Die Ratten

Nach allerlei Abwegen kehrt Martin Scorsese mit „The Departed – Unter Feinden“
wieder zu sich selbst zurück und zeigt, wer er ist, wenn er bei sich selbst
ist: einer der Besten. Und von der Schwierigkeit, man selbst zu sein, von
Identitäten also, handelt dieser ausgezeichnete, spannende Mafia-Film.

Das ging schnell, sagt der Polizist, der seinen verdeckt arbeitenden
Kollegen abhört, ist er schon tot? Er hat das Geräusch eines fallenden
Körpers gehört, und das ist in diesem Job immer ein übles Signal. Doch so
schnell geht es nicht, der Kollege lebt, aber die Frage ist durchaus
angemessen. Tatsächlich, gegen Ende dieses Filmes geht es ein wenig zu, wie
in Hamlets letzten Akt. Und, wie in Dänemark, findet auch in Boston das
Eigentliche, das dem Sterben Sinn und Reiz verleiht, vorab statt. Dass die
Handys hier als dramaturgische Scharniere ein wenig funktionieren wie die
Briefe in Don Carlos nimmt der Spannung in Boston so wenig wie der in
Madrid.

Der regionale Mafiaboss Frank (Jack Nicholson) hat seinen Maulwurf Colin
(Matt Damon) in eben jener Abteilung der Polizei platziert, die ihn zur
Strecke bringen will. Doch auch die Guten haben mit Billy (Leonardo
DiCaprio) einen der ihren auf der Gegenseite. Das ist der Plot: Wie die
beiden einander jagen, wie sie mit der gleichen Frau schlafen, ohne es zu
wissen. Doch das Thema ist ein anderes: Wie die beiden Männer, die den
jeweils anderen finden müssen, um zu überleben, sich selbst verlieren. Wie
der Mafia-Spitzel bei der Polizei zu einem Monument der Korrektheit, der
Gutbürgerlichkeit erstarrt; wie der Polizei-Spitzel bei der Mafia von Angst
gepeinigt in sich selbst erstarrt. Wie sie, beide vereinsamt unter Feinden
und Masken, die Wärme und die Liebe der Polizeipsychologin suchen, gehetzt
in der schmutzigen Tiefe ihrer Scheinexistenz, wie die Ratten in der
Kanalisation. Und wie der große Manipulator das weiß und beiläufig eine
Ratte zeichnet. Blut und Dreck, Überleben als Hoffnung.

Matt Damon und Leonardo DiCaprio hat man lange nicht, vielleicht noch nie,
so gut gesehen. Sie sind einander spiegelbildlich, im feinen Zwirn der eine,
in den Klamotten der Kneipen der andere, doch identisch in der Angst der
Verräter und verloren in der Einsamkeit unter Feinden. Sie werden einander
ähnlich, der Polizist und der Verbrecher. Das macht keinen Unterschied, wenn
eine Waffe auf deinen Kopf gerichtet ist sagt Jack Nicholson, und er hat
Recht. Zum einen ohnehin und zum anderen, weil er Jack Nicholson ist.
Jack Nicholson. Der wunderbare Schauspieler gönnt sich einen
darstellerischen Exzess, knapp an der Grenze zur Parodie und die Genialität
des Darstellers zeigt sich darin, wie elegant, wie lustvoll er auf dieser
Grenzlinie zu tänzeln vermag. Diesem alten Mann, diesem Mafiosi, ist es
scheißegal, wie er aussieht, wie er wirkt. Er macht, was er will weil er
lebt wie er will und weil er der sein darf, der er ist. Denn departed,
verstorben, sind auch die, die nicht die sein können, die sie sind, die
unter Masken leben müssen. Frank leistet es sich, auf jede Maske zu pfeifen,
er tut, wonach ihm gerade ist: Vögeln, foltern, verschenken. Das
unterscheidet ihn von seinem beiden Ziehsöhnen, die er aufeinander hetzt wie
Ratten, das macht ihn so ungebremst glücklich. Ein Schwein wie es singt und
lacht. Und schlachtet.

Autor: Henryk Goldberg

geschrieben März 2007