Am unteren Rand des Bildes sehen wir einen halb angeschnittenen Männerkopf, während ein dröhnendes, sonores Geräusch ertönt. Wir würden es mit Maschinenlärm assoziieren. Der Kopf sinkt ein wenig herab, und im Hintergrund erahnen wir eine Kugel, von der nur Teile sichtbar sind, ein ferner Planet. Dann bewegt sich der Kopf wieder nach oben, schiebt sich zum Teil vor diesen Planeten. Die beiden Formen sind überblendet, und nun steigt der Mann auf, erreicht die obere Bildhälfte, taucht wieder herunter, schwebend, dann zieht er nach links, verblassend, aus dem Bild hinaus.

Sehr lange sehen wir noch diesen seltsamen Planeten; er kommt näher (oder wir kommen näher), sehen eine Kraterlandschaft, Strukturen, nun in der Nähe, über die wir schweben, dunkle Täler, bis wir nichts mehr unterscheiden können. Unsere Fahrt geht an eine Art Fenster. Auf der anderen Seite sitzt ein anderer Mann vor dem Fenster und schaut hinauf. Seine Haut ist von Kratern übersät. (Vielleicht sind unsere Fahrten gar keine Annäherung, sondern ein Sich-Entfernen gewesen.)

Wieder sehen wir den ersten Mann liegen, der starr hinaufschaut. Bekommt er eine Botschaft von dem anderen? Er öffnet weit den Mund. Da sitzt wieder der andere Mann am Fenster, zuckt mit dem Arm. Aus dem Mund des Mannes kommt eine zunächst runde, dann sich über verschiedene embryonale Formen formende schlangenhafte Gestalt. Der Mann vom anderen Planeten sieht langsam weg, zuckt wieder mit dem Arm. Wir sehen ihn in einer näheren Einstellung einen Hebel ziehen.

Es ist eine andere Zeit, in der er sich bewegt; unendlich langsame Bewegungen des Oberkörpers und das blitzrasche Zucken des Armes geschehen in der selben Einstellung. Mit alarmierender Langsamkeit wird sich das Geschehen in diesem Schwarzweißfilm abspielen, der uns seine Unerhörtheiten wie in einem expressiven Stummfilm präsentieren wird, während sich doch die Tonspur mit schmerzhafter Intensität, als ständiges Dröhnen, Stampfen, Zischen, noch vor die Bilder drängen wird. Ein wenig wie bei Jacques Tati, nur dass man hier nicht das Gefühl hat, man müsste bloß aus dieser absurden Großstadt heraus, und es würde einen himmlische Ruhe empfangen.

Was nach der bizarren Geburtsmetapher geschieht, ist in etwa dies: Henry Spencer lebt in einer verkommenen Industriegegend. Als er nach Hause kommt, erzählt ihm seine schöne Nachbarin, dass seine Freundin Mary hier war und ihn zum Essen bei ihren Eltern gebeten hat. Mary hat lange nichts von sich hören lassen; er hat schon ihr Bild zerrissen. Nach dem Essen, das etwas sonderbar verlaufen ist, unter anderem, weil der Vogel, den Harry anschneiden sollte, plötzlich einigermaßen obszön mit den Beinen wackelte und dann zu bluten begann, erklärt Marys Mutter Henry, dass ihre Tochter ein Kind geboren habe, es liege jetzt im Hospital. Ob es sich wirklich um ein Baby handele, schluchzt Mary, könne man nicht so genau wissen.

In der Tat: Was diese Maria ihrem törichten Mann gebiert, ähnelt eher einem greisen Lammfötus ohne Haut, das unentwegt wimmert, aber auch schon alle Beziehungen zu durchschauen versteht: Das geborene egoistische kleine Monster treibt bald die Mutter aus dem Haus, und Henry ist allein mit ihm.

Zwei Frauen ziehen Henrys Aufmerksamkeit auf sich. Die schöne Nachbarin verführt ihn, obwohl ihr, mitten in der Umarmung, ungut zumute wird, als sie das monströse Baby entdeckt. Und da ist der pausbäckige blonde Engel, der auf einer Bühne hinter dem Heizungsradiator singt „In heaven everything is fine“, während sie vergnügt wurmartige Wesen zertritt, die von oben auf sie fallen.

Aber während Henry diesem seltsamen Engel zusieht, am Bühnenrand hinter einem Paravent, fällt ihm der Kopf vom Rumpf, und das Baby streckt den hautlosen Kopf aus seinem Kragen. Henrys Kopf aber fällt, durch eine Blutlache, hinaus auf die Straße. Da findet ihn ein kleiner Junge und bringt ihn in eine kleine Werkstatt, wo man Radiergummis herstellt, die am Ende der Bleistifte die Irrtümer wiedergutmachen sollen, die man mit ihnen begeht. Und aus Henrys Kopf werden solche Radiergummis gemacht, die zufriedenstellend radieren; der Radierstaub wird davongeblasen, wird Sternenstaub – das war ein Traum, oder? Henry wälzt sich im Bett, hört Stimmen, sieht schließlich die schöne Nachbarin mit einem anderen Mann. Als die ihn sieht, wird sie nur des monströsen Babys gewahr, das sich an Stelle seiner aus dem Kragen erhebt. Die Tür schließt sich; Henry ist ausgeschlossen.

Er schneidet die Bandagen des Babys auf; es schreit, wissend um seinen Tod. Fleisch und Gedärm treibt es hervor; Henry sticht darauf ein, eine weiße Masse aus dem Bauch des Babys füllt den Raum. Der pausbäckige Engel tritt aus der gleißenden Helle von elektrischen Entladungen, während der ferne Planet zerbricht, er umarmt Henry, und der schließt, in resigniertem Frieden, die Augen. Dunkelheit.

Lynchs Film, der unter ziemlich abenteuerlichen Umständen in jahrelanger Arbeit entstand, ist vieles zugleich: eine makabre Komödie um eine junge Familie, eine seltsame Spiegelung von Zeugungs-, Geburts- und Todesbildern in Inversionen, die den Tod als andere Form von Geburt und die Geburt als andere Form von Tod erkennen lassen, ein Traumspiel um Scham und Schuld als Grundprobleme des Menschen, ein Stück in der magischen Autobiographie seines Autors, aber auch eine ganz direkte Reaktion auf eine furchtbare Lebens- und Wohnsituation des David Lynch in diesen Jahren, eine Etüde in makaberem Humor und dem, was damals noch als schockierend galt. David-Lynch-Fans erkennen in diesem Film, der ein Bindeglied zwischen seinen noch als sehr „experimentell“ empfundenen Kurzfilmen und seinen großen Produktionen ist, so etwas wie einen Katalog aller jener Motive, Bilder und Obsessionen, die in seinen späteren Arbeiten immer wieder auftauchen werden. Alle Filme von Lynch beginnen mit solch krausen Geburtsmythen; immer wieder taucht die Industrielandschaft als Neverland im Hintergrund auf, die Hebel, Röhren und Geräusche einer längst leer gewordenen Produktion, immer wieder taucht die Bühne auf und das mit ätherischer Stimme singende Mädchen, immer wieder gibt es den verwirrten und isolierten jungen Mann, der sich mit den Seltsamkeiten und Bösartigkeiten der Welt konfrontiert sieht, immer wieder auch das Bett als zentraler Ort der Welt, das Zimmer als „innerer Raum“, die Welt als Kopf (und der Kopf als Welt). Am Ende sind die Träume des schamanischen Agent Cooper in TWIN PEAKS nichts anderes als eine im neuen ironischen Zusammenhang zitierte Rückkehr der Bilder aus ERASERHEAD.

Von seiner bizarren Schönheit, dieser elegischen Darstellung eines depressiven Schubs oder eines schlechten Trips, hat ERASERHEAD über die Jahre kaum etwas verloren. Seine eigenartige Wirkung (und sein Status als kleiner „Kult-Film“) entsteht aus einer besonderen Mischung des Unerhörten mit dem Gewohnten.

ERASERHEAD erzählt seinen Traum als wäre es eine wirkliche Erzählung. Er ist nicht das, was man als einen „Experimentierfilm“ bezeichnen könnte; die Technik der Narration und, vor allem, die Montage ist ganz deutlich auf die Konventionen des traditionellen Spielfilms bezogen. Eigenartige Bilder und eigenartige Geschehnisse treten in einer vollständig durchschaubaren Darstellungsweise hervor. Während THE GRANDMOTHER, der Kurzfilm der zuvor entstand und eine Mischung aus Trick- und Realfilm bot, an entscheidenden Stellen durch seine schiere Geschwindigkeit es dem Zuschauer schwer machte, von den skandalösen Geschehnissen mehr als eine unbehagliche Ahnung zur Kenntnis zu nehmen, „verbirgt“ Lynch sie hier hinter einer dämonisch-realistischen Langsamkeit.

ERASERHEAD ist ein panisches Bild vom Verlust der symbiotischen Einheit in der Familie, eine überaus zornige Version eines revoltierenden Ödipus-Dramas: die Geschichte vom Kind, das von der Mutter zurückgewiesen wird, und das in eine seltsame Beziehung zum Vater in einen Kreislauf von Geborenwerden und Sterben gerät. Es ist, verstärkt nicht zuletzt durch den gewalttätigen Soundtrack, die filmische Simulation des Zustandes von Einsamkeit und Entfremdung. Schon mit den ersten Bildern hat Lynch uns in seine eigene Welt hineingezogen und läßt uns kaum noch Möglichkeiten der Distanzierung. In immer neue Räume zwischen Wirklichkeit und Traum, zwischen Leben und Tod, werden wir geführt; immer wieder geraten wir in die „inneren Räume“, in denen sich, wie in den schamanischen Praktiken, die gewohnte Logik der Zeit aufhebt und man zugleich nach vorn und zurück geraten kann, über den Tod hinaus und vor die Geburt zurück. Dieser seltsame Mythos, der in immer neuen Verkleidungen in Lynchs Filmen auftaucht, war so „verständlich“, daß sein Film gerade bei den jungen Zuschauern erfolgreich war, die sich ihre Sprache sonst aus den kruden Genres der Traumfabrik ausborgten. Lynchs Film, und auch das bleibt seiner weiteren Arbeit erhalten, bildete so etwas wie eine Verbindung zwischen „Kunst“ und Popular-Culture. Seine bizarren Bilder lassen die Erzählweise des Kinos unangetastet, und seine Assoziationen entwickeln sich ohne dialektische Widersprüche. Aber gerade diese Mischung läßt die direkte Begegnung des Schönen und des Hässlichen, des Grausamen und des Poetischen in Lynchs Arbeit so subversiv erscheinen; die zornige Kraft dieser Geste, in der immer wieder die Innenseite des Mythos entdeckt wird, läßt sich in der Konvention Kunst nicht einsperren.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in  epd film