Ganz in Weiß

„Mit Menschen“, steht über dem Tor zu der christlichen Schule, „ist das hier möglich. Mit Gott ist alles möglich.“ Und „Blind Side“ erzählt, dass mit Menschen, mit denen Gott ist, alles möglich ist.

Die Schule heißt „Wingate“, das Tor der Sieger. Sandra Bullock ist durch dieses Tor gegangen. Michael Oher, den sie Big Mike nennen, ist ein großer, dicker schwarzer Junge. Sein Vater, den er nie sah, sprang von einer Brücke, seine Mutter, die drogenabhängig ist, kann sich nicht an den Mann erinnern, der dieses ihrer zwölf Kinder gezeugt hat. „Ich weiß nicht“, sagt sie und es ist die Antwort auf die Frage, wann sie den Jungen zum letzten Mal gesehen hat. Big Mike hatte noch nie ein Bett und wenn es kalt ist, dann sucht er sich einen warmen Raum.

Anne Leigh ist Mitte vierzig, blond, chic und sie lebt in Memphis, Tennessee, auf der anderen Seite der Stadt. Anne Leigh ist Innenarchitektin, sie hat einen Mann, der 80 Fastfood-Restaurants besitzt, und zwei Kinder. „Ich kenne diesen Blick“, sagt ihr Mann einmal, „er bedeutet, dass sie ihren Willen bekommt.“ Jetzt, an einem kalten Abend, sagt Anne Leigh zu Big Mike „Komm mit“. Einfach so. Und genau so ist dieser Film: Einfach so. So einfach.

„Blind Side – Die große Chance“ ist ein einfacher, gut gemachter Film mit einer guten, nicht überragenden Hauptdarstellerin. Beide, der Film wie die Darstellerin, waren für den Oscar nominiert. Die Nominierung als bester Film war eine deutliche Überbewertung, der Oscar für die sympathische Sandra Bullock ist zu vertreten. Sie wird ihn bekommen haben, wie Julia Roberts ihn bekam für „Erin Brocovich“: Eine Schauspielerin, die im heiteren Fach viel für Hollywood getan hat, spielt eine sozial engagierte Frau, gegen ihren Typ, gegen die Erwartung. Ohne viel Tiefe, aber seriös, gediegen und anrührend. Und irgendwie würdigt die Academy so das Gesamtwerk einer Schauspielerin, die viel getan hat für den Erfolg der Branche.

Der Erfolg dieses Filmes von John Lee Hancock ist der Traum, den die weiße amerikanische Mittelschicht träumt von sich, ist das perfekte Selbstbildnis der vermutlich einflussreichsten sozialen Gruppe: erfolgreich, aber sozial; wertkonservativ, aber sozial; christlich, aber sozial. In Betrachtung des noch umgehenden Rassismus, in Betrachtung auch der absurden Debatten über Sexualität und Kreationismus, muss man das, vor allem im Süden, für einen Fortschritt halten. Das einzig Überraschende an diesem Film ist der Umstand, dass seine Geschichte authentisch ist: Ein schwarzer Junge aus den Slums wird von einer weißen Familie aufgenommen, erhält Bildung und Wärme, wird sozia-lisiert und ist heute ein Footballstar, der Millionen verdient. Amerikanischer geht es nicht, doch dieses belächelte Stereotyp vom amerikanischen Traum ist ja entstanden, weil es tatsächlich vorkommt in Amerika. Dieses „Du kannst es schaffen“ gehört wirklich zur amerikanischen Mentalität. Der Gegen-Satz, das „Du kannst aber auch krepieren“, ist dem anderen verschwistert, weshalb Obamas Versuch, die unmenschliche Gesundheitspolitik zu ändern, die Nation spaltet. Man muss das wohl mitdenken, wenn man solche Filme sieht.

„Blinde Side“, das ist im Football, wie wir hier lernen, der tote Winkel des wichtigsten Spielers. Michael hat Talent, aber er ist nicht aggressiv genug. Doch wirft er sich zwischen den explodierenden Airbag und seinen kleinen weißen Bruder, doch wird er einmal bestimmend gegenüber Leigh Anne, da will sie aus dem Auto steigen in den Slums. Und einmal wird er wütend, da fragen ihn seine alten schwarzen Freunde, ob er die beiden weißen Tussis, seine große weise Mom und seine kleine weiße Schwester, mal so richtig durchgezogen hat. Der ihn das fragt hat eine Pistole. Als Big Mike geht, liegen drei große Jungs am Boden. Anne Leigh erkennt also den Beschützerinstinkt und lenkt ihn auf das Team: Der Quarterback ist deine Familie, beschütze ihn, wie du uns beschützt. Dann geht Michael aufs Feld und wird ein erstklassiger Spieler, nach dem die Trainer Schlange stehen. Einfach so.

Diese Konfliktfreiheit ist das Problem des gut gemachten Filmes. Kunst braucht Reibung, Entwicklung, Widerstand. Ein überwundener Widerstand macht das gute Ende glaubwürdiger, in Sonderheit bei solchem Thema. So ist das ein netter, hübscher Film mit einer guten Schauspielerin.

Einmal finden sie einen Text von Michael. „Ich sehe mich um“, steht da, „und sehe nichts als Weiß“. Er könnte das auch sagen, wenn er diesen Film sieht.

Text: Henryk Goldberg

 

Blind Side – Die große Chance (Bild: Warner)