Dokumentarische Erinnerungsarbeit: wie ein Traum zerstört wurde

Viel Hoffnung macht der Film schon zu Beginn nicht. Isidra Garcia, einst Mitglied der bewaffneten Eskorte Allendes, fährt in einem robusten und ein wenig zerbeulten Wagen an einer Demonstration vorbei, rote Fahnen und ein paar Trommelwirbel im Vorübergleiten, und er beklagt, dass diese Demonstrationen nun klein seien, im Gegensatz zu den Zeiten Allendes. Dann folgt die Aufnahme aus der historischen Stunde, in der Allende verkündet, er werde seinen vom Volk erteilten Auftrag erfüllen und der Gewalt nicht weichen. Über einem melancholischen Lied stellt der Film einige seiner Protagonisten vor, jeden in seiner augenblicklichen Lebenssituation: die Journalistin Faride Zeran mit einigen Studenten, Juan Osses von der Leibwache Allendes in einem Sportstudio, Carlos Jarquera, der Presseattache Allendes, der mit einer Aktentasche durch Büroräume eilt, Osvaldo Puccia, der als „Kampfgefährte“ Allendes vorgestellt wird, mit dem Mobiltelefon parlierend in den Straßen des modernen Santiago, Isidra Garcia in seinem Jeep unterwegs. Dann sind wir wieder in Allendes Rede: „Ich habe keine Wahl. Man muss mich mit Kugeln durchlöchern, wenn man mich hindern will, den Willen des Volkes zu erfüllen.“ Aus der Spannung zwischen diesen beiden Bildwelten, die nicht nur im Schwarzweiß der Dokumente und den kräftigen Farben der aktuellen Film-Aufnahmen voneinander unterschieden sind, gewinnt der Film seinen Gestus.

Die Demokratie starb in den Stunden darauf. Nicht nur in Chile, wo das Blut floss und ein offensichtlich den Machtkreisen im Westen nicht unangenehmes Terrorregime unter Pinochet errichtet wurde. Vielmehr war das Schauspiel dieses Putsches auch eine Metapher dafür, dass die Interessen des Kapitals noch allemal den „Willen des Volkes“ brechen. Im Film von Michael Trabitzsch wird das nicht verschwiegen, aber sein Zentrum ist weniger die politische Analyse als die menschliche Anteilnahme. Das Drama selbst, nicht so sehr seine Autoren und seine Sponsoren.

Nach dem Titel sehen wir Nahaufnahmen von gefesselten Händen, Stiefel, die über Menschenkörper trampeln, Menschen, die mit erhobenen Armen von den Soldaten getrieben werden, das Stadion von Santiago, das zum Massengefängnis wird. Dann beginnt der Film mit der eigentlichen Erinnerungsarbeit. Allendes Tod ist, sagt Faride Zeran, wie eine griechische Tragödie, ein Schicksal, zu dem alle beitragen, vor allem die, welche es zu verhindern versuchen. Und damit ist ein wenig der Ton dieses Films vorgegeben. Er hat keine Angst vor dem Pathos, er zeigt Menschen, die sich um und aus Allende einen Mythos machen, und die von ihren Erinnerungen, aber auch jenseits ihrer überlebt haben. Trabitzsch lässt seine Zeugen und Dokumente sprechen, und er lässt ihnen ihre Zeit, ihren Raum, ihre Bewegung. Dass er sein Material so wenig unter Druck setzt, ihm so wenig abverlangt und so viel Freiheit lässt, scheint dem Gegenstand angemessen. Es ist sozusagen ein „allendischer“ Film, voller Trauer um diese zerstörte Hoffnung in der Geschichte, voller unterschwelliger Trauer wohl auch um den Verlust einer politischen Sprache und einer politischen Sprache der Bilder.

In dieser Vorgehensweise freilich bleibt für die Analyse kaum Platz. Vielleicht ist das Unausweichliche, das Tragödienhafte in dieser oral history etwas zu sehr betont; „es kam wie es kam“ heißt es einmal, und kaum etwas führt an die Punkte, wo es auch anders hätte kommen können. Mit einer Volksabstimmung versuchte Allende das „Massaker“ zu verhindern, das er kommen sehen musste, nachdem die Rechten die Führung in der Armee übernommen hatten. Doch der Putsch am 11. September 1973 kam dem zuvor.

Es gibt Filme, die die chilenische Tragödie schärfer und genauer angehen, und es gibt solche, die Ursachen und Interessen klarer benennen. Aber Trabitzsch gelingt, ohne sentimentale Propaganda, eine Montage von Bildern und Worten, die einen berührt, auch wenn man alles schon weiß, schon gesehen, schon mehrfach kommentiert erhalten hat. Man könnte am ehesten von einem filmischen Gedicht der Historie sprechen, einen Kaddisch für ein romantisch politisches Projekt. Und ist nicht doch genug Hoffnung in solchen Worten: „Allende ergibt sich nicht, ihr Arschlöcher von Militärs“, die der Präsident vor seinem Selbstmord sprach? Der Film endet mit einer Versöhnungsgeste: Ein Geheimdienstmann und einer von Allendes Getreuen, dem er das Leben gerettet hat, sind später zu Freunden geworden.

Autor: Georg Seeßlen

Text : veröffentlicht in epd film