Auf die Straße!

„Training Day“ – Antoine Fuquas anderer Polizei-Film

Die Morgensonne steigt auf über Los Angeles und erhellt einen Tag des Neuanfangs. Sein Ende soll Gewissheit bringen: Der Jungpolizist Jake (Ethan Hawke) wird erfahren, was sein neuer Job als verdeckter Ermittler des Drogendezernats von ihm verlangt. Sein Chef und Ausbilder Alonzo (Denzel Washington) wird wissen, „wer oder was“ der neue Mann ist: „Entweder bist du Schaf oder Wolf, entweder gehst du abends nach Hause oder landest in der Leichenhalle.“ Keiner von den beiden wird die Antwort finden, die er erwartet.

Jakes erster Tag im neuen Job beginnt als Ausflug in bekannte Genrebilder des Polizeifilms, den Training Day von Beginn an als eigenen akzeptiert: hier ein erfahrener, abgeklärter Undercover-Cop – da sein junger Schüler/Partner, dessen heile Polizeischulenwelt auf dem harten Straßenpflaster zerschellen muss. Das seit Jahren ausgemalte Kinoklischee von Los Angeles als pittoresker Heimstatt von Gangs und Drive-by-Shootings ist wie geschaffen für ein solches Falling Down. Mit Colors – Farben der Gewalt wird vom Leben und Sterben in L.A. erzählt.

Langsam durchmisst Alonzos Wagen „seine“ Stadt. „Riech die Straße“, und „vergiss die Scheiße, die du auf der Akademie gelernt hast, sonst wirst du hier draußen sterben!“ – so das markig-männliche Wort des stahlgebadeten Straßenkönigs, der seinen Ziehsohn in eine neue alte Welt führt. Eine Dialektik des Genres kommt mit in Fahrt: Je verunsicherter und verwirrter der junge Held Jake – „Eigentlich wollte ich Drogen bekämpfen und nicht selbst welche probieren“ -, desto sicherer finden wir uns im Schema zurecht. Ebendiese Sicherheit aber ist das eigentliche Ziel von Training Day, sie muss erreicht und gefunden sein, um getroffen und erschüttert zu werden.

Mit dem letzten Schritt dahin beginnt der Konflikt zwischen Jake und Alonzo. Jakes Ideale stoßen auf jenen gewachsenen Zynismus, mit dem Alonzo sich selbst über das Gesetz stellt. „Nur ein Wolf“, so seine Erklärung, „kann einen Wolf fangen.“ Doch von dem Moment an, als Alonzo Jake vor die Wahl stellt, es ihm gleichzutun oder unterzugehen, verlässt Antoine Fuquas‘ Inszenierung die gewohnten Pfade. Es wird keine übliche Auflösung des Cop-Dilemmas geben – weder wird sich die Polizei von selbst reinigen noch der junge Idealist scheitern. Und wir selbst sind dazu gezwungen, ein vertraut geglaubtes Terrain neu zu erkunden, einen eigenen Training Day zu absolvieren.

Dieser Erkundungsgang führt immer wieder zur letzten vermeintlichen Autorität, zu Alonzo. Trotz der Zwiespältigkeit besteht er beharrlich auf einfachen Lösungen. Wolf oder Schaf, Leichenhalle oder Zuhause, Mitziehen oder Draufgehen. Je dramatischer sich der Konflikt zwischen Jake und Alonzo jedoch zuspitzt und je tiefer wir eindringen in Alonzos Welt, desto offensichtlicher wird, dass nichts stimmt an diesen Gegensätzen. Die Wahrheit und auch die Geschichte von Training Day spielen sich dazwischen ab und gewinnen ihre Spannung aus der Bewegung vom einen zum anderen. Sie entwickelt sich zwischen (Selbst-)Sicherheit und Verunsicherung wie zwischen Denzel Washington und Ethan Hawke.

Am Ende des Tages, die Sonne ist längst untergegangen, hat nur einer der beiden überlebt. Ein abschließendes Wort zur versprochenen Gewissheit werden wir nicht zu hören bekommen und sind selbst dazu verpflichtet, ein persönliches Fazit zu ziehen. Es könnte lauten: Wir haben einen klassischen Cop-Film gesehen und zugleich sein außergewöhnliches Gegenteil. Training Day hat sich in das Genre eingeschleust, um dort wie seine Protagonisten undercover zu arbeiten.

Autor: Jan Distelmeyer

Dieser Text ist zuerst erschienen in: DIE ZEIT, 50/2001