Für jede demokratische Gesellschaft ist es ein Drahtseilakt: Es gibt ein Projekt der Freiheit für die Information, die Kunst, die Unterhaltung. „Eine Zensur findet nicht statt“, Basta! Aber da gibt es ein anderes Projekt, nennen wir es, ganz allgemein: Die Menschenwürde. Einen besonderen Teil davon nimmt dabei die Fürsorge einer demokratischen Gesellschaft für die Kindheit ein: der „Jugendschutz“.  Jugendschutz hat genau so einen Platz in unserem Grundgesetz wie die Freiheit der Kunst. Das entsprechende Gesetz ist seit der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland fünf mal neu formuliert werden. Schon daran ist ersichtlich, dass sich die Vorstellungen davon, wovor man denn die Jugend schützen muss, im Lauf der Zeit heftig verändern. Sex, Gewalt, Rassismus, Drogen oder sogar Rock’n’Roll? Filme, die in den fünfziger Jahren noch Skandale erzeugten, denken wir an „Die Sünderin“, wo Hildegard Knef ein paar Sekunden ihre nackte Rückseite sehen ließ, laufen heute im Sonntagsnachmittagprogramm des Fernsehens. Andrerseits entstanden neue Tabu-Felder. Helden für das Kinderzimmer sollen sich gefälligst das Rauchen abgewöhnen, zum Beispiel.

Eine Zensur findet nicht statt. Ja, schon. Aber das Nähere regeln Gesetze. Der Grundsatz der Meinungs- und Kunstfreiheit verbietet nämlich nur eine Vor-Zensur. Ist aber ein Buch, eine Zeitung oder ein Film erst einmal auf dem Markt, dann gelten die Gesetze. Und dann wird es nicht nur kompliziert sondern manchmal auch etwas willkürlich. Wir erinnern uns in der deutschen Skandalgeschichte daran, wie die Staatsanwaltschaft Pier Paolo Pasolinis finsteres Kunstwerk „Saló“ beschlagnahmen ließ, oder wie in Buchhandlungen antifaschistische Bücher beschlagnahmt wurden, weil auf dem Buchdeckel ein Hakenkreuz zu sehen war.

Für die Produzenten ist dieser Zustand ungemütlich: Sie können zwar herstellen, was sie wollen, aber wenn es auf dem Markt ist, kann es passieren, dass ihnen das Produkt nicht nur verboten wird, sondern auch ein ruinöses Gerichtsverfahren einbringt. Die ziemlich gute Idee, die sich die demokratische Gesellschaft ausdachte, um diesem Dilemma zu entgehen, ist die „Freiwillige Selbstkontrolle“. Es gibt sie in mehreren Feldern der populären Kultur, aber am bekanntesten geworden ist die Freiwillige Selbstkontrolle des Films in Deutschland. Vielleicht hat das damit zu tun, dass diese FSK ab und an mit sehr umstrittenen Entscheidungen ins Gerede kam. Vielleicht aber auch damit, dass dieses System, zwischen der Nicht-Zensur und dem Jugendschutz zu vermitteln, im Großen und Ganzen im Sinne eines Konsenses der Bilder recht gut funktioniert hat.

Die FSK ist nicht viel jünger als die Bundesrepublik selber: Am 28. September des Jahres 1949 übertrugen die alliierten Militärbehörden in einem hochoffiziellen Festakt einem Konsortium von Vertretern der Politik aus dem Bund und aus den Ländern, der Kirchen und der Filmwirtschaft ihre bis dahin ausgeübte Kontrollbefugnis. Im Biebricher Schloss von Wiesbaden nahm nun die „Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“ ihre Arbeit auf.

Das Funktionieren dieser Instanz ist relativ einfach. Der FSK, beziehungsweise einem paritätisch zusammengesetzten Ausschuss, werden Filme (und andere audiovisuelle Medien) zur Prüfung vorgelegt. Danach wird über die Freigabe für bestimmte Altersgruppen entschieden, werden bestimmte Schnitte verlangt, sogar Einsprüche der Produzenten werden verhandelt. Niemand kann gezwungen werden, seinen Film bei der FSK vorzulegen, allerdings hat sich die Vereinigung der deutschen Filmwirtschaft, die SPIO, dazu entschlossen, nur FSK-kontrollierte Produktionen zu veröffentlichen. Weil die FSK finanziell genau so wie politisch unabhängig urteilen soll, wird sie durch die Gebühren finanziert, die die Produzenten der geprüften Filme zu bezahlen haben. Die Grundsätze für die Prüfung werden von einer Grundsatzkommission immer mal wieder neu festgelegt, die aus zwanzig Vertretern der Film- und DVD-Branche, der öffentlichen Hand und der Rundfunkanstalten besteht.

Die Verfassung der FSK klingt einigermaßen harmonisch, aber dennoch hat es immer wieder Konflikte gegeben. Bei dem Film „Die Sünderin“, der schließlich eine Freigabe ab 18 Jahren erhielt, zogen sich die Vertreter der Kirchen empört zurück und riefen zum Boykott auf. Übrigens nicht so sehr wegen Hildegard Knefs nacktem Rücken, sondern wegen des Endes, in dem sie und ihr erblindender Liebhaber, ein Maler, freiwillig in den Tod gehen. Ähnliches geschah bei Ingmar Bergmans „Das Schweigen“, der lange Zeit für den Inbegriff des skandalösen Films herhalten musste. Nachhaltiger vielleicht als an der Sex-Front wirkten politische Entscheidungen der FSK. Roberto Rosselinis Film „Rom – Offene Stadt“ aus dem Jahr 1945, der das Ende der deutschen Besatzung schilderte und schon damals als bedeutendes Werk des Neorealismus galt, wurde 1950 von der FSK eine Freigabe mit der Begründung verweigert, er gefährde die deutsch-italienischen Beziehungen.  Auch Filme aus osteuropäischen Ländern hatten bei der FSK wenig Fürsprecher. Fehlurteile von heute scheinen eher andersherum auszufallen: Waren, zum Beispiel, die osbzönen Dialoge in „Keinohrhasen“ wirklich für Kinderohren unbedenklich? Aber was wäre eine Freiwillige Selbstkontrolle auch, wenn ihre Entscheidungen nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden könnten.

In den siebziger Jahren waren immerhin noch 30% der Spielfilme in unseren Kinos nicht unter 18 Jahren freigegeben, im letzten Jahrzehnt dagegen sind es nur noch 2%. Das hat sicher vor allem wirtschaftliche Gründe: Kino-Blockbuster können nur Filme werden, die für die ganze Familie freigegeben sind; 42% aller Spielfilme sind mittlerweile ohne jegliche Altersbeschränkung freigegeben. Drastische Angebote von Sex und Gewalt haben unterdessen das Medium gewechselt. Entsprechend richtet sich das Hauptinteresse der Öffentlichkeit auch auf die neueren Medien, DVD, Internet, Computerspiele, aber auch das Fernsehen. Kino freiwillig selbst zu kontrollieren ist demgegenüber eine wunderbar einfache und nachvollziehbare Aufgabe.

Die FSK ist kein perfektes System, um die demokratische Freiheit, Jugendschutz, Persönlichkeitsschutz und Menschenrecht und als drittes die Interessen der Medienbranche miteinander zu verknüpfen. Hauptsächlich deswegen, weil es dafür überhaupt kein perfektes System geben kann. Aber natürlich gibt es auch hier nicht nur krasse Fehlurteile, die wir mehr oder weniger dem „Zeitgeist“ zuschieben können, sondern natürlich wird da auch manövriert und getrickst. Zum Beispiel kann man als Filmproduzent darauf spekulieren, wer gerade im Ausschuss sitzt, wenn der eigene Film geprüft wird. Oder man kann bereitwillig die Schnittauflagen für, sagen wir, eine Freigabe ab 16 Jahren im Kino akzeptieren, nur um dann mit einer „uncut“ Version auf dem DVD-Markt zusätzlichen Gewinn zu machen. Schließlich wird oft genug schon bei der Produktion eines Filmes überlegt, welche Freigabe man anstrebt, und diesen Strategien fallen nicht nur spekulative Szenen zum Opfer, sondern manchmal auch definitiv künstlerische Entscheidungen.

Aber der Einfluss der FSK sinkt eher durch die Entwicklung der neuen Medien. Das Internet entzieht sich diesem hübschen Paradox einer demokratischen Zensur, die Globalisierung der Bildermärkte macht einen schwunghaften internationalen Handel mit „ungeschnittener“ Ware lukrativ, und selbst die Privatfernsehsender unterlaufen gern die Bemühungen der FSK. Dabei wäre es vielleicht nötiger denn je, dass wir uns einigen über das, was wir sehen wollen und was nicht, über die Grenzen, die Jugendschutz und Menschenwürde den Bildermaschinen setzen sollen. Auch mithilfe eines so unvollkommenen Instruments wie der FSK.

Autor: Georg Seeßlen

Text geschrieben September 2009

Text: veröffentlicht in Stuttgarter Nachrichten