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Midnight Movie 2.0

Die Filmemacherin Ana Lily Amirpour bezeichnet sich als Iranerin, obwohl sie in Großbritannien geboren und in Miami und Kalifornien aufgewachsen ist. Ihr erster Spielfilm „A Girl Walks Home at Night“ ist ein Independentfilm und ein modernes Midnight Movie. Die Handlung dieses iranischen Vampirfilms spielt in einer Stadt namens „Bad City“, die in keinem konkreten Land, sondern in der Mythenwelt der Kinogeschichte angesiedelt ist. Gedreht wurde in einer kalifornischen Geisterstadt, welche die Filmemacherin an das kalifornische Bakersfield erinnert – dem Ort, in dem sie aufgewachsen ist.

a girl walks 330Die erste Szene des Films ist eine der wenigen, die Bad City bei Tag zeigt. Ein Mann, der wie ein iranischer James Dean aussieht (der gebürtige Hamburger Arash Marandi) läuft bei gleißender Sonne durch einen verlassen wirkenden Ort. Jener erinnert mit seinen hohen Speichertürmen an ein Amerika, wie man es von alten Schwarzweißfotos kennt. Nur ein Graben voller Leichenberge erinnert eher an Bilder von KZs. Doch sobald der Mann, der auch im Film Arash heißt, in seinen Ford Thunderbird steigt und ein wunderschönes Musikstück ertönt, ist die anfängliche Irritation vorerst vorbei.

Sein Ford Thunderbird ist Arashs bestes Stück, für das er lange gespart hat. Deshalb bricht für ihn eine Welt zusammen, als der Drogendealer Saeed (Dominic Rains) den Wagen aufgrund unbezahlter Schulden konfisziert. Das Geld für Heroin schuldet jedoch nicht Arash, sondern dessen Junkie-Vater Hossein (Marshall Manesh). Arash lässt sich – wie die meisten Bewohner von Bad City – ziellos treiben. Auf einer Kostümparty erscheint er als Vampir und nimmt Ecstasy. Als er anschließend reichlich desorientiert nach Hause torkelt, trifft er auf eine Skateboardfahrerin, die unter ihren Tschador ein gestreiftes T-Shirt trägt. Als dieses verletzlich wirkende Mädchen (Sheila Wand) Arash mit zu sich nach Hause nimmt, weiß Arash noch nicht, dass sie eine echte Vampirin ist …

Als das Mädchen in ihrer kleinen Kellerwohnung eine Vinylplatte auflegt, auf der „Death“ von den White Lies erklingt, leitet dies eine der schönsten Sequenzen des Films ein – einen ausgedehnten Moment reinster Kinomagie, in dem die Zeit stillzustehen scheint und in dem Bild und Ton zu einer euphorisierenden Einheit verschmelzen. Diese Szene kulminiert in einer Einstellung, in der eine ungemein zärtliche Sinnlichkeit mit einer akuten Todesgefahr zusammenfällt. Amirpour kreiert eine völlige eigene Welt, in der verschiedene Einflüsse sichtbar einfließen, die jedoch sehr eigen und recht jenseitig ist.

Ein stimmungsmäßiges Gegenstück zu dieser Szene höchster Romantik, stellt ein Besuch in der Wohnung von Saeed dar: Zuerst begrüßt der Dealer seine Goldfische, indem er lässig gegen das Aquarium klopft, als nächstes gibt die Kamera einen Blick auf sein Wohnzimmer mit Designerkitsch, Hirschkopf an der Wand und Zebrafell frei. In dem Stil geht es auf eine Weise weiter, wie man sie am ehesten aus Filmen von Quentin Tarantino kennt. – Durch die perfekt komponierten Bilder in kontrastreichstem Schwarzweiß und den hyperrealen Sound, der jedes Ziehen an einer Zigarette zu einem lauten Knistern anschwellen lässt, ist der Effekt bei Amirpour sogar noch wesentlich bizarrer.

„A Girl Walks Home at Night“ verschmilzt die unheimlichen Kinowelten von Lynch und Murnau mit dem mythischen Amerika der James Dean Filme und von Douglas Sirk (der im übrigen auch ein gebürtiger Hamburger war, aber dies nur als ein kleiner lokalpatriotischer Nebensatz). Das Ergebnis ist jedoch kein postmodernes Potpourri, kein Ratespiel, bei dem der Filmnerd sich freut, wenn er wieder eine Szene dem richtigen Ursprungsfilm zugeordnet hat. Amirpour nimmt diese vielschichtigen Einflüsse nur als Ausgangspunkt, um ein ganz eigenes filmisches Universum zu erschaffen. Deshalb sprechen die Protagonisten im Film auch nicht Englisch, sondern die im Iran dominierende Sprache Farsi. Ein Großteil der (elektronischen) Musik im Film ist ebenfalls iranischen Ursprungs.

„A Girl Walks Home at Night“ geht es nicht vorrangig darum eine Geschichte zu erzählen. Stattdessen erschafft der tranceartige Film eine hoch atmosphärische, aus der Zeit gefallene Welt voller Melancholie und voller düsterer Romantik. In seinem voller innerer Beklommenheit pochendem Herzen ist „A Girl Walks Home at Night“ jedoch ein wunderschöner Liebesfilm. Die Idee zum Film geht auf eine Graphic Novel und auf einen Kurzfilm von Amirpour zurück. Der Comic ist jetzt als Booklet neben vielen weiteren Extras ein Teil des bei Capelight erschienenen wunderbaren Mediabooks zum Film. Egal, ob man „A Girl Walks Home at Night“ im Kino verpasst hat oder den Film unbedingt noch einmal (oder häufiger) erneut ansehen will, ist dies eine unbedingt lohnenswerte Anschaffung.

Gregor Torinus

Bilder: Caprlight

A Girl Walks Home Alone at Night, von Ana Lily Amirpour (USA 2014)

als Mediabook bei Capelight Pictures