HOLZKOPF-KINO, oder Warum schlechter Geschmack keine Lösung ist

Schlechter Geschmack ist ein prekäres Instrument im ästhetischen Machtkampf. Man kann mit ihm nachhaltig die symbolischen Ordnungen stören, und einen gelungen Coup mit dieser besonderen Waffe der Kritik erkennt man daran, dass man die gerade rechten Leute damit aus der Fassung gebracht hat. Wo wären wir, wenn in der Kunst nicht immer wieder die etwas Mutigeren und manchmal die etwas Rücksichtsloseren mit dem, was die Allgemeinheit als schlechten Geschmack empfunden hätte, die jeweils gültigen Gleichungen von Moral und Zeichen durchgestrichen hätten? Im Medienschrank aufrechter Aufklärer gehört sich ein Regal mit den Schätzen des Bad Taste.

Auf der anderen Seite steht die Geste des schlechten Geschmacks immer auch in der Nähe eines symbolischen und frivolen „terroristischen Aktes“. Man nimmt dabei in Kauf, Unschuldige zu verletzen, ein leeres Schlachtfeld zu hinterlassen, sogar das Subjekt der Geste selber ins Jenseits zu befördern. Noch in seiner „Explosion“ bleibt der schlechte Geschmack gebunden an den Geschmack oder die Ideologie der Mehrheit. Deshalb ist es auch gar nicht so einfach, wie es möglicherweise lange schien, zu entscheiden ob der bewusste Einsatz von Schlechtem Geschmack nun eine linke oder eine rechte Geste sei. Man benutzt da gern (und ohne viel nachzudenken) das Wort „anarchistisch“. Das mag wohl als Metapher für einen ästhetischen Akt gelten, der sich nicht bloß gegen eine bestimmte, sondern gegen die Ordnung an sich richtet. Und das vermeintliche Ziel des ästhetischen Anschlags ist immer „der Spießer“, ob es ein linker oder ein rechter sei (eine neue Variante hat man sich „Gutmensch“ zu nennen angewöhnt). Erste Zweifel an dieser mythischen Konstruktion des Schlechten Geschmacks als Mittel im ästhetischen Klassenkampf kommen uns spätestens bei Betrachtung des ewig laufenden Fernsehprogramms. Schlechter Geschmack ist hier offenkundig nicht mehr die mehr oder weniger heilsame, mehr oder weniger revolutionäre Störung, sondern ein fester Bestandteil der symbolischen Ordnung. Alles was im Fernsehen „Kult“ wird, und was zu den guilty pleasures des linksliberalen bürgerlichen Nachwuchses gehört, zeichnet sich durch eine gehörige Portion an schlechtem Geschmack aus: Al Bundy, Mr. Bean, die Simpsons, Sex and the City, die Sopranos, Harald Schmidt… Auch die Animationsserie „South Park“ von Trey Parker und Matt Stone gehört dazu, obschon diese Verknüpfung von Pseudo-Niedlichkeit und Bösartigkeit wenigstens hierzulande nicht recht ankam. Immer geht es da um die Infiltration populärer Formate und Formen, die aggressive Umkehrung regressiver Tendenzen, und immer ist das gedacht als Antidot zur puren Geschmacklosigkeit des Mainstream-Programms, das ohne die Inseln des institutionellen Bad Taste längst nicht mehr zu ertragen wäre. Wenn aber schlechter Geschmack zum Teil des Programms geworden ist, wie steht es dann mit seiner politischen Wirkung?

Im Kino scheint diese Dialektik von Mainstream-Banalität und Bad Taste-Hysterie nur noch verschärft. Der Film TEAM AMERICA trägt alle Ingredienzien von schlechtem Geschmack. Man sieht Marionetten ausgiebig kotzen, ficken, sich massakrieren und, man denke, sogar rauchen. Es werden nicht nur die fiktiven Weltpolizisten, die erst einmal die Welt in Trümmer legen, bevor sie sich irgendwelche Fragen stellen, verscheißert, sondern auch die Tauben unter den Hollywood-Schauspielern, Alec Baldwin, Tim Robinson, Susan Sarandon, Samuel Jackson, Sean Penn… Und die Welt wird auf ein einfaches Modell reduziert, das ungefähr darauf zurückzuführen ist: Es gibt die Harten, die Pussys und die Arschlöcher. Die Harten ficken die Pussys und die Arschlöcher, sonst wird die Welt ganz schön angeschissen. Das eigentlich Lustige an dieser Marionetten-Obszönität ist es, dass es dem Denken von ungefähr der Hälfte unserer Zeitgenossen durchaus angemessen ist. Oder anders gesagt: Die Ordnung der Welt funktioniert in der Tat so.

Parker und bekennen freimütig, dass sie Bush für einen Idioten halten, und Michael Moore ebenso. Und was die Tauben unter den Hollywood-Schauspielern anbelangt, werden sie auch einigermaßen persönlich. Dass sich Moore, Alec Baldwin und Sean Penn über diesen Film aufgeregt haben kann man vom alten Europa aus leicht als Humorlosigkeit abtun; hier wäre diese Beleidigung, die Kritiker der Kriegspolitik als eitle Volltrottel darzustellen, die nicht nur zu nützlichen Idioten des Super-Bösen Kim Jong-il werden, sondern gleich selber zu Maschinengewehr und Säbel greifen, um das Geschäft der Terroristen zu erledigen, vermutlich kaum denkbar, ohne dass sich im Feuilleton und vor Gericht etwas täte. Ich vermute: Für unsere Medien-Moral ist es zweierlei, ob ein Anschlag des schlechten Geschmacks amerikanische oder europäische Urheber und Ziele hat.

Das wahre Angriffsziel, so viel ist bald klar, ist Hollywood selber; als Parodie auf Jerry Bruckheimer-Produktionen und die Verbindung von hirnloser Action und Soap Opera-Beziehungsquark, auf James Bond-Phantasien und Ridley Scott-Nihilismus funktioniert das Stück auch absolut prächtig. Da gelingt auch die Verknüpfung von Form und Inhalt am besten. Wir begreifen diese Menschen nur als Marionetten, die mit dem Arsenal eines Spielzeugladens ihre Welt kaputtmachen und ihr Hauptquartier in den hohlen Köpfen der Präsidenten am Mount Rushmore haben, die Verknüpfung von sexuellen und politischen Neurosen.

Die ursprüngliche Ästhetik von Marionetten als Stars von futuristischer Action stammt aus der englischen Serie „Thunderbirds“ (die gerade eine strunzlangweilige Realfilm-Version bekam). Anders als in der „Augsburger Puppenkiste“ mit ihrer Märchen-sophistication ging es hier um die Verknüpfung der Techno/Geo-Politik in die Kinderkultur. TEAM AMERICA dreht das nur um, indem der Film Techno/Geo-Politik auf die Objekte der Kinderkultur zurückführt.

Meine Lieblingsszene kommt gleich am Anfang. Zuerst sehen wir eine Marionette vor einem (schlecht) gemalten Hintergrund, der ein Klischee-Paris zeigt. Kaum hat man sich auf diese Repräsentationsebene eingelassen, fährt die Kamera zurück, und wir erkennen, dass das Puppenspiel Teil einer größeren Szene ist, in der die Kulissen viel aufwändiger und liebevoller gestaltet sind, und in der die Klischees noch obszöner ausfallen. Die Pflastersteine haben die Form von Croissants.

Schlechter Geschmack funktioniert in der Regel so, dass etwas, was dem Mainstream „heilig“ oder zumindest hoch emotional besetzt und mehr oder weniger geschlossen codiert ist, in Verbindung gebracht wird mit dem Trivialen, dem Lächerlichen, dem Obszönen, dem Korrupten und womöglich dem Bösen. Eine besondere Variante allerdings funktioniert gerade in der Umkehrung: Etwas dem Mainstream als böse, lächerlich oder peinlich erscheinendes wird mit Sentiment und Melodrama aufgefüllt. Dazu gibt es in TEAM AMERICA zwei sehr hübsche Beispiele. Einmal, als der fiese Diktator, der gerade noch den UN-Inspektor den Fischen zum Fraß vorgeworfen hat, und der mit der englischen Sprache so seine Schwierigkeit hat, auf einsamen Wanderungen durch seinen Platz das Lied von seiner „Roneryness“ singt. Man erinnert sich ein bisschen an die Szene des Tanzes mit der Weltkugel in Chaplins THE GREAT DICTATOR. Die zweite ist ein Lied, das Gary, der wahrhaft hölzerne Schauspieler-Held nach seinem Herunterkommen begleitet, und in dem höchst pathetisch die Rede davon ist, dass man die Liebste noch mehr braucht als Ben Affleck Schauspielunterricht, dass sie einem noch mehr fehlt als der Sinn in „Pearl Harbor“. Schlechter Geschmack kann also auch einmal subtiler daherkommen, die Regel ist das nicht. Stattdessen sehen wir, wie die Holzköpfe den Pariser Eiffelturm, die ägyptischen Pyramiden und andere Heiligtümer in Schutt legen, patriotischen Nonsense absondern, wie der unentwegt Hot Dogs mampfende Michael Moore sich als Selbstmordattentäter im Hauptquartier der World Police in die Luft sprengt, wie der Boss vom Helden oralen Sex verlangt, genauer gesagt: Es geht hier nicht um Sex. Es geht um „Vertrauen“, wie Kim Jong-il seinen Dolmetscher erschießt, und der Held des ganzen Spektakels wird.

Neben den Marionetten-Fäden werden die Hauptfiguren auch durch winzige ferngesteuerte Motoren bewegt. Und bis zum Schattenwurf der martialischen Wichtl hat alles seine Bedeutungen um den „größten Katastrophenfilm aller Zeiten“ zu schaffen. Barbie und Ken als Protagonisten des neurotischen Zerstörungswahns, die mit ihren weit aufgerissenen Augen nur Ziele für ihre Handfeuerwaffen in der Welt sehen.

TEAM AMERICA ähnelt dann doch eben dem, was es scheinbar zu attackieren hat. Man sieht etwas, das mit ungeheurer Detailliebe und mit immerhin 32 Millionen Dollar Produktionskosten nur hergestellt wird, um möglichst viel Zerstörung anzurichten. Spätestens nach zwanzig Minuten stellt sich beim Betrachten des Films ein wehmütiges Gefühl ein: Was hätte man mit diesem Geld, mit dieser Leidenschaft für die kleinen Dinge, mit dieser technisch-ästhetischen Kompetenz, aber auch mit diesem Zorn und dieser Kraft anstellen können, wenn… Ja wenn! Schlechter Geschmack ist ein Symptom für die Abwesenheit der Utopie.

Autor: Georg Seesslen

Text geschrieben: Januar 2005