Italienische Pop-Musik, die im übrigen nirgendwo auf der Welt so viele ernstlich böse Gegner hat wie in Italien, ist wie ein halb geschmolzener Copa d’oro von Gelati Motta am Strand, während das Meer, wie an jedem Spätnachmittag, gehörig zu stinken beginnt. Und was diese perfekt leere Matsche aus Folklore und Disco den Ohren, das bieten Adriano-Celentano-Filme, wenn die bagnini die Liegestühle zusammengeklappt haben, im Freiluftkino an der Promenade den Augen. »Bellissimo« ist schon wieder der „erfolgreichste italienische Film des Jahres“.

Daraus könnte der wahre Kenner von Industriespeiseeis, Pop-Kultur und schönen Nebensächlichkeiten durchaus sein Vergnügen ziehen. Dagegen spricht hierzulande freilich nicht nur das Fehlen des passenden Strandes mit seinem spezifischen Abfall und Glanz, sondern auch die deutsche Synchronisation. Um keine Mißverständnisse zu züchten: die Original-Dialoge von Celentano – und anderen italienischen Filmen dieser Preisklasse sind nicht viel intelligenter als die deutschen. Sie sind aber musikalischer, natürlich stimmiger, und, ja, menschenfreundlicher: sie sprechen, während die deutschen Synchrontexte davon erzählen, auf welche törichte Arten man Menschen verachten kann, davon, auf welche krause Arten man sie mögen kann.

Jedenfalls, nach fünf Minuten ist die Geschichte klar, die übrigens in Como spielt (ich vermisse eine frische Brise vom Meer, mag es auch nachmittags zu stinken beginnen): Celentano mag die Frauen fast so wie sie ihn, nur die eine, die seine Tochter sein könnte (und diese Rolle auch ab und zu spielt, wenn er eine seiner Geliebten loswerden will), die ignoriert er, jedenfalls verhältnismäßig, bis sie zum letzten und richtigen Moment an der richtigen Stelle, nämlich in der Kirche, die Engel singen hören. Baci per tutti!

Nach einer Viertelstunde sind die Synchronkalauer nicht mehr zu ertragen. Der Walkman bringt die Erlösung. Und wird nur kurz abgesetzt, wenn Celentano zu seinen Tanzparodien ansetzt (zum Beispiel in der Verkleidung einer Schaufensterpuppe). Muß hören/sehen, wie der Mann im Rhythmus schlurcht: Ah-tschag-ah-tschugah-tschuggatschuggatschugg!

Aber so, ohne den Dialog, macht der Film plötzlich Sinn. Es geht um die Dramaturgie von Klamotten. Unseren entzückten Augen wird der Fundus einer Licht-über-Benetton-Niveau-Boutique vorgeführt. Toll! Und dann: Accessoires und Spielzeug-Nippes; Schnickschnack und Micky-Maus-Telefone; es geht um die gedrängte Choreographie von lauter kleinen Konsum-Ereignissen, die Spaß machen. Die um einen Kick daneben liegen. Und das heißt: Stil. Die ästhetischen Wunder des Überflüssigen. Der Barock der Taschengeld-Explosion. Übrigens ist Celentano in diesem Film Schriftsteller.

Die Celentano-Fresse, die Klamotten, der Diskotheken-Traum, die kleinen Konsumräusche, die in ihrer Aufdringlichkeit schon wieder komische Zigaretten-Markenwerbung, der komische Sex (Adriano wird von Frauen haarklein so behandelt/mißhandelt, wie es eine „aufregende“ Frau gemeinhin von Männern wird), dieses ganze Strengt-euch-bloß-nicht-zu-sehr-an (einschließlich des Film-Stabs) – das alles funktioniert nur als Kino, nicht als Film. Es gibt nichts Öderes als einen Celentano-Film ohne sein Publikum. Und genau das muß mir natürlich passieren, an einem regnerischen, windigen Julitag in München, mit dreißig Leuten in einem Riesenkino, ohne einen Strand in der Nähe und das Meer, das wie jeden Nachmittag langsam zu stinken anfängt, und ohne eine halbgeschmolzene Motta-Coppa.

Aber dafür hatten wir eine kleine cholerische Platzanweiserin im „Matthäser“, die alle naslang mit ihrer Taschenlampe kontrollieren kam, ob auch niemand die Füße auf die Stuhl-Vorderreihe legt. Und das war dann auch wieder ein Stück Leben. Weit, weit weg vom Strand.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd Film 7/84