Eines der wenigen erfolgsträchtigen Genres des deutschen Films, wenn man dabei von einem Genre sprechen darf, ist der „Kabarettistenfilm“. Loriot, Gerhard Polt, Bruno Jonas, Hape Kerkeling, Otto Waalkes, Helge Schneider – meistens sind das, an der Kinokasse, die positiven Ausnahmen; in diesen Filmen treffen sich die älteren und die jüngeren Zuschauer, Amüsement und Anspruch in wechselnden Mischungen, Zeitkritik und Kalauer. Vom Film selbst bleibt dabei in der Regel nur wenig übrig; Fernsehformat mit ein paar Kino-Schauwerten, mehr oder weniger gelungene Nummern in einer zumeist einigermaßen einfältigen Rahmenhandlung, die Selbstinszenierung des Kabarett-Stars, die den Mitspielern keinen Raum lässt, oder, wieder fernsehgewohnt, der Auftritt von Gaststars mit eigenen Nummern oder als Stichwortgeber, die Verengung des Blicks aufs allenfalls Pittoreske – nicht gerade das, was das berühmte Cineastenherz höher schlagen lässt. Was da im Kino immerhin so erfolgreich scheint, dass man auch die Zweite Kabarett-Liga vor die Kamera bittet, ist meistens nicht einmal Film. Einerseits.

Andererseits wäre dieses Genre aber als einziges in der Lage, schnell und heftig auf politische und kulturelle Veränderungen hierzulande zu reagieren, Grenzen zu überschreiten, die das Fernsehen setzt, oder wenigstens da und dort ein bisschen böse zu sein im Komischen. Das deutsche Kabarett dieser Jahre ist in seiner Sprache, in seiner Gestik, in seiner Art, sich das Unerträgliche komisch zu machen, zumeist betont regional gefärbt. Das kommt vermutlich unter anderem daher, dass das klassische politische Kabarett bei weitem nicht mehr so aussagekräftig ist wie die genaue Alltagsbeobachtung; nicht die Mächtigen sind komisch, sondern das, was sie an Komplizenschaft und Widerstand in „normalen“ Leuten bewirken. Wenn also das Kabarett auf der Bühne so perfide nachbarschaftlich in seinen Beobachtungen und Erinnerungen ist, warum sollten es dann nicht auch die Bilder sein, die es für seine Filme sucht? Müsste also der neue deutsche Kabarettistenfilm nicht das ideale Medium für die Suche nach den kleinen, präzisen Alltagsbildern sein, die um so schwieriger und um so notwendiger werden, je mehr sich öffentliche und private Räume normieren, je mehr Mühe es macht, das Unverwechselbare zu finden. Wenn daraus trotzdem nicht viel wird, liegt’s nicht am Genre, sondern an den Leuten, die es machen.

Vom Gros der deutschen Kabarettisten unterscheidet sich Sigi Zimmerschied aus Passau durch seine blutige Radikalität und dadurch, daß er eher selten im Fernsehen zu sehen ist. Er ist ein Besessener, einer, dem nichts, aber auch gar nichts leicht fällt, der in

allen seinen Nummern einen tiefen autobiographischen Schmerz, ein Leiden an Provinz und Kirche und bleierner Macht bearbeitet. Und weil das so ist, mag man ihm auch nicht immer folgen – bei seinen Abstiegen in niederbayerische Bierhöllen, in die Betonseelen der Provinzpolitiker, in die Phantasmen einer von katholischer Theologie und Bestimmung angeschlagenen Seele. Die obsessive Bosheit von Sigi Zimmerschied hat nur eine einzige Rechtfertigung: Es ist alles wahr, was er zeigt.

SCHARTL, der Film, den er sozusagen als „totaler Filmemacher“ gemacht hat, entspricht dem Kabarettistenfilm und überschreitet doch hier und dort die Konventionen des Genres. Er ist eine Abfolge von kabarettistischen Nummern, eingebettet in eine Rahmenhandlung. In der geht es um den Bauern Schartl (so genannt wegen seiner Hasenscharte), der mit seiner Gefährtin unbedingt einen Film machen will. Er führt seine Ideen einem Fernsehproduzenten vor, und der lehnt sie schwadronierend ab, was Schartl jedesmal mit einem lakonisch gelispelten „Ja, Scheithe“ kommentiert. Am Ende baumelt der klugschwätzende Fernsehmann am Strick in der Scheune. Das ist vielleicht der schwächste Teil des Films, der Zusammenstoß von kabarettistischer Denunziation und bizarrer Bildphantasie funktioniert hier noch nicht. Wir bekommen zu sehen: einen Präsentator von Volksmusiksendungen, der aufmüpfige Gäste mit dem Dreschflegel erschlägt, einen ordentlichen deutschen Beamten, der des abends sein Heim nicht mehr finden kann, weil alle Reihenhäuser seiner Straße sich innen wie außen gleichen, eine debile Gruppe bajuwarischer „Kampftrinker“, die sich im Anschluss an ihr Besäufnis auf die Autopiste begeben. Das alles bleibt im Rahmen des Nummernkabaretts und will nicht so richtig losgehen, weil Zimmerschied sich in seiner liebevollen Bösartigkeit zu viel Zeit läßt und zu wenig berücksichtigt, dass über all das schon eine Menge Witze gemacht worden sind, daß uns die Absurdität und Brutalität, die uns da vorgeführt wird, schon zur Genüge bekannt ist.

Was für Zimmerschied möglich wäre, zeigt sich in zwei anderen Erzählfragmenten. Im ersten geht es um eine Nonne, wunderbar von Miki Mallör gespielt. (Dürfen wir auf einen Kabarettistinnenfilm von ihr rechnen? Die männliche Dominanz im Genre ärgert sowieso.) Sie wird aus dem Kloster in eine Welt voller Gefahren und leiblicher Versuchungen entlassen und landet am Ende in einem bizarren Nachtlokal voller aus dem Ruder gelaufener kirchlicher Symbole und Figuren. Und da ist ein gespenstischer Zug, der sich an der Uferpromenade der Stadt zu Trommelklang findet und der das neofaschistische Potential der deutschen Gesellschaft sammelt, vom Skinhead bis zum Altnazi, und der schließlich vor einem „Führer“ endet. Der, natürlich wieder vom Zimmerschied gespielt, stellt sich als nächtliches Phantom eines verdrucksten Hutmachers heraus, der seine Rachephantasien ausagiert. Nicht daß der Autor hier mehr an aufklärerischer Verve und satirischer Schärfe entwickelte als in den anderen Szenen, aber Zimmerschied kommt hier zu einer eigenen Bildpoesie, beginnt filmisch zu denken und das Tautologische des Genres im Blick auf seine Stadt hinter sich zu lassen, die eben nicht nur schrecklich, sondern auch schön ist. Wie das Leben. In SCHARTL kann man die Schwächen des deutschen Kabarettistenfilms studieren und zugleich Ansätze zu ihrer Überwindung. Das ist schon etwas.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd film 12/94