Satanische Passage durch das Kino

Das Göttliche, so haben wir früh erfahren, ist sehr weit weg in den Himmeln und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Der Teufel aber, das ist seine Stärke, ist immer hier und jetzt. Und er wirft einen Schatten in die Kindheit, den niemand mehr los wird: Erst durch den Teufel erfahren wir vom wichtigsten, was wir haben, von der Seele. Die will er haben, warum, wissen wir nicht genau, aber dafür setzt er alles ein. Vor allem seine Faszination. Schauspieler wissen es genau: Der Teufel ist die dankbarste Rolle.

Das große Ganze, das entzieht sich uns ja ohnehin. Nur das Kleine wird erkennbar, und deswegen zeugt es von der Raffinesse des Teufels, ausgerechnet im  Detail zu stecken. Der Teufel also ist das Sinnliche und Gegenwärtige an einem religiösen Weltbild. Man könnte auch sagen: das Kinematografische. Der Teufel hat sich immer als großes Kino inszeniert, hat uns Trugbilder projeziert, unsere Anfälligkeit dafür genutzt, mehr als das reale das Wunsch-Bild zu sehen.

Wenn wir vom Glauben an das Göttliche sprechen, werden wir gerne vage, wenn es um den Teufel geht, dann sind sehr genaue Vorstellungen im Spiel. Der Teufel hat Gestalt, nicht unbedingt eine, nicht unbedingt ein für allemal, aber er ist durch und durch Bild. Von Gott, sagt die Heilige Schrift, sollen wir uns kein Bild, nicht einmal ein Gleichnis machen; von mir, entgegnet der Teufel, von mir, da darfst, ja musst du dir Bilder machen. Jede Menge. An mich kannst du auf eine ganz andere Art glauben als an den Rest deiner Religion (wie die auch aussehen mag: einen Teufel gibt es in jeder Religion).

Versuchte sich Religion durch Aufklärung von ihren Teufeln zu befreien? Wird man die Teufel aus den Kindheitsträumen durch etwas so einfaches wie das Erwachsenwerden los? Der beste Trick, den sich der Teufel je ausgedacht hat, sagt Kevin Spacey (als Teufel, möglicherweise) in „Die üblichen Verdächtigen“ (1995), war der, die Menschen davon zu überzeugen, dass er nicht existiert. Und weil (nicht nur) in diesem Film so teuflisch gelogen wird, kann man auch hiervon das Gegenteil behaupten: Der beste Trick des Teufels ist es, die Menschen davon zu überzeugen, dass er wirklich existiert. Obwohl er doch nur ein Bild ist. Ein Bild der Angst. Gewiss. Aber auch eines der Wollust. Ein Kinobild eben.

I. Der gehörnte Kinderschreck

Der Teufel hat eine Urgestalt, sie ist älter als das Christentum und ungefähr so alt wie unsere ersten Märchen-Erinnerungen. Er hat Hörner, ein Bocksbein, faunhaften Pelz, untenherum, einen Schweif; der Teufel liebt es, laut und boshaft zu lachen, gern ist Blitz und Donner um ihn, Fliegen und Ratten: der Teufel stinkt.

So, in dieser alten Form des ziemlich armen Teufels (wer zum Teufel möchte schon so aussehen?) beginnt auch seine Kinogeschichte, in „Le Manoir du Diable“ (1896) von Georges Méliès, dem großen Zauberer des frühen Films. Richtig Angst gemacht hat dieser Teufel wohl auch den Zeitgenossen nicht, genau so wie der Teufel dann in allen märchenhaften Genreproduktionen offenbar eine einzige aber wichtige Funktion hat: Uns zu zeigen, dass wir keine Angst vor ihm haben müssen. Es gab da immer einen, der wie Kasperle mit der Pritsche, ihn schon in seine Hölle und zu seiner ganz und gar unbiblischen Großmutter zurückschickte.

Allerdings ging es dann schon gelegentlich etwas unheimlich zu in den Filmen des deutschen Expressionismus, in denen aus den Tiefen der Märchenphantasie doch etwas ganz anderes, teuflisches schien: Die Zersetzung des Subjekts durch das Begehren. Nicht seine manifeste Gestalt als vielmehr die Auswirkungen des Teufelspaktes stehen im Mittelpunkt von Filmen wie „Der Student von Prag“ (1913) von Stellan Rye: Man hat da von der Suche des „nordischen Menschen“ nach der dunklen Seite und der Melancholie geraunt. Aber was wichtiger war: Der Teufel kommt nicht, man muss ihn sich holen. Der Teufel ist keine äußere Bedrohung sondern ein Bild des inneren Aufruhrs. Und damit wird er zu einem prächtigen kinematografischen Medium: Der Teufel, das ist die Methode, das Unsichtbare sichtbar zu machen (und anders als sein Konkurrent, Dr. Freud, den der Teufel mehr fürchten musste als das Weihwasser). Dreizehn Jahre später zeigt uns Conrad Veidt im Remake von Henrik Galeen seinen Studenten von Prag als teuflischen Fall von Persönlichkeitsspaltung.

Und Emil Jannings gibt einen überaus süffisanten Mephisto in der ersten Film-Version der „Faust“-Legende, die F.W. Murnau im Jahr 1926 drehte: Vielleicht ist das Teuflischste an ihm, dass er seinen Faust anders sehen lehrt, nicht bloß unter Zuhilfenahme eines magischen Fluggeräts. Das Kino sieht als hätten wir die Welt, und genau dies ist das Werk des Teufels (weshalb ja auch heute noch rechtgläubige Fundamentalisten ihren Nachwuchs vor dem Kino so sehr zu bewahren versuchen, wie vor der Musik des Teufels, dem Rock’n’Roll).

II. Vertreibung und Wiederkehr

Ein großes Entsetzen, das durch den Zweiten Weltkrieg in die Walt kam, ließ den Teufel erst einmal verschwinden. War noch an Höllenspuk zu denken, wo es doch wirkliche Menschen gewesen waren, die das Furchtbarste angerichtet hatten, ein Vernichtungswerk ohne Maß und Grenzen? Nicht den Teufel mochte man fürchten, wo der Mensch sich als das Satanischste aller Wesen gezeigt hatte.

Eine Ausnahme bildet da René Clairs „La Beautée du Diable“ (Der Pakt mit dem Teufel) aus dem Jahr 1949, eine eigenwillige satirisch-melancholische Bearbeitung des Faust-Mythos: Da verwandelt sich schnell das „nordische“ Erkenntnisinteresse des Professors Henri Faust in sinnliche Begierden, und ziemlich direkt weiß man, wer eigentlich der Teufel ist: Immer man selbst.

In den fünfziger Jahren durchspukte er ein paar Märchenfilme, und in den sechziger und siebziger Jahren zeigten ihm in Defa-Filmen pfiffige Kids auf dem Weg in die realsozialistische Weltverantwortung, was eine Harke ist: In „Hans Röckle und der Teufel“ (1974) erwies sich der altböse als fruchtbar für den menschlichen Erfindergeist. Hans Röckle nämlich nutzt die ihm vom Teufel „Flammfuß“ übertragenen Kräfte um Gutes zu tun (sehr nützlich zum Beispiel die Erfindung einer Flöte, mit der man es für die heimische Landwirtschaft regnen lassen kann), allerdings ist da noch einer, der teuflischer als der Teufel selber ist: Der Fabrikherr, der die Löhne der Näherinnen herunterdrückt, um die Erfindungen für sich zu erpressen. Nur gut, dass es auch eine andere Erfindung gibt, mit der man in die Zukunft sehen kann. Und in der gibt es weder böse Kapitalisten noch den Teufel. Oder?

III. Fantasy-Teufel und letzte Versuchungen

Die Antwort des Teufels war Fantasy, die neue industrielle Postmärchen-Ikonographie, in der er neu erfunden wurde. Hier geht es nicht mehr um die Versuchung des Einzelnen, hier geht’s ums ganze, wie in Ridley Scotts „Legende“ (1985): Der Herr der Finsternis, verbannt in ein Schattenreich, kehrt zurück, um alleiniger Herrscher der Welt zu werden. Und um dieses Ziel zu erreichen, muss er die letzten noch verbliebenen Einhörner töten, die mit ihrer Zauberkraft das Gute in der Welt bewahren. Tim Curry stellt, mit gewaltigen Hörnern und einer knallroten Haut ausgestattet, einen beeindruckenden Höllenfürsten dar: Der Teufel ist, nicht nur für diesen Film, auf die Leinwand zurückgekehrt. Nicht mehr als Widerpart und Versucher, sondern als Verkörperung des „Bösen an sich“.

Im übrigen hat der Teufel auch (Bibeltexte hin oder her), seine großen Auftritte in zwei umstrittenen neueren Passionsfilmen aus den USA: In Martin Scorseses „Die letzte Versuchung Christi“ (1988) ist der „Schutzengel“, der den Heiland vom Kreuz holt um ihm ein glückliches, menschliches Leben zu geben, in Wahrheit der Teufel. Und in Mel Gibsons blutrünstiger „Passion Christi“ (2004) hat der Teufel die Gestalt einer verführerisch-tückischen Frau. Beide Umdeutungen, so unterschiedlich sie auch sonst sein mögen, reaktivieren ein bedingungslos dualistisches Weltbild, das aus „Gottes eigenem Land“ in alle Welt exportiert wird: Eine Welt, in der es nichts anderes gibt als den Kampf des Guten gegen das Böse.

IV. Das große Spiel um die Welt, oder Teufelspakte und Himmelskriege

Man stelle sich vor, und mit „Faust“ und allen seinen Ableitungen ist das ja nicht schwer: Die Welt ist nichts anderes als ein gigantisches Spielfeld, auf dem der Teufel und sein himmlischer Widersacher eine Art Schachspiel mit lebenden Figuren (nämlich uns Menschen) durchführen. Gott ist zwar mächtiger, wissen wir ja, aber dafür ist der Teufel (siehe oben) beweglicher. Erst jüngst wieder ist das Spiel im Kino in eine neue Runde gegangen, in Terry Gilliams „Das Kabinett des Dr. Parnassus“ wo Tom Waits der wettsüchtige Teufel ist, für den wohl nur eines im Kampf um die Menschenseelen schrecklich wäre, nämlich nicht mehr spielen zu können.

Das Motiv dieses Spiels hat eine lange Tradition, im Kino und davor, „The Devil and Daniel Webster“, William Dieterles amerikanisierte Version der „Faust“-Legende, „The Legacy“, (1979), „Invitation to Hell“ (1985) sind ein paar unterschiedliche Beispiele.

Aus dem Spiel wird freilich immer mal wieder großer Ernst, dann nämlich, wenn die Kampfzone des satanisch-göttlichen Spiels ausgeweitet wird. Dann wird nicht mehr gespielt, dann herrscht Krieg zwischen Himmel und Hölle: Die „Army of God“ rekrutiert gefallene Engel en Masse, „Dogma“ von Kevin Smith lässt den Teufel die genialste Methode finden, nämlich die Engel auf Erden gegen ihren Arbeitgeber aufhetzen. Die Verhältnisse werden immer unübersichtlicher. Vielleicht spielen Gott und der Teufel nun eine Art verfilmtes Videogame gegeneinander.

V. Rosemary in sehr anderen Umständen, oder warum der Teufel unbedingt ein Kind haben will

Wenn der Teufel schon glaubhafter ist als der Himmel, so ist ein „Kind des Teufels“ noch glaubhafter. Denn natürlich, wie könnte es anders sein, versucht Satan auch, die Passionsgeschichte rückwärts zu schreiben: Und sein Kind soll im Gegensatz zu Gottes Sohn die Menschen nicht erlösen, sondern im Gegenteil endgültig verdammen. Roman Polanskis „Rosemary’s Baby“ zerstörte schon 1968 prophylaktisch die Hoffnungen der Woodstock-Generation, bevor sie von ihrem eigenen Satanismus befallen wurde: Das junge New Yorker Aufsteigerpaar freut sich da auf Nachwuchs. Ist die Frau von Schwangerschaftsneurosen befallen? Oder hat sich im unheimlichen Backsteinhaus tatsächlich eine Satanisten-Sekte eingenistet, die Rosemaries Baby dem Teufel weihen wollen. Vielleicht das schrecklichste an diesem Film ist der „mütterliche“ Blick, mit dem Rosemary ihr Monsterkind am Ende bedenkt. So unauflöslich wie die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit sind die zwischen menschlicher und unmenschlicher Emotion: Polanski spricht (auch) in diesem Film von der doppelten Korruption des Menschen, durch Geld und Liebe, durch Natur und Kultur. (Später, in „Die neun Pforten“ (1999) hat Polanski mit weniger Glück noch einmal einen Helden auf diesen Höllentrip der Korruption geschickt.)

Das „Teuflische“ an einem Film wie „Rosemary’s Baby“ ist vor allem die Unsicherheit. Sie zu beseitigen entstand im Anschluss ein kleines Subgenre um die Geburt, das Wirken und die Bekämpfung des Teufelskindes. Die populärste diesbezügliche Serie war wohl „Das Omen“, wo das Kind des Satans nicht zufällig in einem Diplomaten-Haushalt heranwächst, alle Widersacher ermordet und sich vor der Enttarnung durch äußere Liebenswürdigkeit schützt. So verfolgen wir Damiens Aufstieg – und wenn das Interesse des Publikums nicht unterwegs erlahmt wäre, hätte wir sicher noch erlebt, wie der Sohn des Teufels zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wurde.

Was ein wesentlicher Nebenaspekt der „Teufelskinder“-Filme ist, die es in allen erdenklichen cineastischen Güteklassen gab und gibt, ist das Infiltrieren des „geheiligten“ Raumes der Familie durch den Satan. So können wir nicht mehr an das Moment der „Unschuld“ glauben, und damit ist der Teufel auch nicht mehr im alten Sinne der Verführer und Versucher, kein Widerpart von Geist und Seele, sondern schon Körper vor dem Körper, Fleisch vor dem Fleisch. Am Ende ist der Teufel so etwas wie ein Virus, der uns jederzeit befallen kann, der jedes Individuum erreicht, der sich mit wahrhaft höllischer Geschwindigkeit ausbreitet. Was uns bleibt, wenn der Impfstoff versagt, und der „Herr der Fliegen“ jede noch so paradiesische Menschengruppe attackiert? Der Exorzismus. Und auch für den haben wir die entsprechenden Filme.

VI. Satanische Eleganz, oder Der Teufel ist sexy

Wir haben es immer gesagt: Wenn Schönheit, Eleganz, Stil und Genuss in einem Übermaß auftreten, dann kann das nur mit dem Teufel zugehen. Der Teufel ist nicht nur ein Spieler und nicht nur eine höllische Samenschleuder, wie wir in den letzten Kapiteln gesehen haben, er ist auch ein Dandy. Ein zynischer, modebewusster, kultivierter Flauneur, vielleicht so wie Robert De Niro in Alan Parkers „Angel Heart“ (1987), wo wir recht eigentlich erkennen, dass es sich nur um den Bösen schlechthin handeln kann, wenn wir im dabei zusehen, wie er mit spitzen Fingern und präzisen Bewegungen – ein Ei schält. Dieser Louis Cypher freilich steht einem anderen gegenüber. Harry Angel, der als Rock’n’Roll_Sänger (wie gesagt, wir kennen die Musik des Satans) auch noch Favorite heißt: Es war der „Favorit“, Gottes liebster Engel, der nach seinem Höllensturz nie wieder aufhörte uns Menschen zu verführen. Mit „Angel Heart“ begann das Teuflische im Kino in durchaus erwachsenem Sinne zu mutieren und sich zu multiplizieren.

Am einfachsten kann der Teufel sein Werk natürlich in der Gestalt einer schönen Frau wie in „Bedazzled“ (2000) oder „My Girlfriend from Hell“(1989); umgekehrt ist der Teufel ein charmanter Kotzbrocken, in „Die Hexen von Eastwick“ (1987), gespielt von Jack Nicholson, gegen den sich die feministischen Hexen auch mit derben Methoden zur Wehr setzen dürfen. Und wie erklärte Mel Gibson den Umstand, dass er textwidrig in seiner „Passion“ einen weiblichen Teufel besetzte? „Das Böse ist verlockend und anziehend“. Wer würde dem widersprechen, außer ein paar Theologen, die darauf hinweisen, dass in der christlichen Opfer- und Heilsgeschichte der Teufel nichts (aber schon gar nichts) verloren hat.

VII. Der komische Teufel, oder In der Hölle ist der Teufel los

Vielleicht gibt es, neben dem Sex und der Gewalt, dem faulen Versprechen und der Vortäuschung, er existiere gar nicht, noch einen gewaltigen Trick des Teufels. Den Humor. Wie wir wissen, lacht der Teufel gern und böse, und das färbt übrigens auch auf seine Darsteller ab, zum Beispiel auf den Bühnenteufel im Pater Brown-Film („Er kann’s nicht lassen“): Mit teuflischem Gelächter wird er hydraulisch auf die Bühne gehoben, bis man ihn ermordet. Aber wir lieben natürlich die komischen Teufel, wie Roberto Benigni (der als „Piccolo Diavolo“ den armen Walter Matthau um den Verstand bringt) oder Harvey Keitel (der umgekehrt als Satan-Vater in „Little Nicky“ unter seinem trotteligen Sohn zu leiden hat). Und noch mehr lieben wir eine Hölle, in der wie zum Beispiel in „Hellzapoppin“ die schiere Anarchie herrscht, während umgekehrt in den White Fantasy-Filmen der Art von „Heaven Can Wait“ (mittlerweile in der vierten Variation zu sehen) Himmel und Hölle gleichermaßen durch funktionierende (oder auch nicht) Bürokratie verbunden sind.

Komisch am Teufel ist natürlich absurderweise: seine Menschlichkeit. Leichter noch als es die Engel (auch auf der Leinwand) des Öfteren tun, verliert er sich in den kleinen Freuden des wirklichen Lebens oder verheddert sich in seinen „menschlichen Schwächen“. So passiert es zum Beispiel Mephisto II (Armin Rohde) in Rainer Matsutamis filmischer Faust-Relektüre „666-Trau keinem mit dem du schläfst“ (2002): Er erscheint seinem Opfer Frank Faust (Jan Josef Liefers) in dem Augenblick, da der sich gerade, von der Liebsten verlassen, das Leben nehmen will. Er verspricht ihm, ihn reich und berühmt zu machen und die Geliebte zurückzugewinnen. Und wie macht er das? Indem Mephisto II in die Rolle von „Promis“ schlüpft, um Faust in der mediengeilen Welt zum Star zu machen. Fatalerweise allerdings entdeckt nun Mephisto eine menschliche Regung, er hat entdeckt, dass er schwul ist und verliebt sich in Faust.

VIII. Höllenjungs und andere Renegaten

Die Hölle ist eine familiäre Angelegenheit; offensichtlich wird die Fabrik der Peinigungen da unten von einem Familienclan geführt und von einem Heer von armen Unterteufeln in Gang gehalten. Dass da immer mal wieder einer auf die Idee kommt, zu rebellieren oder das Weite zu suchen liegt auf der Hand. So haben wir „umgedrehte“ Teufel wie etwa den massigen „Hellboy“, der zwar für das Gute eintritt und sich zum Zeichen seiner Domestizierung die Hörner absägen ließ, aber sich ansonsten ein paar diabolisch schlechte Manieren nicht abgewöhnen kann. Tragischer dagegen die Gestalt des „Ghostrider“, der als Gunfighter im Wilden Westen zum ersten mal seine Seele dem Teufel verkauft hat, sich dann aber gegen seinen Herrn stellt, und das immer wieder durch die Jahrhunderte, zuletzt in Gestalt von Nicholas Cage auf einem echten Höllenstuhl von Motorrad.

Ghostrider, © Sony Picture

IX. Der Teufel möglicherweise, oder der abwesende Teufel

Negative Theologie ist uns hinreichend bekannt. Die größte Strafe, die Gott seinen Geschöpfen antun kann, ist seine Abwesenheit. In der Bilderwelt der populären Mythologie füllt daher nicht umsonst der Teufel so gern diese Lücke, durch seine Kunst der Bild-Gestalt, der heftigen Anwesenheit. Ist es daher vorstellbar, dass der Teufel „da“ ist, ohne vorhanden zu sein? Und wir sprechen nicht von der Unsichtbarkeit des Märchens, sondern von einer Abwesenheit ganz ähnlich der, die Gott den Menschen antut.

Robert Bresson hat in seinem Film „Der Teufel möglicherweise“ 1977 das Modell dafür gegeben, aber das Motiv durchzieht das Kino des „transzendentalen Stils“, den der Regisseur Paul Schrader einst beschrieben hat. Es ist der Fall des Menschen, der so tief führt, in die moralische Verworfenheit und in die körperliche Pein, dass er mit der Psyche (mit Angst und Begehren) allein nicht mehr zu erklären ist. Und ein später Radikaler des transzendentalen Stils wie Lars von Trier geht in „Antichrist“ so weit zu behaupten, es sei womöglich nicht Gott, sondern der Teufel gewesen, der die Welt erschaffen hat (die Natur selber kann nur satanisch sein, in diesem Fall), und er mag sie nicht anders verlassen haben als es der Gott der finsteren Theologie tat.

Aber wie in der Welt so ist auch im Subjekt die wirkliche Anwesenheit des Teufels nicht mehr entscheidend: Selbst beim Gebrauchsthriller à la „Der teuflische Mr. Frost“ (1990) wissen wir nicht, ob es sich bei der Erscheinung des Bösen um den Satan selber oder um einen Wahnsinnigen handelt.

X.Orpheus’ Rückblick: Reiseberichte aus der Hölle

Die Unterwelt, auch Hölle genannt, war schon immer auch cineastisch ein anregender Ort. Das Kino wäre ärmer, wenn es sich nicht immer wieder auf Höllenbilder beziehen könnte, und Hieronymus Bosch sollte postum einen Oscar erhalten. Die Geschichte vom Abstieg in die Hölle, am Leitfaden der Liebe, die Geschichte von Orpheus der herabstieg, um Eurydike zu retten, überdauerte die Christianisierung der Welt und der Mythen, und im Kino erzählte man sie oft zwischen Jean Cocteau und Ate de Jong, der in „Highway to Hell“ (1992) das Kunststück eines Teenager-Slasher-Höllentrips fertig bringt. Aber haben nicht zahllose Western, Thriller und sogar Kriegsfilme diesen Mythos der (schließlich scheiternden) Höllenreise aufgenommen? Wie dem auch sei, längst ist die Hölle ja überfüllt, und wenn in ihr kein Platz mehr ist, so wissen wir aus den „Zombie“-Filmen, dann kommen die Toten auf die Erde zurück. Und zwar um unsere Gehirne zu fressen! Die „Fürsten der Finsternis“ sind zu einem Massen-Chaos geworden. Und wenn die Welt voller untoter Kannibalen ist, was schert uns da noch ein personaler Satan? Höchstens: Er ist der letzte Individualist des Bösen, ein Handwerker der Sünde in der Welt des industriellen Lebens und Tötens. Sympathie für den Teufel haben wir immer gehabt. Jetzt kommt eine Spur Mitleid dazu.

Autor: Georg Seeßlen