ab 4.Oktober auf DVD und Blu-ray

Mit dem irrigen Titel „Vergebung“ endet die Millennium-Trilogie

„Scheiße“, sagt die junge Frau, da hat sie erfahren, dass ihr Vater noch lebt. „Sie muss weg!“, sagt der alte Mann, da meint er seine Tochter. Die wurde beinahe getötet von dem blonden Monster, das ist ihr Bruder. Sie werden sich wieder sehen, und sie werden einander nicht vergeben

Gegen diesen Film ließe sich ziemlich vieles ziemlich berechtigt einwenden: Die Verschwörer, eine Gruppe innerhalb des schwedischen Geheimdienstes, sind lächerliche alte Männer. Die Guten vom Geheimdienst treffen sich an einem konspirativen Ort, den jeder Amateurfilmer so hätte ausstatten können. Die Gerichtsszene, die eigentliche Mitte des Filmes, ist schlicht über die Maßen. Es gibt weder Überraschungen in der Story noch in den Kombinationen. Die Figuren sind, mit einer Ausnahme, bieder bis langweilig. Und dennoch ist „Vergebung“ ein spannender Film, den sich gönnen sollte, wer sich zwei und eine halbe Stunde Unterhaltung gönnen will.

Schwedische Intellektuelle sind in manchem wie ihre österreichischen Kollegen. Sie wüten mit einer Art von Furor gegen die freundliche Fassade ihres Landes, die österreichische Gemütlichkeit oder die schwedische Sozialwohlfahrt. Nur, dass es in Österreich die Vertreter der Hochliteratur sind – Elfriede Jelinek oder Thomas Bernhard -, und in Schweden die der Spannungsliteratur.

Stieg Larsson ist darin mit seiner Millenium-Trilogie, deren Welterfolg er nicht mehr erlebte, nicht unähnlich seinem Kollegen Jan Guillou mit dessen Agenten Carl Hamilton. Auch Guillou, der literarisch allerdings der deutlich Bessere ist, war ein linker Enthüllungsjournalist, der publizistisch wie literarisch die schwedische Sicherheitspolizei, „das Affennest von Kungsholmen“, ironisierte und attackierte. Aus eben diesem Furor heraus hat Stieg Larsson geschrieben. Diese Bücher sind besiedelt von alten Nazis, gepeinigten Frauen, missbrauchten Mädchen, gierigen Kapitalisten, korrupten Beamten und gleichgültigen Staatsdienern.

Und von Lisbeth Salander. Eine Figur, die eigentlich auch nicht geht, eine Konstruktion, die alles in sich vereint: Vom Vater missbraucht, vom Staat aus Staatsräson in die Psychiatrie geschlossen, vom Vormund wieder missbraucht. Unabhängig, bisexuell, brutal gegen Brutalität, hilflos gegen Zuwendung. Der kämpferische Traum aggressiver Frauenrechtlerinnen. Theoretisch wirkt das ziemlich angestrengt gesellschaftskritisch, doch in der Praxis vergisst sich das leicht beim Lesen, und beim Sehen, wenn es Noomi Rapace ist, die wir sehen, erst recht. Lisbeth Salander ist wohl eine der besten Erfindungen der jüngeren Unterhaltungsliteratur, und sie ist der eigentliche Grund dieser Geschichten, sie ist ihre Mitte und ihre Legitimation. Ohne diese Figur und ihre Aura würden wir diese Geschichten wahrnehmen als das, was sie in ihrem Kern eigentlich sind: mittelklassig, mittelmäßig.

Wie dieser Film, der als Ästhetik, gemessen an den Maßstäben des Genres, im Grunde auch kaum über den durchschnittlichen Fernseh-Standard hinausreicht. Es gibt nur eine Szene in „Vergebung“, die ihre Geschichte als Bild erzählt, die sich ästhetisch vermittelt, filmisch also.

Lisbeth war Wochen im Krankenhaus, wo ein netter, auch langweiliger, junger Arzt sie vor der Polizei beschützte. Dann kommt sie ins Gefängnis. Lange trug sie die Krankenkleidung, langes weißes Nachthemd, ein Symbol der Hilflosigkeit. Nun wird sie zum Gericht gebracht, zum Kampf. Und nun legt sie ihre Kampfkleidung an, das schwarze Leder mit dem Metall, die steilen Haare, und geht einen großen Gang. Wie der Held in einem Western. Und das Bild erzählt: Salander zieht in den Kampf. Sonst erzählen eher die Figuren und Texte als die Bilder.

„Vergebung“ ist spannend trotz alledem. Sogar, obwohl die charismatische Noomi Rapace im Krankenbett zunächst wenig Handlungsmöglichkeiten hat. Sogar dann ist sie das Zentrum des Filmes, denn es ist ihr Schicksal, nur ihres, das intensives Interesse auf sich zieht. Es ist selten der recherchierende Journalist, kaum das blonde Bruder-Monster, überhaupt nicht der böse Psychiater, und gleich gar nicht die taperigen alten Männer, die ihre Vergangenheit zusammen mit der jungen Frau begraben wollen. Daniel Alfredson hat im Grunde einen dreigeteilten und in bestimmten Aspekten auch drittklassigen Fernsehfilm inszeniert, der auch im Kinoformat sein Publikum erstklassig unterhält. Er verdankt das Stieg Larssons Erfindung der Lisbeth Salander und ihrer Darstellung durch Noomi Rapace.

Nur der marktgängige Titel ist albern, denn die abschließende Geschichte handelt keineswegs von „Vergebung“. Es geht, so soll es schließlich sein in einem Thriller, um Vergeltung.

Es sei denn, sie meinten die Vergebung für alle Schwächen dieses spannenden Filmes.

Text: Henryk Goldberg

Bild: Vergebung von Daniel Alfredson, © Yellow Bird Pictures, Foto Knut Koivisto