Um die Wahrheit zu sagen: Ich bin nie ein besonders enthusiastischer Woody-Allen-Fan gewesen. Nicht dass ich gegen ihn was hätte. Ich finde es auch klasse, dass es Leute gibt, die Lamapullover praktisch und kleidsam finden. Oder glauben, bei »Buena Vista Social Club« eine musikalische Epiphanie zu erleben. Das Problem liegt darin, wie das zum Zeichen wird, wo man also jemandem mit einem Lamapullover, mit »Buena Vista Social Club« und eben Woody Allen sagen hört, er oder sie habe irgendwas kapiert, was andere nicht kapiert haben. Pop für Leute, die absolut Pop-unfähig sind.

Ist ja auch nicht schlimm. Hier amüsiert sich niemand zu Tode, hier ist man für anderthalb Stunden zu Hause. Allen ist natürlich schlau genug, den Retro-Aspekt seiner Kultur immer auch zum Thema zu machen. Allens Witztechnik ist eigentlich immer gleich. Es geht um die scheinbare Fallhöhe zwischen den Elementen Alltag, Liebe und Transzendenz, oder, zum Beispiel, darum, Gott, Sex und Mittagessen in einen Satz oder in einen Plot zu bringen. Es gibt genügend Leute, die das für den Inbegriff von »jüdischem Humor« halten, was auch dadurch nicht weniger unsinnig wird, dass es auch jüdische Autoren manchmal so oder so ähnlich formulieren. Woody-Allen-Filme bearbeiten neben dem Amerika/Europa-Gegensatz, dem Pop/Kultur-Gegensatz, auch den von Geist und Körper. Der Körper ist hier komisch, weil er fast nicht vorhanden ist, und der Geist ist komisch, weil er kaum ein anderes Problem als den verschwundenen Körper behandelt.

Allens Filme gehören, aber dafür ist er nicht allein verantwortlich, zur Innenausstattung jener neuen sozialen Bewegungen, die – aber lassen wir das. In seinen besten Filmen, und deswegen ist Woody Allen halt doch so was wie ein Genie, zeigt er in höchst paradoxen Schwurbeln, dass komisch nicht der Mensch ist, sondern die Situation, in der er lebt. Und rettet damit, wie alle großen Komiker, etwas von seiner Würde.

Ach was, Quatsch. Zum Genie wird man natürlich höchstens durch die Art, in der man das macht. Und das, was man draus macht. Ein großer Film, das sind nicht nur eine Geschichte und Bilder und die Atmosphäre dazwischen, sondern etwas, das sich daraus entwickelt. Wenn man also weder den Komiker Allen besonders mag, noch was er seinem Publikum als Lebensmittel anbietet, und schon gar nicht dieses Publikum, dann heißt das noch lange nicht, dass man seine Kunst übersehen muss. Diese Kunst verfolgt mythologische und ästhetische Ziele in wechselnder Kombination. Die mythologischen Ziele liegen auf der Hand. Das ist die magische Autobiographie des Losers, der diesmal weniger allegorisch erscheint. Der New Yorker Kleinbürger, mal als Intellektueller, mal als Drop-out. Jedenfalls einer, der glaubt, er kann und muss über seine Probleme reden. Das ist der Mensch, der sich seine Rolle erfindet oder anmaßt – Mr. Allen verwechselt sich mit Woody, und Woody verwechselt sich mit tausenderlei Gestalten aus der Geschichte der popular culture. Und das ist die Poetologie einer Stadt, von der wir im letzten Eckkino der unseren träumen – Urbanisierung, nicht Globalisierung. Und auf der ästhetischen Ebene: Das ist der Familien- und Beziehungsroman und natürlich die Parodie darauf. Dostojewski plus Lubitsch. Das ist das fake documentary von »Zelig« über »Radio Days« bis zu »Sweet and Lowdown«, wo es nicht nur um die Fiktionalisierung von Leben geht, sondern auch um das Verlebendigen von Fiktion. Mein Lieblings-Woody-Allen, nebenbei. Und das ist das (komische) morality play à la »Verbrechen und andere Kleinigkeiten«. Da steckt bestimmt ein wenig chassidische Erzählung drin. Aus der Komposition dieser Elemente lässt sich in der Tat einiges machen.

Ein Problem ist, dass der Filmemacher immer einmal wieder auf seine Figur hereinfallen muss, sogar in seiner »deconstruction«. Es ist für Woody Allen schwer, nicht Woody Allen zu sein, und fast genauso schwer, nicht das Allen-Bild der Allen-Fans. In den letzten Jahren scheint Woody Allen dieses Dilemma heftiger gespürt zu haben. Er möchte, so scheint’s, nicht mehr der Komiker für besserverdienende Gutmenschen sein. Mit »Im Bann des Jade-Skorpions« setzt er seine Rückkehr zu den amerikanischen Wurzeln fort, die mit »Small Time Crooks« (2000) begann; er verzichtet auf alle Tiefe und Sanftheit und macht einfach wieder Witze, gute alte New Yorker Witze über Leute, die der reine Witz sind, in einem Leben, das zum Lachen ist. Aber zugleich gibt er auch Erklärungen für diese Wandlung: Ist vielleicht die europäische »Kultur« nichts anderes als ein großer Schwindel? Jedenfalls hat Allen so etwas wie eine neue Naivität entwickelt, eine Naivität vielleicht zweiten Grades. Die wird in seinem neuen Film zum eigentlichen Thema. Der Autor ist mit der Wiedergewinnung der Naivität allerdings so sehr beschäftigt, dass er über ganze Strecken vergisst, auch noch komisch dabei zu sein. Wir wissen schon immer sehr genau, wie die nächsten Gags angelegt werden. Der berühmte Satz vom Durchschauen aller Tricks und Trotzdem-auf-sie-Hereinfallen trifft hier vor allem auf den Regisseur, weniger auf das Publikum zu.

Woody ist also der Versicherungsdetektiv C.W. Briggs, der von einer starken Frau (Hunt) bedrängt wird, die in der Firma »Rationalisierungen« durchführt und überhaupt das weibliche Gesicht des bösen neuen Kapitalismus ist. Sie passt eigentlich nicht in die Handlungszeit des Films, die dreißiger/vierziger Jahre. Sie ist zu rational für eine femme fatale. Von einem Magier – man ist zu einer Firmenfeier im Varieté – werden die beiden hypnotisiert, und C. W. und Betty Ann, die sonst keine Gelegenheit auslassen, sich zu piesacken, werden gezwungen, ihre Liebe zueinander zu gestehen. Gelächter bei den Kollegen. Der Hypnotiseur ist aber in Wahrheit ein Meisterschurke, der die beiden zu Juwelendiebstählen mißbraucht. So verwickelt sich das und endet mit der Aufklärung der Verbrechen und der echten Liebe der beiden zueinander.

Das ist eine schöne, sanfte Komödie mit vielen Bezügen zur Kinogeschichte. Ideologiekritisch möchte man allerdings nicht genauer hinschauen. Dass C.W. am Ende die Frau bekommt, ist ein Witz, den Jerry Lewis’ »The Nutty Professor« schon viel besser verstanden hat. Ich meine übrigens nicht den Umstand, dass sich eine junge, große Frau in den alten, kleinen Woody Allen verlieben kann, ich meine die soziale Metapher. Der widerspenstigen Karrierefrau Zähmung durch einen Mann, der seine Regression mit Ehrlichkeit verwechselt.

Aber vielleicht ist das ja auch so etwas wie eine Abschiedsvorstellung. Der Regisseur spielt hier nicht mehr nur den Woody-Allen-Charakter, er dekonstruiert ihn als Zusammenfassung einer Komikergeschichte. Er ist in einer Szene Stan Laurel und in der anderen Oliver Hardy, dann ist er Groucho Marx, dann Chaplin, dann Buster Keaton, dann Harry Langdon oder W.C. Fields, auf den schon sein Name anspielt. Und auch der Film ist ein kleines lebendes Museum vergangener Kinozeiten. Früher konnte man in Woody-Allen-Filmen noch so tun, als wären sie nicht längst vorbei. Im »Jade-Skorpion« sieht man das aber.

Georg Seeßlen

Text erschienen in: Konkret 12/2001