ab 23.09.2010 auf DVD

Blut, Schlamm und keine Tränen

Robin Longstride ist eine ehrliche alte Haut. Er hilft seinen Kumpels, wenn sie ihren Job machen, er betrügt nicht beim Hütchenspiel und er sagt dem Chef schon mal die Meinung. Kurz, Robin Longstride ist ein Kerl wie du und ich. Nur, dass Robin Longstrid keinen Job im Büro hat, sondern im Heer von Richard Löwenherz. Die Geschichte des Robin Hood beginnt 1912. Da entstand der erste Film, 30 Minuten lang. Dieser Film zeugte mehr als 30 Nachfolger und so wurde die Geschichte des Robin Hood geschrieben. Walter Scott, der mit dem „Ivanhoe“ 1819 den eigentlichen Impuls gab, ist da fast vergessen, wer liest schon noch Walter Scott. Aber wer sieht nicht Ridley Scott.

Der Regisseur ist einer der kreativen Stylisten des Kinos, ihm verdankt es den visionären „Blade Runner“ und mit „Gladiator“ die Neuerfindung des Sandalenfilms. Nun Robin Hood und der könnte als Unterzeile den Titel von Scotts vorletztem Film tragen „Der Mann, der niemals lebte“. Denn genau das gilt für den unorthodoxen Sozialarbeiter vom Sherwood Forrest und der Umstand gibt Ridley Scott und seinem Autor Brian Helgeland (L. A. Confidential) die Chance, die Legende ganz neu zu erfinden. Und wie Scott beim guten alten Sandalenfilm, der eigentlich nur noch als Parodie vorkam, mit „Gladiator“ alles auf Anfang stellte, so versucht er es auch mit „Robin Hood“. Es ist, als wollte Scott der vielfach parodierten Folklore ihre Würde, ihren Ernst zurückgeben. Die Würde hat die Figur, die Russell Crowe spielt, die Ernsthaftigkeit auch. Nur, dass eine gute Sache und gute Menschen auch eine gute Geschichte brauchen. Wenn einem Mann die Frau geschändet, das Kind entführt, die Ehre genommen wird, dann ist das bitter für den Mann, aber es ist gut für die Geschichte, weil der Mann nun eine Absicht hat und einen Grund. So geschah es Maximus, ehe er „Gladiator“ wurde. Aber so geschieht es nicht Robin Longstride, ehe er Robin Hood wird. Scott erzählt, wie Robin in den Wald kam, er endet dort,

wo die anderen Filme beginnen. Nur, dass diese Vorgeschichte so undramatisch ist, trotz brennender Burgen, sterbender Männer und was eben um 1200 sonst noch so geschieht. Ridley Scott kann, selbstverständlich, immer noch inszenieren, das ist ein Regisseur, der jede Szene beherrscht. Aber er hat einen Helden ohne innere Dramatik, einen Helden, der eine Art Cicerone durch Blut und Schlamm abgibt. Tränen, Emotionen gibt es nicht. Dieser Robin Longstride ist so etwas wie der unbekannte Gefreite des englischen Patriotismus.

Als der König gefallen ist, da ziehen er und seine Kumpels sich die Rüstungen getöteter englischer Ritter über, so wird er Sir Robert Loxley und überbringt dem Bruder des toten Königs die Krone, der trägt sie als ein rechter Tropf. Der Vater des toten Ritters, er wohnt in Nottingham, bittet Robin, den Platz seines Sohnes einzunehmen, auch im Ehebett von Cate Blanchett. Die Schauspielerin sieht aus, als wolle sie Russell Crowe ermuntern, ein wenig mit ihr zu flirten, damit sie etwas von ihrem flirrenden dunklen Charisma verwenden kann. Aber Russell Crowe hat eine Mission. Denn die Barone proben den Aufstand, die Franzmänner kommen auf die Insel, es ist viel zu tun für Englands Freiheit. Und für die Demokratie, denn Robins Vater war eine Unterzeichner der Magna Charta. Aber Russell Crowe, ein Schauspieler mit einer physischen Präsenz, die der Darstellungskunst nicht im Wege steht, sie vielmehr ergänzt, Russell Crowe also wird als Figur von alldem kaum wirklich berührt. So kann sein Regisseur hier nur Handwerk abrufen ohne den Zuschauer mitzunehmen. Man mag es heiter oder melancholisch finden, wenn Scott eine Hommage an Spielberg inszeniert, eine Art umgekehrter D-Day, die Invasion geht dieses Mal von Frankreich nach England, und die Landungsschiffe, und die Toten, sehen aus wie in „Der Soldat James Ryan“. Das war ein sehr guter Film über das Jahr 1944 und er war es auch, weil er Tom Hanks eine Geschichte gönnte. Dieser Film verweist auf etwas, was in der auf Regisseure orientierten Wahrnehmung gelegentlich vergessen wird: Gute Filme benötigen gute Bücher.


Text: Henryk Goldberg