Mit Nietzsche durch eine Welt des Zorns

Schwarzer Ritter, blaue Blume: Christopher Nolans Blockbuster „Batman Begins“ nimmt den Helden endlich wieder ernst. Und wird so zu einem Essay über die Verantwortung des Einzelnen in neoliberalen Zeiten

Die Leinwand eines Kinos ist ein seltsamer Spiegel. Auf der einen Seite schaut ein Kind hinein, das sich als Erwachsenen sieht, komplett mit Sex, Gewalt, Geschichte und Verantwortung. Von der anderen Seite sieht ein Erwachsener hinein, der seine verlorene Kindheit betrachtet, voller Ängste, Erwartungen und unbändigem Glück. Die schlechten Kino-Heldenbilder tun so, als würden sie davon nichts bemerken. Sie geben sich erwachsen für Erwachsene oder kindisch für Kinder. Aber es gibt auch Kino-Helden, die, wie unsere Freundin Alice, die Kunst beherrschen, durch den Spiegel zu gehen. Mal in die eine, mal in die andere Richtung. Batman ist so ein Held.

Schon oft ist der Traum von der populären Kultur verloren und wiedergewonnen worden. Von der großen Leinwand hat er sich vor einer Dekade mit albernen Großproduktionen verabschiedet, in denen korrupte Erwachsene aneinander vorbei schauten. Wer konnte Batman für das Kino, wer konnte Alices Spiegel retten? Er mußte nicht nur eine neue Geschichte für unseren Helden mitbringen. Sondern auch eine neue Art, sie zu erzählen.

Christopher Nolan hat sich mit gerade einmal drei Filmen als Liebling der Kritik etabliert: „Following“ (No Budget), „Memento“ (Low Budget) und „Insomnia“ (Hollywood Budget). Es scheint, als könnte da ein junger Regisseur seinen künstlerischen Eigensinn auch gegen die Zwänge der Traumfabrik bewahren. Nolan mischt Dostojewski, Hitchcock und David Lynch zu einer Art von Kino, das sich von der Hollywood-Dramaturgie ebenso befreit wie von der Diktatur des psychologischen Realismus. Er erzählt, wie die moderne Literatur, im Ungewissen, er erzählt von Mordkomplotten und Gedächtnisverlust, von der Verführung des Bösen und vom Verirren im Seelenlabyrinth. Und er erzählt durch und von Personen, die höchst unzuverlässige Erzähler sind. In seinen düsteren Thrillern geht es darum, daß man sich auf die Bilder so wenig verlassen kann wie auf die Worte. Schön sind seine Filme trotzdem, auch wenn es keine verlässliche Chronologie, keinen zuverlässigen Helden und schon gar kein Happy-End gibt. Denn Nolan hat auch einen unverwechselbaren Stil: Er dreht die zeitgemäßeste Art des „film noir“.

Batman, ein Comic- und Filmheld, der in seiner fünfundsechzigjährigen Geschichte immer wieder das äußere Erscheinungsbild und noch häufiger den Charakter hinter der schwarzen Fledermaus-Maske änderte, ist eine Ikone der amerikanischen und der universalen Popkultur. Die Kinder dieser Welt und das Kind in vielen erwachsenen Menschen warten darauf, dass dieser Held in großem Stil zurückkehrt. Und Batman trägt nicht nur die Verantwortung für diese Kinderträume, sondern auch für den Verkauf von Comics, T-Shirts, Postern und Spielzeug.

Was also bringt einen intellektuellen Regisseur wie Christopher Nolan dazu, sich den Regeln des Blockbuster-Kinos zu unterwerfen und einen mehr oder weniger fertigen Helden aus dem Baukasten der Pop-Mythologie zu übernehmen – mitsamt dem enormen Erwartungsdruck, der auf ihm lastet? Sicherlich ist es verlockend, im größten Spielzeugladen der Welt freie Auswahl zu haben; mit Stars wie Michael Caine, Morgan Freeman und Christian Bale zu arbeiten, mit Computereffekten, Modellbauten und Statisten zu spielen und dabei den eigenen Stil zu bewahren. Vielleicht aber geht die Sache auch tiefer, vielleicht trifft der Regisseur mit der Vorliebe für gespaltene Persönlichkeiten gerade zum rechten Augenblick auf einen Helden, für den Selbstzweifel, Einsamkeit und Weltschmerz nichts Neues sind und der offenbar immer dann seine beste Zeit hat, wenn die anderen, die strahlenden und immer auch ein bißchen dummen Helden ihre größten Krisen erleben.

Batman ist aus dem Urstoff des Heroischen: Alleingelassen und getrieben von heiligem Zorn (Gangster haben seine Eltern ermordet), von einer absurden Sehnsucht danach, die Welt zu reinigen vom Bösen wie Kapitän Ahab die See vom verfluchten weißen Wal, ist er gezeichnet von einer neurotischen Persönlichkeitsspaltung: Er, der das Gute in die Welt bringen will, kann selber nicht gut sein. Er, der aus der urbanen Angst geboren wurde, muss sich in ein Wesen verwandeln, dessen stärkste Waffe die Fähigkeit ist, Angst zu machen. Tagsüber gibt er Bruce Wayne, den milliardenschweren Industriellen und Playboy, die Karikatur einer amerikanischen Erfolgsgeschichte. Nachts ist er der „dunkle Ritter“, im ewigen Kampf mit obsessiven Alptraum-Gestalten wie dem Joker, Pinguin, Two-Face oder Scarecrow. Gestalten aus den schlechten Träumen eines einsamen Kindes, das in Bruce Wayne nicht ganz so tief verborgen ist wie in Citizen Kane.

Ein junger Mann namens Bob Kane schuf die Gestalt im Jahr 1939, seine Inspiration kam von zwei Kino-Filmen; einer handelte von einem maskierten Rächer namens Zorro, im anderen posierte Bela Lugosi als vampirischer Graf im Fledermausmantel. So einfach war die Grundidee: Ein Guter, der aussieht wie ein Böser. Ein Mensch, der freiwillig zum Gespenst wird. Die Spur des Helden wird nicht von seinem Triumph, sondern von seinem Stil bestimmt: Batman ist ein urbaner Charakter. Superman, wir erinnern uns, wuchs in der Kleinstadt Smallville auf, und auch als Reporter in New York blieb er letztlich immer das Provinzei. Batman/Bruce Wayne dagegen weiß zu leben, er kann mit Kunst und Drogen und Technik und Genuss umgehen, und er ist persönlich verstrickt in Schuld und Sühne. Ein Held der sozialen Vernunft und ein anderer der Subjektlust. Kant gegen Nietzsche, die alte Geschichte: Superman glaubt, er müsse die ganze Welt nach einem kategorischen Imperativ ordnen, Batman hingegen hält seine Person für das Medium von Heil und Verdammnis.

Mit einer Unbedingtheit, die in den fünfziger Jahren weichgespült wurde: Batman und Robin verloren ihre Heimat, die nächtlichen Straßen und die Labyrinthe unter der Stadt; im Licht des Tages aber ging viel von ihrer Faszination verloren. Gegen die bunte Harmlosigkeit half schließlich nur Selbstironie. In den Sechzigern machte man aus Batman eine Ikone der Pop-art: Es ging nicht mehr um Stimmung und Moral, es ging um psychedelische Effekte, ums Coolsein. Batman für die Kinder von Andy Warhol und Afri-Cola. In den siebziger Jahren indes erlebten die amerikanischen Comics einen Schub an sozialem Bewußtsein. Batman kehrte in die große Stadt zurück, wenn auch mit einem Hauch von Streetworker-Elan. Aber das etwas aufdringliche Pochen des sozialen Gewissens täuschte so wenig wie die Pop-art-Hysterie darüber hinweg, dass unser Held eigentlich nach Hause wollte. Nach Hause in die Nacht, in die Neurose, zu den Straßen, die dunkler als schwarz sind. Die Serie „Batman: The Dark Knight Returns“ führt 1986 in eine Stadt, in der es keine gesellschaftliche Ordnung und kein Projekt mehr gibt. Der Neoliberalismus hat gesiegt, die Zeit für spielende Kinder und hippe Dandys ist vorüber. Trotzdem muß er noch einmal zum Kampf antreten, obwohl er ahnt, dass seine Welt nicht mehr zu retten ist.

Auch Tim Burtons großer Kino-Film mit Michael Keaton in der Hauptrolle folgte dem Konzept der Regothisierung: ein Gotham City, das weder Vergangenheit noch Gegenwart ist, sondern reine Kino-Schöpfung. Zuletzt ließ es Regisseur Joel Schumacher krachen und versenkte den Mythos so nachhaltig in einem Effektgewitter, dass es Jahre brauchte, bis man einen Neuanfang wagen konnte. Dass man jetzt einen so eigenwilligen Regisseur wie Christopher Nolan engagierte, ist ein Signal dafür, dass man Batman wieder ernst nimmt. Natürlich liefert er in „Batman Begins“ auch all das, was einen Blockbuster ausmacht: Action, phantastische Schauplätze und (eher dezent eingesetzt) Computereffekte. Sein Star, Christian Bale, bietet eine perfekte Projektionsfläche: In einem Augenblick erscheint er wie eine Figur aus einer ehrgeizigen Dostojewski-Verfilmung, im anderen ist er wieder ganz der Comic-Held aus den Kinderträumen.

Aber dahinter steckt eine zweite Annäherung, die eines zärtlichen Dekonstruktivisten an den Mythos der amerikanischen Gothic. Bale selber erklärt seine Figur so: „Es tobt ein innerer Kampf in ihm; er muß die düsteren Gefühle unterdrücken, die ihn vernichten, wenn er sie nicht in den Griff bekommt.“ Alles beginnt mit einem Sturz in den Brunnen und der Begegnung des kleinen Bruce Wayne mit einem Schwarm aufgeregter Fledermäuse. Der Vater, der ihn rettet und bald darauf getötet wird, gibt ihm dies als Lebensaufgabe mit: die Angst zu überwinden. Aber Zorn und Angst begleiten ihn weiter, treiben ihn auf eine Suche in ein fernes Land. Bruce Wayne findet die blaue Blume und bringt sie dorthin, wo eine Weltverschwörung ihre Krieger der Nacht ausbildet. Beinahe wäre Bruce Wayne einer von ihnen geworden. Aber nach dem Zorn und nach der Angst überwindet er auch die Unmenschlichkeit, die sich als Gerechtigkeit tarnen mag. Und kehrt zurück in seine Heimatstadt, nicht als Zerstörer, sondern als Retter in eine Welt voll Gewalt und Elend.

Das ist der große Trick dieses Films und die Leistung von Christopher Nolan: Er verbindet den Pop-Mythos des gebrochenen Helden und eine aktuelle Gesellschaftsanalyse zu einem Spiel mit Wahrnehmung und Erinnerung; das sehnsüchtige Kind guckt beinahe so fassungslos auf den korrupten oder verzweifelten Erwachsenen wie der auf das Kind, dem die Ängste so schwer zu nehmen und die Hoffnungen so leicht zu zerstören sind. „Batman Begins“ ist das Paradox eines bewussten Märchens oder ein Märchen des Bewusstseins. Es ist ein Essay über die Verantwortung des erwachsenen Einzelnen in der Endzeit des Neoliberalismus. Und der Traum eines verängstigten Jungen. Der sich vor Fledermäusen in einem Brunnen fürchtet. Vor der Last eines schweren Erbes. Vor der Liebe. Vor Maske und Demaskierung. Vor dem Erwachsenwerden.

Nolan erzählt, warum der Held viele Gesichter haben muß. Weil auch er einer von uns ist, ganz im Sinne des deutschen Philosophen Ernst Bloch: „Wir sind, aber wir haben uns nicht.“ Darum werden wir erst. Zum Menschen, den sich der melancholische Erwachsene und das sehnsüchtige Kind erträumen. Hinter der Person und als Maske oder umgekehrt.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in Welt