und es gibt eine Menge Hubschrauber in BROKEN ARROW), wobei er immer noch eine um einen Kick ausgefallenere Perspektive findet. Er montiert einen Film aus lauter Höhepunkten und vergisst dabei doch nicht Timing und Rhythmus, und er pfeift auf alle Wahrscheinlichkeit. Nur dieses reine Spiel macht den Film noch etwas mehr als passabel.

John Woo hat mittlerweile in Hollywood ein Haus und eine eigene Produktionsfirma, mit der er, unter anderem, Remakes seiner früheren Erfolge im Format von TV-Movies vorbereitet. Offensichtlich ist er in einer Phase, in der es wohl unklug wäre, Risiken einzugehen. Vielleicht aber ist Hollywood tatsächlich eine derart wirksame Nivellierungsmaschine wie man argwöhnt.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd film 3/96