Typisch Wenzel Storch: ein psychedelisches Abenteuermärchen

Wenzel Storchs dritter Film ist sein größter, sein bester und sein versiertester, genau das Meisterwerk, auf das wir so lange gewartet haben. Lange sah es ja so aus, als müsste er eines der schönen Gerüchte der Kunstgeschichte bleiben, ein unvollendetes Werk, Der Mann ohne Eigenschaften des Jenseits-von-jedem-Films. Zehn Jahre Arbeit sind eher ein „Lebensabschnitt“ denn einfach nur viel Zeit.
Und für jemanden wie Wenzel Storch ist das deutsche Filmförderungssystem ohnehin nicht gedacht. Aber es gab genügend Leute, die zugleich ein wenig Verständnis und ein paar Euro übrig hatten.

Und jetzt ist das „psychedelische Abenteuermärchen“ Die Reise ins Glück fertig; alles ist gut. Es ist ein 35-mm-Film, entstanden in einer 1.000 Quadratmeter großen Lagerhalle am Hildesheimer Hafen, prächtigst ausgestattet, mit einem sprechenden weißen Kaninchen, dem unvergleichlichen Jürgen Höhne, mehreren Propagandaministern, einem unübersichtlichen Gefährt mit Bordkapelle, Seesternen, die man auf Giraffen feuert, und einem eigenen Kino, einem echten Bären, einer Familiengeschichte, mit schönen Frauen und dummen Königen, Zeitreisen ins Tausendjährige Reich, Schneemann-Orakeln, älteren Bordsteinschwalben, einer Kutsche und vielen anderen Preziosen. Es wird viel gepinkelt in diesem Film, das aber auf eine ziemlich künstlerische Art. Es ist, als würden vor unseren Augen ein paar reich bebilderte Märchenbücher zerfallen und auf eine Weise zusammengesetzt, die prosaische Gemüter auf eine im Film gestellte Frage bringen mag: „Was haben die denn genommen?“ Die „Sprache“ von Wenzel Storch muss außerhalb ihrer selbst als kürzeste Verbindung von Kinderzimmer und halluzinogenen Drogen angesehen werden, und „Terry Gilliam auf Crack“, wie man zur Aufführung des Films beim Festival in Montreal schrieb, kommt der Sache durchaus nahe, wenn man es auf oberflächliche Analogien abgesehen hat. Wir haben das natürlich nicht.

Es gibt eine spezielle Poetik des Lichts in den Storch-Filmen, die die Objekte lebendig macht. Man achte auch bei Gelegenheit auf die Rhythmik der Montage, Helldunkel-Wechsel oder Bewegungslinien. Ganz zu schweigen von Farbkompositionen, Raum-Installationen und Choreographie. Man könnte sogar von der mythischen Tiefenstruktur der scheinbaren Nonsenserzählung reden. Aber das führt weiter zu nichts, denn Storchs anderer Blick auf die Realität, sein anderer Beat, sein anderer Jive ist einfach da und will niemanden überzeugen. Wie ein Stück von Sun Ra meinetwegen. Um den Film als Kunst sichtbar zu machen, muss man eben gerade diejenigen Elemente zertrümmern, die bloße Verabredungen und Gewohnheit sind. Die Negation ist dabei nur ein oberflächlicher Trick, dahinter kommt eine Off-Beat-Kunst zum Vorschein, die ihresgleichen sucht, und natürlich ist da auch eine literarische Seite in Wenzel-Storch-Filmen. Seine Off-Narration und die Dialoge setzen sich zusammen aus Kinderreimen, Werbesprüchen, Zeitungsfloskeln, Märchensentenzen, Fernsehsprüchen, Alltags- und Bildungszitaten, die sogleich ins Wörtliche bzw. ins Bildliche übersetzt werden, Bundeswehr-Sprüchen, Schlagertexten, Pseudo-Szenetalk und Sprechcodes, die zu den fünfziger Jahren passen wie Salzstangen und 75-Pfennig-Micky-Maus-Hefte.

Der Bär, zum Beispiel, „ist ein notorischer Hallodri und lässt gern den Bleifuß regieren“; eine Clementine wäscht Gehirne, „Pech im Hauptwaschgang, Glück im Suff“; und: „Ihr Herz für Kinder führt die Mutter mit schlafwandlerischer Sicherheit in schlechte Gesellschaft“. Bildelemente und Sprachpartikel sind in einem dreisten Piratenakt angeeignet, gesammelt und neu arrangiert. Daraus entsteht die unkorrupteste Film-Sprache, derzeit.

Wenzel Storchs dritter Film ist sein größter und bester und macht seinem Titel alle Ehre. Jedenfalls für Mitglieder des imaginären Wenzel-Storch-Fanclubs.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd Film