William Friedkin bleibt auch als Propagandist ein besessener und unfairer Filmemacher

Daran, dass der in letzter Zeit reichlich glücklose William Friedkin das Handwerk von motion und emotion beherrscht, besteht auch nach diesem Film kein Zweifel. Ob er je einen „guten Film“ gedreht hat, einen Film also, der nicht nur den Augenblick seiner Zeit erwischt, sondern auch etwas darüber hinaus, nicht nur den Zustand, sondern auch die Revolte dagegen, sei dahingestellt und hat kaum etwas damit zu tun, dass zum Beispiel THE FRENCH CONNECTION ein Meilenstein der amerikanischen Kinogeschichte ist. Auf jeden Fall war Friedkin nie ein besonders fairer Filmemacher; um sein Publikum dorthin zu bringen, wo er es haben will, ist ihm beinahe jedes Mittel recht.

RULES ist im Kern ein militärisches Justiz-Drama mit einer Buddy-Beziehung als Hintergrund. Tommy Lee Jones spielt den alternden Militär-Anwalt Hays Hodges, der endlich in den Ruhestand gehen will. Samuel L. Jackson ist der Marine-Veteran Terry Childers. Am Tag von Hodges‘ Abschiedsfeier, auf der Childers als Überraschungsgast auftaucht, erinnern sich die beiden an ihre gemeinsamen Erlebnisse in Vietnam, speziell daran, wie Childers Hodges – das Leben rettete: Damals hatten die beiden im Dschungel-Einsatz zwei getrennte Gruppen angeführt, Hodges war in einen Hinterhalt geraten, Childers konnte einen vietnamesischen Offizier gefangennehmen, den er, indem er vor seinen Augen seinen Funker erschoss, dazu zwang, seine Leute zurückzuziehen. So konnte der verwundete Hodges als einziger gerettet werden. Das ist jetzt Militärgeschichte und ein bisschen Seelengeschichte. Ganz so großartig, wie es vielleicht der ehrgeizige Vater wollte, ist Hodges dann nie geworden, hat mit Alkohol und verkorkster Ehe zu kämpfen gehabt, wie so viele Veteranen.

Kurz nach ihrem Wiedersehen ist Childers schon wieder im Einsatz. Die amerikanische Botschaft im Jemen wird von einer aufgebrachten Menge belagert. Childers entschließt sich zur Evakuierung des Botschaftspersonals mit seinen Hubschraubern. Als seine Leute dann aber auch beschossen werden und er drei Mann verliert, lässt er das Feuer eröffnen: 83 Menschen sterben, darunter viele Kinder und Frauen. Zurück in den USA, soll Childers für dieses Vergehen angeklagt werden. Im Sicherheitsdepartment lässt man die Kassette aus der Beobachtungskamera verschwinden, die beweisen würde, dass die Menge keineswegs unbewaffnet war, und setzt den Botschafter im Jemen (Ben Kingsley) unter Druck, der zuerst ewige Dankbarkeit für die Rettung seines Lebens schwor und nun falsch Zeugnis wider den Helden ablegt. Childers verlangt von Hodges, ihn zu verteidigen. Der hat zuerst so seine Zweifel an sich selbst und dann, nach einem Besuch im Jemen, bei dem er die Opfer gesehen hat, auch an der Unschuld seines Freundes. Aber vor Gericht kann er schließlich zeigen, dass Childers richtig gehandelt hat. Und am Ende salutiert dem mehr oder weniger Freigesprochenen sogar der vietnamesische Offizier, der Feind von einst, der vor Gericht ausgesagt hat, dass er an Childers‘ Stelle genauso gehandelt hätte.

Was für ein trauriges Comeback für Friedkin, der seit seinem gefloppten Thriller JADE keinen Regie-Auftrag mehr bekam. Gewiss muss man selbst einem traditionell rechten Sub-Genre wie diesem (Selbstreinigung der amerikanischen Armee, Balsam auf die Wunden der moralischen Entzweiungen) eine Chance geben. Aber ganz gleich wie weit man Friedkin und seinen Drehbuchautoren entgegenkommen will, der Film bleibt selbst in einem pro-militärischen Diskurs eine höchst unsaubere Arbeit. Denn lange Zeit werden wir auf eine durchaus ernsthafte Behandlung einiger Fragen vorbereitet: Ist die Handlung des Einzelnen im Krieg tatsächlich so moralisch und unmoralisch wie die des Krieg führenden Apparats, oder lässt umgekehrt dieser den einzelnen, inmitten des unübersichtlichen Geschehens im Stich? Wäre, in Richtung Vietnam wie in Richtung Jemen, nicht auch für die wirkliche Überwindung traumatischer Erfahrungen eine Anerkennung von Schuld notwendiger als eine schiere Rechtfertigung? Und: Hat nicht auch ein Soldat, neben Rechtfertigung und Ehre, eine innere Instanz, die Schuld und Trauer kennt? Ganz am Anfang wird sogar kurz davon gesprochen, wie das denn nun sei, wenn in der Welt keine Fronten mehr existieren, wenn man keine Feinde mehr hat, die ohne weiteres als solche zu definieren wären. Soldaten, sagt einer, sind jetzt wie „Waisenkinder“.

Vielleicht könnte man ja wirklich sprechen von der Veränderung des Krieges, von der Veränderung der Verantwortung, vom Verlust der Gewissheiten auch im militärischen Apparat, auch mit den Mitteln eines Genrefilms. Genau das aber hat Friedkin nicht im Sinn, er verweigert Einsicht und Veränderung wie seine alten Haudegen. Den Umschlag von Zweifel in sture Gewissheit markiert dabei ausgerechnet eine Szene des ältesten Macho-Rituals überhaupt: Aus dem Jemen zurückgekehrt und mit den Opfern konfrontiert, hat Hodges sich im Flugzeug erst einmal besoffen, und dann verprügeln sich die beiden, bis sie nicht mehr stehen können. Damit, und ohne weitere Worte der Erklärung, ist die gegenseitige Glaubwürdigkeit wieder hergestellt. Und nun beginnt ein Gerichtsverfahren, das keinen rhetorischen Trick, keine Denunziation, keine Sentimentalität auslässt – kein Zweifel darf bleiben, dass das Massaker gerechtfertigt war.

Wenn amerikanische und englische Kritiker dafür plädieren, den Film ideologisch nicht zu hoch zu hängen und stattdessen in RULES OF ENGAGEMENT ein Stück besonders gutgemachtes, eskapistisches „Boy’s Own“-Kino zu sehen, ist ihnen das Vorgehen der Filmemacher entgegenzuhalten. Sie wollten argumentieren, wollten zeigen, wollten Propaganda herstellen. Propaganda für eine Kriegsmaschine, die sich weigert, sich mit der eigenen Geschichte kritisch auseinanderzusetzen und stattdessen den überkommenen Mythen huldigt: Die Bösen sind immer die Zivilisten, die haben keine Ahnung, wie es draußen im Feld zugeht, Kameradschaft ist wichtiger als Menschlichkeit, die heimliche Internationale des militärischen Ehrenkodex widersteht allen Zivilisierungsversuchen, die Armee ist die beste Heimat für einen Mann … Und „gut gemacht“? Ich fürchte, man kann auch einem Film beim Lügen zusehen. Und dann sieht man zum Beispiel, dass großartige Schauspieler wie Jones und Jackson, die in den Szenen persönlicher Beziehungen sehr präzis spielen, nur noch ihr Gesicht hinhalten.

Freilich, man kann dieses ziemlich miese Propagandastück auch gegen den Strich lesen: Wie muss es mit der inneren Befindlichkeit einer Weltmacht beschaffen sein, wenn sie solche Filme braucht, um sich moralisch aufzurüsten?

Text: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in  epd film