Die wunderschöne chinesische Prinzessin Pei Pei (Lucy Liu) ist aus dem Reich der Mitte in den Wilden Westen entführt worden. Der kampferprobte Chong Wang (Jackie Chan) aus der kaiserlichen Garde jagt ihr hinterher, um sie aus der Gewalt der Feinde des Kaisers zu befreien. Er hat zwei Helfer: den Cowboy Roy O’Bannon (Owen Wilson), auf den allerdings nur wenig Verlass ist, und ein Indianermädchen (Brandon Merrill), das als treue Ehefrau in höchster Not pünktlich zur Stelle ist. Parodie auf Western und Actionfilme, die nichts und niemanden ernst nimmt.

Kinderkram.

Ein Grund, ins Kino zu gehen – nicht gerade unter den Top Ten, aber 24. Platz ist auch nicht schlecht – ist es, sich für beinahe zwei Stunden in die Welt eines seligen zwölfjährigen Jungen zurückzuversetzen. Das ist mittlerweile ein vollkommen synthetischer Zustand, und auch ein zwölfjähriger Junge muss ins Kino gehen, um sich wie ein zwölfjähriger Junge zu fühlen.

Jackie Chan ist Chon Wang, ein Mitglied der Kaiserlichen Garde in der verbotenen Stadt von Peking, die unter anderem die schöne Prinzessin Pei Pei beschützen soll. Die aber verfällt den Verlockungen des Westens in den Erzählungen ihres Englischlehrers (welcher wahrscheinlich auch nicht ganz zufällig von Sean Connerys Sohn Jason dargestellt wird) und entflieht mit ihm. Jackie, nicht gerade unter den zehn besten Kämpfern des Hofes (aber 24. Platz ist auch nicht schlecht), schafft es, wenigstens als Begleiter mit den Kung Fu-Rittern in den Westen ziehen zu dürfen, die das Löse-Gold für die, natürlich, entführte Prinzessin zu überbringen.

Der Zug, mit dem sie unterwegs sind, wird prompt von einer Bande überfallen, angeführt von einem blonden Outlaw, der aussieht, wie Robert Redfords missglückter kleiner Bruder. Eigentlich spielt er mit seinem Riesenmundwerk den Outlaw noch viel mehr als Sundance Kid, nur daß es diesmal meistens daneben geht. Eigentlich ist er also einer von den Guten. Einer seiner barbarischen, echt fiesen Leute erschießt einen der Chinesen, was nach etlichen Verwicklungen der Beginn einer wundervollen, aber spannungsreichen Freundschaft zwischen Chon Wang und diesem blonden Outlaw mit Namen Roy O’Bannon wird. Man jagt mal gegeneinander, meistens miteinander hinter dem Gold, hinter der Prinzessin und hinter den Schurken her, und hinter den beiden jagt wiederum ein brutaler US-Marshall (der auch noch Van Cleef heißt!) her und hinter dem wiederum eine schöne Indianerin, die Jackie aus Versehen geheiratet hat, und überdies der Rest der Bande, ach was, der Rest dieser Nevernever-Wildwest-Welt; es geht in ein Eisenbahncamp, in dem die Prinzessin gefangengehalten wird, in ein Bordell, in dem Chon Wang und Roy O’Bannon chinesische Sauf-Spiele im Badezuber spielen, und der wirklich sehenswerte multiple Showdown findet in einer Kirche statt (was sogar noch Raum für eine kleine Hitchcock-Persiflage gibt).

Dazwischen ist fast immer irgendwas los, und wenn mal nichts los ist, geht es um die Dinge, die einem zwölfjährigen Jungen in Huckleberry Finn-Land nicht peinlich sind: um die Ehre, um Freundschaft, um die seltsamen und fernen Wesen der Frauen und darum, daß man am Ende alle verkloppt hat, die einen verkloppen wollten. Was z. B. bei »Wild Wild West« nicht funktioniert, weil seine Macher nämlich den Zwölfjährigen-Traum nicht wirklich ernst nehmen und ihn bis zur Unkenntlichkeit aufblasen, das funktioniert bei »Shanghai Noon«: die ironische Revitalisierung eines cineastischen Traumreichs namens Western.

Der Film ist voller Jokes, die den Zwölfjährigen gerade an die Grenze der Erkenntnis führen, dass seine Welt ein Traum ist, und voller in neuerliche Jokes verpackter Sentimentalitäten, die erklären, warum der Traum okay ist. Auf der zweiten Ebene erzählt der Film von zwei Träumern, die (nicht immer) erfolgreich dagegen ankämpfen, dass die schnöde Wirklichkeit sie zersetzt, die aber umgekehrt auch schon zu lernen beginnen, wie man seine Phantasmen gegen die Umwelt einsetzt. Die dritte Ebene soll zeigen, daß Amerika dann doch als »Schmelztiegel« der Kulturen und viel weniger als Schlachtfeld funktioniert. Home of the Brave, jede Rasse, jedes Geschlecht, jede Kultur – schön wär’s. Weiß der Kuckuck, warum Prinzessin Pei Pei, nach allem, was sie hier erlebt hat, so viel lieber in Amerika bleibt, als nach China zurückzukehren. Warum, warum nur können wir nie träumen, ohne Ideologie zu produzieren? Auf der vierten Ebene aber geht es um Jackie Chan selber. »Shanghai Noon« parodiert und ehrt eine Menge von Filmen, Western und Eastern, aber es zitiert vor allem auch Jackie Chan-Filme, und da vor allem Filme aus der »Drunken Master«-Periode. Und auf dieser Ebene handelt der Film davon, dass auch Jackie Chan älter wird. Was schön und traurig und eigentlich auch nicht so wichtig ist. Nicht so ein larmoyanter Scheiß wie bei Spielbergs »Hook«. Nur einfach so.

Nehmen Sie »Shanghai Noon« für diesen Herbst auf Ihre Kino-Liste! Nicht unbedingt unter die wichtigsten Filme. Aber 24. Platz ist doch auch nicht schlecht.

Autor: Georg Seeßlen