Autopilotismus

Männerstärken Teil acht der „Fast & Furios“-Reihe im Kino – ein Ende des Erfolgsmodells ist nicht in Sicht. Eine Inspektion

Falls jemand gar nicht weiß, worum es in den Fast & Furious-Filmen geht, hier einer der Sprüche, mit denen sich junge Männer beharken, bevor sie sich in aufgetunten Sportwagen ein Rennen durch öde Vorstadtstraßen oder schon mal mitten durch den Abendverkehr liefern: „Dein Motor ist nicht mal so groß wie dein Maul.“ Das Mundwerk, der Motor und, na ja, irgendwas mit Männlichkeit, das ist die ganze Gleichung. „Bist du auch einer von denen, die mit Autos mehr anfangen können als mit Frauen?“, fragt eine natürlich supertolle Frau den Helden, und die Antwort ist: „Ich bin einer von denen, die auf ein gutes Fahrgestell abfahren, egal welche Marke.“Auweia.

Fast & Furious-Filme – mit dieser Woche werden es acht, zwei Kurzfilme für Zwischendrin nicht mitgerechnet – sind Filme für Jungs (und vielleicht auch ein paar Mädchen) ab zwölf. Große Brüder und Väter können mitgehen, die besorgten Mütter besser nicht. Denn es geht darum, was im wirklichen Leben das Allerletzte ist, nämlich aus lauter Lust und Frust, aus Aggression und Regression, aus Macho-Gehabe und Familienroman-Neurose das eigene und das Leben anderer Menschen zu riskieren. Um einen, wie sagt man, Kick zu bekommen. Oder um, wie der kahlköpfige Vin Diesel einmal sagt, „sich zu spüren“, weil man, wenn man nicht gerade seinen Motor aufheulen lässt, so was von tot und out ist.

Es ist eine ziemlich geschlossene Welt, diese Szene der illegalen Autorennen. Und es geht da, nebenbei, doch nicht nur um Männlichkeit, Motoren und Mundwerk, sondern auch um eine Menge Geld, das in der Regel genauso illegal zirkuliert, wie die Rennen selber funktionieren. Der Kick dieser Duelle entsteht vor dem Hintergrund krimineller Machenschaften, und das bietet den Aufhänger für den roten Faden, der sich durch die ansonsten eher vernachlässigbare Handlung der Filme zieht: Die beiden Protagonisten, der als Undercover-Agent arbeitende Cop Brian (Paul Walker) und der seelisch heftig angeknackste Outlaw Dom (Vin Diesel), wechseln beständig die Seiten, Cop und Outlaw, Insider und Ausgestoßener, Gut-Guter und Gut-Böser, auf der Jagd nach dem Bösen und zugleich auf der Flucht vor den Guten (auf deren Seite dann in den späteren Filmen Dwayne Johnson alias The Rock auch noch als dritter rauer Held auftaucht).

Verbunden sind die beiden nicht nur durch szeneüblichen Respekt – die Geliebte Brians ist Doms Schwester. Damit ist eine zweite Ebene der Handlung eröffnet, eine Art Soap-Opera, die wiederum eng verzahnt ist mit einer dritten, dem Psychotrip ins Gangland von Doms Freundin. Der junge Cop jedenfalls ist so mächtig fasziniert von den Riten und Gesten der Szene, von der Kraft der Motoren und dem Adrenalin-Stoß der Rennen ganz zu schweigen, dass er ihr mehr verpflichtet ist als seinem Auftrag. Und natürlich geht es da auch um Loyalität und Freundschaft.

Was in Kathryn Bigelows Film Point Break von 1991 in die Tiefe geht und an manchen Stellen wirklich weh tut, das bleibt hier reines Oberflächenspiel, das vor allem durch die seriellen Variationen Spaß macht. „Vielleicht bist du keiner von den Guten, der sich für einen Bösen ausgibt, sondern einer von den Bösen, der sich für einen Guten ausgibt. Schon mal darüber nachgedacht?“, so fragt die Geliebte im dritten Teil, und die Antwort ist: „Jeden Tag.“

Burt Reynolds’ Schnauzbart

Es passiert eigentlich immer das Gleiche, aber es passiert immer ein bisschen anders. Das gilt sogar für ein Spin-off, The Fast and the Furious: Tokyo Drift, das die Konstellation mit jugendlichen Darstellern und in einer japanischen Spezialdisziplin wiederholt. Womit man bei einer weiteren Attraktion der Serie ist, dem Schauplatz. Jeder Film sucht sich einen neuen, mehr oder weniger exotischen oder populären Hintergrund für die Handlung. Das ist von den James-Bond-Filmen her Standard für gehobene Actionware.

Ansonsten geht es darum, in die Szene der illegalen Rennen einzusteigen, um an irgendeine kriminelle Verschwörung oder an einen Superverbrecher zu kommen, sich dabei zu rehabilitieren oder erneut an die Faszination des Männerrituals zu verlieren. Nicht, dass es im Verlauf der Serie nicht auch weibliche Besetzungen der „Piloten“-Rollen gäbe, die nicht damit zufrieden sind, mit Titten und Ärschen zu wackeln und sich als Preis für den Sieger zu inszenieren. Im Hintergrund der Rennen und im Hintergrund der Verbrecherjagden und Maskeraden sind auch noch familiäre Elemente zu erkennen – der Held muss heiraten und Kinder kriegen. Was die Frage aufwirft, ob man zugleich Kleinbürger und Adrenalinjunkie sein kann.

Im Kern sind die Fast & Furious-Filme, dem Konzept des neuen Hollywood verpflichtet, nicht viel mehr als die Übertragung eines einstigen B-Film-Rezepts in die produktionstechnische und budgetmäßige A-Kategorie. In den 1970er Jahren nämlich setzten sich billige, aber rasante Filme über illegale Rennen, die manchmal durch ganz US-Amerika führten, in den einschlägigen Kinos gegen Kung Fu- und Italowestern durch; der neue Outlaw-Mythos war eine durchaus zeitgemäße Variante des „amerikanischen Kinos par excellence“. Auch da schon gab es dann ein Jahrzehnt darauf eine „edlere“ und gezähmte Variante, etwa in den schnauzbärtigen Americana mit Burt Reynolds. Markenzeichen: lustig-doofe Polizisten in Nebenrollen. So was hat sich erübrigt: Cops sind heute entweder fies-brutal oder gut-brutal.

Innerhalb der Serie selbst ist eine solche „Zähmung“ ebenfalls zu beobachten (wie gesagt: Es ist für die Kids); die Schlüsselszenen der endlosen Autorasereien und des Kaputtmachens von Menschen und Maschinen werden immer stärker mit einer kriminalistischen und melodramatischen Handlung aufgerüstet. Wenn man es gut meint mit der Serie, könnte man wohl von einer rasenden Reise zweier zueinander spiegelverkehrt ähnlichen Charaktere auf der Suche nach sich selbst sprechen. Wenn man es nicht so gut meint, ist es Macho-Bullshit erster Güte, mit „philosophischen“ Sprüchen, die einem zwischen den nun in der Tat, wie man so sagt, rasant gefilmten Autoduellen, Verfolgungsjagden, Schießereien und Stunts die Schuhe ausziehen.

Aber was zum Teufel macht diese Filme so erfolgreich? Ist es eine Art Kompensation in einer Autokultur, in der das Rasen nicht, wie bei uns, das Normalverhalten ist? Ist es eine Verzahnung von Kino- und Werbeästhetik (einer der Sponsoren lässt in einem kleinen Vorfilm Paul Walker auf den DVDs ausdrücklich davor warnen, solche Fahrkunststücke wie in den Filmen gezeigt nachzuahmen), die einen Automobilkult für eine bestimmte Klientel am Leben erhält, der unter den Angehörigen des Mittelstandes längst passé ist und gegenüber der simulativen Wirklichkeit unter der Herrschaft der Digital Natives an eine gute alte Zeit erinnert, in der man Männlichkeit noch analog erzeugen konnte?

Ein Parallelgenre, die Actionfilme mit alternden Männern, die Cliquen um Sylvester Stallone und seine Expendables (2010 ff.), oder die Einzelgänger-Filme mit Liam Neeson, scheinen eine solche Sehnsucht zu bestätigen. Es ist der Traum vom Männerkörper, der seine Maschinen noch unter Kontrolle hat. Aber auch der Kinotraum von einer Welt, die noch aus richtigem Raum und richtiger Zeit besteht. Weswegen, verkehrstechnische Moral hin oder her, auch Cineasten durchaus von Fast & Furious-Filmen fasziniert werden können.

Der Wahrheit die Ehre: Auch in den Fast & Furious-Filmen gibt es Zugeständnisse an die neue Zeit: Immer wieder tauchen wir per CGI (Computer Generated Images) gleichsam direkt in den Motor ein, und immer wieder kippt das Action-Moment in die Ästhetik des Computerspiels oder die irrealen Zerstörungs- und Rettungsbilder, wie wir sie aus Superheldenfilmen kennen.

Vielleicht geht es einfach darum, eine bewohnbare Parallelwelt zu erzeugen, in der möglichst wenig vom Grauen und der Langeweile des echten Lebens übrig bleibt.

Paul Walkers Erbe

Zu diesem Zweck ist in den Fast & Furious-Filmen eine Reihe von selbstreferenziellen Knoten eingebaut: Immer wieder gibt es eine Art Abendmahl, bei dem derjenige, der sich zuerst bedient hat, das Tischgebet sprechen muss, was immer zu einer Form der Lobpreisung schneller Motoren und aufregender Rennen führt; immer wieder ist von „Zehn-Sekunden-Autos“ die Rede, die irgendjemand irgendjemandem schuldig ist; und immer wieder wird dieser Grat beschrieben, Messers Schneide, zwischen dem Verbrechen und seiner Verfolgung.

Es ist jedenfalls immer was los. Der Auto-Fetischismus, die pure Aktion und das Charakterbild sind auf sehr viel raffiniertere Weise miteinander verbunden, als das bei den Grindhouse-Vorläufern der Fall war. Was natürlich auch heißt, dass die Fast & Furious-Filme besser beim Lügen sind. Während der Dreharbeiten zum siebenten Teil kam Paul Walker bei einem Autounfall ums Leben; hohe Geschwindigkeit spielte auch hier eine Rolle. Er wurde für den Rest der Dreharbeiten durch seine Brüder ersetzt. Und die Produktion von Fast & Furious 8, der jetzt ins Kino kommt, muss auch in der Wirklichkeit ein furchtbarer Macho-Kampf (zwischen Vin Diesel und Dwayne Johnson) gewesen sein, wie man hört. Die Schurkenrolle wird nun von Charlize Theron eingenommen; mit Jason Statham kommt ein weiterer typischer „analoger“ Actionstar ins Spiel. Es ist der erste Hollywood-Film, der auf Kuba gedreht wurde. Und so setzt sich der Kinotraum auch hier in die Wirklichkeit fort.

Der Mythos des Automobils verblasst in der Zeit selbstfahrender Elektroautos nicht weniger als der Mythos des Männerkörpers als Kampfmaschine in der Zeit von Drohne und Cyberwar. Kein Wunder, dass in der Beschwörung von beidem eine gewisse Hysterie zu beobachten ist. Beide, so scheint es, können nur noch sterben. Aber das sollen sie in Schönheit tun. Oder in dem, was die Fast & Furious-Ästhetik dafür hält. Ein langer Abschied, nicht nur im Kino, sondern auch von einem Kino – einem Kino am Rand der physikalischen Wirklichkeit.

Georg Seeßlen | der Freitag | Ausgabe 15/17

Bild oben:  Wandobjekt aus der Reihe INSEKTEN © Erik Weiser

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