DER UNTERGANG ist ein ausgesprochen vielsagender Film. Da er so gut wie nichts über seinen Gegenstand aussagt, sagt er um so mehr über unsere Kultur aus, in der er entstanden ist, in der er konsumiert wird, in der er sich medial vervielfältigt.
Der Film, wer wüsste das mittlerweile noch nicht, schildert die letzten Tage von Hitler und seinen engsten Getreuen, im bombardierten Berlin, den körperlichen und geistigen Verfall des „Führers“, den Verlust der Wahrnehmung der militärischen Wirklichkeit, die Fortdauer von Gewalt und Rachsucht, die Vorbereitungen auf den Selbstmord, die Formulierung grausiger politischer Testamente, die Ermordung der Kinder von Joseph und Magda Goebbels, die Trauung von Hitler und Eva Braun. Und draussen wird geschossen, gestorben, gehungert und verbrannt. Bernd Eichinger benutzt die Erinnerungen der Sekretärin Traudl Junge und die historischen Darstellung von Joachim C. Fest für sein Drehbuch. Der Regisseur Oliver Hirschbiegel verwendet als Abbildungsmethode eine nur leicht stilisierte Form des psychologischen Realismus: Wir sind, so suggeriert das, „dabei“, in einem kohärenten, aristotelisch gesicherten Repräsentationsraum für ein Geschehen, das auf allen Ebenen seine enge Verbindung mit dem historischen Vor-Bild beweisen will, vom Ausstattungsdetail über das Handzittern des „Führers“ bis zum Wortlaut der letzten Tischgespräche.
Man ist, wenn man in den Film geht, bereits vollgestopft mit der Hype, mit der systematischen Erzeugung von Nähe und Neugier, die mit professioneller Aufdringlichkeit über unsere Medien hereingebrochen ist. Bei all dem, was im Vorfeld auch an gefährlichem Unfug an die Oberfläche kam, mag man mehr innere Vorbehalte als Erwartung mitbringen. Nach zehn Minuten indes ist man dennoch in dem Film drin, wie man so sagt. Er funktioniert, er hat seine starken Momente (Hitler/Bruno Ganz, der seine letzte vegetarische Mahlzeit löffelt, die Ermordung der Kinder durch Magda Goebbels, eine Bild-Staffette, die der Regisseur durch seinen Film schickt, von Nahaufnahmen von Händen, die sich berühren oder es eben nicht tun etc.), er ist sich seiner Mittel ausgesprochen sicher, er entwickelt Anteilnahme und riskiert an kaum einer Stelle den Bruch der Verabredungen des guten Geschmacks. Man kann das, wenn man will, durchaus als Kompliment für Drehbuch, Regie, Schauspieler, Kamera, Montage, Ausstattung und Licht ansehen. Erst wenn einen der Film mit der etwas durchsichtigen Coda von Traudl Junges Flucht entlässt, kommt man wieder zu sich. Der Film hat uns sicher geführt, auch über die eine oder andere Falle der Abbildbarkeit von Faschismus im Allgemeinen und Hitler im Besonderen. Aber wohin hat er uns denn geführt?
Andere Frage: Was kann eine Fiktion an Erkenntniswert bringen, wenn sie sich nicht genau dort hin wagt, wo hin die Quellen, die Dokumente und die historische Logik ihrer Verknüpfung nicht hinreicht? Es kann, vielleicht, eine neue Logik der Verknüpfungen entstehen. Deshalb sagt ein Tschechow-Stück mehr und anderes über das ausgehende Zarenreich aus als die historischen Quellen. Und aus dem selben Grunde sagen „historische Romane“ praktisch nichts über Geschichte. Die Fiktion kann ein Instrument werden, hinter die Masken der Fakten und der Evidenz zu gelangen. In ein Inneres der Beziehungen von Macht und Begierde. Der Trick dazu ist eine Verschiebung des Subjekts, die Reflexion im „privaten“ Widerschein der Geschichte, der enthält, was die Inszenierung der Macht und die Realisierung des Widerstands verbergen müssen. Staudtes DER UNTERTAN ist das möglicherweise noch etwas grob skizzierte Modell für einen cineastischen, fiktionalen Erkenntnisgewinn. Eine Versuchsanordnung. Warum, nur so eine Frage am Rand, ist so viel weniger dieser Strang entwickelt worden als diese manische Frage nach der Abbildbarkeit des Mannes mit dem lächerlichen Bärtchen? Bislang galt es als mehr oder weniger ausgemacht: Hitler-Bilder können nur insofern benutzt werden, als sie auch gebrochen sind. Da wir um die Grenzen unserer Bildersprache wissen, dürfen wir nicht behaupten, ein (filmisches) Bild könne die „ganze Wahrheit“ (die Wahrheit der Ganzheit) auch nur eines Momentes wiedergeben. Fatalerweise aber führt jede dieser geforderten Brechungen des Bildes entweder zu seiner „Unlesbarkeit“ oder aber zu Blasphemie und Geschmacklosigkeit.
Nun ist aber DER UNTERGANG in seinem Bemühen einer Art Eins-zu-Eins-Umsetzung der Quellen das genaue Gegenteil einer solchen Reflexion, schon indem sich das Unternehmen gleich zweimal an eine anerkannte Form der Authentizität bindet, nämlich einmal an die Augenzeugen-Authentizität von Traudl Junges bericht (bewährt schon in der Vorbereitung von Georg Wilhelm Pabsts Film DER LETZTE AKT aus dem Jahr 1955, später in André Hellers Film und als Buch-Autorin präsent), die uns eine passable „unschuldige“ Perspektive abgibt (und komplett mit Rahmen-Monolog auch für wohltuende Distanz sorgt: Nah beim Führer und doch nicht Teil seiner Verbrechen), und auf der anderen Seite die populäre und nicht minder bewährte authentische Historizität von Joachim C. Fest (entfernt noch, gewiss, und doch auch verbunden mit dem derzeit letzten Zerfallsprodukt historisierender populärer Bilderschau wie in den ZDF-Installationen von Herrn Knoop).
Was uns interessieren könnte, und was auch immer wieder, im Film und in dem fleißig produzierten medialen Beiwerk, zur Sprache kommt: Nachdem wir eine Reihe von Theorien, Erzählungen, Bilder zu den Umständen produziert haben, unter denen der deutsche Faschismus aufsteigen und seine Macht etablieren konnte, und nachdem es die verschiedensten Komplexe zu seinem inneren Funktionieren gibt, bliebe die Frage, warum er so lange fortwirken konnte. Apokalyptische und groteske Filme wie Ennio de Concinis HITLER: THE LAST TEN DAYS gibt es genug; diesem Aspekt einer „Lust am Untergang“ widmet der Film nur wenige Seiten-Elemente. Müssten wir, um die „vorausschauende Lethargie“ (Eichinger) der Situation zu verstehen, nicht wenigstens einen Blick darauf werfen, auf welche Art dieses System die Agonie enthalten musste, eben von seinem Anfang an? Dem System nun ein gleichsam Shakespearianisches Endspiel zu gönnen, mit einem nur leichten „Pere Ubu“-Touch, missversteht es als gleichsam normales „Herrscherhaus“. Der Faschismus aber hat keinen Untergang, der Faschismus ist ein Untergang. Auf die Frage nach der entsetzlichen Dauer dieses Systems, das in seiner Agonie immer noch Tod und Vernichtung bedeutet, kann DER UNTERGANG daher keine andere Antwort finden als den Hitler selber, der andere Menschen noch im Untergang „in seinem Bann“ hält.
Geben überhaupt zwei solche Formen der „authentischen Einstellung“ (Geschichtsschreibung und Erlebnisbericht, Panorama und Nahaufnahme, objektive und subjektive Perspektive, etc.) schon einen Gewinn der Wahrnehmung oder heben sie sich vielmehr auf zu einem Projekt reiner Tautologie? Die letzten Tage im Bunker, sagt dieser Film, waren genau so, wie wir sie uns mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln vorstellen können. Und daraus ergibt sich gleichsam ein paradoxes Empfinden der Wahrhaftigkeit. Dieses „So muss es gewesen sein“ kommt also als Erfüllung aller Vorstellungen und zugleich als Vermeidung aller bis dahin aufgezeichneter Fehler (Hitler nicht dämonisieren! Hitler nicht karikieren! Hitler nicht vermenscheln! Hitler nicht allegorisieren! Nicht auf die Inszenierungen und Selbstinszenierungen hereinfallen, die uns die Quellen des Nationalsozialismus hinterlassen haben! Keine geschmacklosen Montage-Beziehungen! Hitler nicht als „Verrückten“ charakterisieren, Hitler nicht als Nicht-verrückten darstellen!) über uns. Und weil der Film auf der anderen Seite handwerklich gleichsam jenseits seines historischen Sujets wiederum durchaus funktioniert, mag DER UNTERGANG also ein Gefühl der „Richtigkeit“ hinterlassen. Nur die Frage nach dem Erkenntniswert, nach dem Erzählziel, nach irgend etwas, was über diese – sollen wir sagen: gepflegte? – Tautologie hinausgeht, kann er nicht beantworten.
Stellen wir ihm also, nachdem er zu seinem Subjekt selber nichts zu sagen hat (außer eben diesem: Es ist nun möglich, in der Spannung zwischen dem Menschlichen und dem Unmenschlichen cinematografisch zu erzählen, in der Form von „großem Kino“, auch wenn niemand weiß wozu) die Frage nach uns. Georg Wilhelm Pabsts Bunker-Film DER LETZTE AKT versuchte sich am größtmöglichen Prozess der cineastischen Entmythisierung: Hitler, von Albin Skoda als jämmerlicher Mensch dargestellt, der ohne sein Instrument, sein Massen-Echo nur noch der scheiternde und sterbende Mensch ist. Möglicherweise ist DER UNTERGANG auch so etwas wie ein last remake von DER LETZTE AKT, nur dass der eine Film einen Diskurs zu beginnen trachtet, der andere ihn beenden will.
DER LETZTE AKT beschreibt den Untergang einer schrecklichen Herrschaft für eine Zeit, die ganz und gar durchdrungen vom Neuanfang ist (und vom Davongekommen-Sein). DER UNTERGANG ist ein Bild vom letzten Akt des Faschismus für eine Zeit, die sich selber als Krise und Wende versteht. Erkennen wir, wenn wir genauer hinsehen, nicht eine Form morbiden Selbstmitleids? Das Spiel von Näherung und Distanzierung ist politisch-historisch durchaus korrekt, aber vergleichen wir einmal die kalte Sachlichkeit, mit der der Bunker in Pabsts Film dargestellt ist, mit dem Bemühen der Protagonisten und der Ausstatter in DER UNTERGANG, diesen letzten Ort der Herrschaft „behaglich“ und mit Wärme zu füllen! Vergleichen wir die rhetorische Montage bei Pabst mit der fließenden Montage bei Hirschbiegel! Der Faschismus in Eichingers/Hirschbiegels Film stirbt in einem „familiären“ Raum, und das selbe Bild des „alten Fritz“, das auf Hitler hinabsieht, spricht in den beiden Filmen eine ganz und gar andere Sprache: es verurteilt und isoliert in DER LETZTE AKT, es verbindet und füllt in DER UNTERGANG. Die Farbdramaturgie in DER UNTERGANG vermittelt im krassen Gegensatz zu Pabsts Schwarz/weiß eine merkwürdige Art der inneren Wärme (müssen wir noch erwähnen, dass eine der letzten Flucht- und Wiedergeburtsdialoge im warmen Schein eines Feuers inszeniert ist?)
Was einander so nah scheint, ist also in Wahrheit Gegenbild und Übermalung. Es ist der Weg vom Außen zum Innen des Bildes, von der mahnenden Projektion zur inneren Gewissheit. Wozu also dienen Hitler-Filme, abgesehen von Blasphemie und exploitation, wenn sie weder Erkenntnis noch „Propaganda“ bieten können oder wollen? Vielleicht muss ja jede Generation ihr höchsteigenes Hitler-Bild in den Hauptfluss der Bilder und Erzählungen in der populären Mythologie einschreiben, und Bruno Ganz, der den Führer diesmal tatsächlich (fast) jenseits von Dämonie, Spießer-Erbärmlichkeit und Karikatur (oder in perfekter Balance von alledem) als das Paradox des Unmenschlichkeit produzierenden Menschen gibt, liefert das Hitler-Bild für die Post-Postmoderne, die sich weder mit Abstraktionen noch mit Analysen, weder mit doppelten Codierungen noch mit psychologischen Brechungen abfindet, sondern nur distanzloses Dabeisein, die Aufhebung der Differenzen zwischen Blick und Bild verlangt. Es ist der Hitler für die Kinder von CNN, Big Brother und political correctness. „Das ist wirklich Hitler“, bemerkt Joachim C. Fest voller Anerkennung, als wäre damit etwas gewonnen. Wenn Hitler in den Spiegel schaut, dann schaut ein furchtbarer Kleinbürger zurück, und wenn der furchtbare deutsche Bürger in den Spiegel schaut, so müsste ein kleiner Hitler zurückschauen. Endlich schaut hier Hitler nur auf Hitler zurück; die schmerzhaften Splitter sind verschwunden. Denn auf beiden Seiten des Spiegels setzt sich das Bild nur aus dem Verfügbaren zusammen: Konsens und Oberfläche. So ist der Film-Hitler des Jahres 2004 eben auch einer, dessen Bild vollständig zusammengesetzt ist, dem absolut nichts neues hinzugefügt ist, weder im Bild noch in der Art seiner Präsentation, das Remake des Remakes des Remakes, konsequenterweise immer perfekter und immer leerer, ein vollständig hermetisches Bild, das schon deswegen keine Fragen offen lässt, weil es gar keine gestellt hat, ein abgeschlossenes Bild und ein Bild des Abgeschlossenen. Auch der erzählerische Rahmen, sogar noch der Tod der Erzählerin selbst, wird Teil der Inszenierung der Abgeschlossenheit; die Erzählerin Traudl Junge, die nicht sicher ist, ob sie sich ihren mehr oder minder blinden Eifer verzeihen kann, ist absolutiert, weil sie vor ihrem Tod die Frage nicht weitergibt. Die Rettung im Film und der Tod in der Wirklichkeit, das ergibt einen Mythos der Tröstung.
Mit der Wiederkehr des menschlichen Hitler ist paradoxerweise der Prozess der Historisierung abgeschlossen; die Grammatik des Films DER UNTERGANG benutzt, übrigens auch hier ganz und gar unterschieden von Pabsts (durchaus angreifbarem) DER LETZTE AKT, die Form: Es war einmal. Die meisten Hitler-Filme beinhalten, explizit oder nicht, Faschismus-Theorien, ökonomische, sexuelle, massenpsychologische, politische und ästhetische Erklärungsmuster, die über den plot hinausgehen und unter ihm rumoren. Nicht so DER UNTERGANG. Er enthält stattdessen das Diktum des Blickwechsels. Der Faschismus vom Ende her gesehen erscheint als Menschheitstragödie. Im Grunde geht es bei der Inszenierung des Untergangs für alle darum, ihre Rollen zu erfüllen. Jeder dreht sich so lange, bis sein Bild genau dem Blick entspricht (nur die Frauen, das ist halt so bei Eichinger, bekommen noch ein paar Extra-Tritte). Die Tautologie ist kein Versehen sondern Programm: Der Film ist ein Punkt hinter Sätzen, die uns möglicherweise schon zu lange, zu kompliziert, zu widersprüchlich waren.
Aber steckt nicht in jeder Konzentration der Beginn neuer Ausbreitung? In seiner Tiefenstruktur beschreibt DER UNTERGANG genau gesagt drei letzte Akte: Der erste beschreibt die Isolation der letzt endlichen Schuldigen und das Entkommen der anderen: (Was mag Eichinger und Hirschbiegel nur zu diesem Sympathie-Bild des Albert Speer bewogen haben? Für einmal ziehe ich es vor, lieber nicht genauer darüber nachzudenken!). Hitler verdammt sein Volk, das nicht stark genug war, seine Visionen durchzusetzen. Das ist einerseits authentisch, andererseits ist es erschreckend genug und füttert in unserer Dialektik vom menschlichen Gesicht der Unmenschlichkeit die Seite des Monströsen, aber zum dritten ist es auch sehr praktisch: Vor dem endgültigen Opfer gibt Hitler gewissermaßen das Volk von sich selber frei. Der zweite letzte Akt also: Das große Opfer, in dem das Böse zugleich zu sich kommt, und seine menschliche Würde bewahrt. (Was mag Eichinger und Hirschbiegel bewogen haben, alle Sinnlichkeit des Schreckens in den Kindermord der Frau zu legen, den man nicht anders als krause Metapher des Judenmordes zu sehen vermag, während sich die Verbrechen der Männer in kurzen Genre-Stereotypien erfüllen?) Und schließlich, fast aufdringlich, die Wiedergeburt als Flucht durch die Reihen der Soldaten der Roten Armee, denen die Flüchtende unter keinen Umständen in die Augen sehen darf. (Was mag Eichinger und Hirschbiegel bewogen haben, hier noch einmal Suspense in Ideologie zu verwandeln? Und was zum Teufel soll am Ende dieses Untergangs eine Szene, die gewissermaßen Eins zu Eins den Nibelungen-Mythos auf die eingeschlossenen deutschen Soldaten überträgt, die in Treue fest noch zum schon toten Führer stehen? Warum muss Traudl Junge durch die Reihen der Rotarmisten an der festen Hand jenes blonden Jungen geführt werden, der eben noch mit der Panzerfaust im Volkssturm gegen sie kämpfte und von Hitler selber in der Nachinszenierung jener Szene, die wir kennen, mit dem eisernen Kreuz dekoriert und in die Wange gekniffen wurde? Offensichtlich weigert sich der Film, den Untergang des Faschismus als andere Seite einer Befreiung zu sehen. In seiner mythischen Tiefenstruktur konstruiert er stattdessen Wiedergeburt in Kontinuität: Der Hitlerjunge, der sich von seinem Wahn befreite und die Sekretärin des Führers, die am Ende doch das Leben wählte (im Gegensatz zur dunklen Muse Hanna Reitsch), geleitet durch die neue Gefahr aus dem Osten: ein subkutanes, ich möchte sagen: ziemlich perfides Bild für eine Selbstbefreiung. Je genauer man diesen Film ansieht, desto mehr erweist sich auch das Angebot von Tautologie, Korrektheit und Abgeschlossenheit als Maskerade. Die Erleichterung darüber, wie „korrekt“ Akt zwei ausgefallen ist, lässt uns übersehen, wie gelogen Akt eins und Akt drei sind. Und was sich zunächst als bestürzende Perspektivlosigkeit zeigte, überdeckt eine Vielzahl von Verzeichnungen und klammheimlichen Mythisierungen. Und weil Hitler nichts als Hitler ist, zerfällt seine Entourage wieder in die Rollenmodelle der heroischen Tragödie; Shakespeare, fürchte ich, war da schon ein paar Schritte weiter.
DER UNTERGANG sagt viel zu wenig über Hitler und das Ende des Nationalsozialismus aus, und viel zu viel über die Bereitschaft unserer populären Kultur, den Faschismus in sich aufzuheben, das scheinhaft authentisiertes und historisch abgesicherte Bild, den Mythos von Gericht, Opfer und Wiedergeburt zu bewahren, und die Verpflichtung und Frage, die offene Rechnung der Geschichte fortzuwischen. Eben dies ist die neue Hitler-Maske: Die geschmackvolle und abgesicherte Aufbereitung für den Mainstream sichert erschreckende historische und politische Ignoranz. Nachzulesen in den Medien Ihres Misstrauens, in Interviews und Meinungsschnipseln, und zu hören in allerlei Geschwätz. Eichingers Relektüre des Faschismus als verdrehte Wiederkehr von Kriemhilds Rache (komplett mit der Roten Armee als Hunnen) macht ein paar Hintertüren auf, von denen (im besten Fall) die Autoren selber nichts wissen. Friedrich Torberg hat seinerzeit behauptet, dass ein filmisches Hitlerbild erst dann möglich sei, wenn von seinem Gelingen oder Scheitern nichts mehr abhängt. Ist es so weit? Dann drehte er die Sache aber noch einmal um: „In solch selig fernen Zeiten wird man vermutlich mit besserem beschäftigt sein als mit der Herstellung von Hitler-Filmen“. In Wahrheit kommen Hitler-Bildereien mit schönster Regelmäßigkeit und berechneter Hysterie über unsere Kultur, und selbst wer etwas besseres zu tun wüsste, muss sich mit diesem Anfall auseinandersetzen. Nein, dieser Hitler-Film bedient weder die Nazi-Nostalgiker noch lässt er sich in die Ikonographie der neuen Faschisten einsaugen. Aber er macht etwas anderes. Er nährt die Sorglosigkeit der Mitte in ihrer paradoxen Begierde nach Hitler-Bildern, die so tun, als hinge von ihnen nichts mehr ab außer dem Wohlbefinden der Konsumenten in der Geschichte, im Mythos und in der Sprache der Bilder. Diese Ikonen-Wende ist, fürchte ich, ein schwerer Fehler.

 

Autor: Georg Seeßlen

Bildquelle: Constantin Film