Superman ist ein Sohn der Depressionsjahre. Und auch wenn er mittlerweile ein paar Schübe von Bewusstsein, mehr von falschem und am meisten von gespaltenem Bewusstsein hatte, so wird er das doch nie ganz los. Supergirl, seine Cousine, ist dagegen in den Sechzigern groß oder eben nicht ganz groß geworden. Und auch sie hat es nie ganz fertig gekriegt, über diese Zeit hinauszukommen.

Es ist deswegen auch gar nicht mal verwunderlich, dass Jeannot Szwarc gleich einen Sechziger-Jahre-Film mit ihr gedreht hat. Mit Kulissen, die aus Filmen wie BARBARELLA oder in wenigen Momenten MODESTY BLAISE stammen könnten, mit dem leicht verschleppten Tempo eines knapp bekifften Pop-Artisten, der Andy Warhol für überholt hält, und natürlich mit lauter Hippies als Helden.

Peter O’Toole ist ein Alt-Hippie irgendwie in den Sternen, natürlich Künstler, ein bisschen versoffen oder was, aber Künstler. Er hat irgendeine großmächtige Kugel erfunden, mit der sich der eine oder andere psychedelische Effekt realisieren läßt. Aber die wahre Macht liegt natürlich irgendwo viel tiefer. Mia Farrow schaut auch ganz entgeistert, als das Ding durch die Dekoration flitzt. Jung-Hippie Helen Slater hat sich von dem Ding antörnen lassen, und jetzt ist es durch ihre Schuld weg. Sie saust hinterher und wird auf der Erde zu Supergirl. Erster Stilbruch: zwei Rotnacken wollen sie da gleich vergewaltigen. Nicht mit Supergirl. Der Film braucht fast zwanzig Minuten, um diese Szene zu überwinden. Ohne die schwarze Hippie-Hexe Faye Dunaway wäre es vielleicht nie gelungen. Sie lebt in einer Geisterbahn und hat eine sehr englisch wirkende Assistentin. Überhaupt hat Amerika offensichtlich die „British Invasion“ noch nicht ganz überwunden.

Supergirl fliegt, als hätte sie gerade „Sergeant Pepper“ im Ohr. Sie ist das netteste Mädchen, und wenn ich das mal so hinkalauern darf, etwas abgehoben. Augen ganz verklärt von Hamburgers, Haight-Ashbury-Melodramen und der Erwartung eines Jungen, der ihr was von Sartre erzählt. Der Existentialist mit dem Silberblick – zur Not tut’s ja auch die Evergreen Review. Zweiter Stilbruch: Love, Love ist irgendwas Verhext-Drogisches. Die schwarzen Hippies, die Dämonen der siebziger Jahre, haben die Macht, durch einen Lehrer (!) ganz verquer verankert in der Bürgerwelt. Supergirl geht auf den Horror-Trip. Aus dem hilft ihr nur Alt-Hippie O’Toole mit Lebensweisheiten, Abgeklärtheit und Opfermut. Dann gehört, nach letztem Kampf der großen Bilder; die Kugel wieder Supergirl. Die muß zurück. Die Rückkehr der sechziger Jahre war nur ein Spuk. Oder anders gesagt: 1985 sind die sechziger Jahre ein mehr oder weniger schönes Märchen.

Aber andererseits ist SUPERGIRL ja auch der Traum von einem Mädchen, das keine Angst vorm Fliegen hat. Und insofern will ich nicht verhehlen, dass es einer der wenigen phantastischen Filme der letzten Zeit ist, der mehr Mut macht, als er nimmt. Wie immer daneben, wie immer zu schlecht für einen guten und zu gut für einen schön schlechten Film SUPERGIRL auch sein mag, es ist ein Film, der tatsächlich ein kleines bisschen versucht, die Weiblichkeit seiner Heldin (und seiner Anti-Heldin) anders in den Griff zu bekommen als durch den gewohnten Widerspruch zwischen Sex und Brutalität, den die amerikanischen Amazonen-Filme der letzten Zeit so genüßlich und nervtötend zelebrieren.

Szwarc kriegt diesen Zauber, dieses …. dieses Dingsda hin, wenngleich mit dem Holzhammer. Ich war mit meinen Töchtern im Kino; die Geschichte vom fliegenden Mädchen hat ihnen gefallen.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd Film 5/85