Offene Zweierbeziehungen

Tarantino denkt über seine Zukunft nach

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Jackie hat nicht mehr viel Zeit. Jackie ist 44 und schwarz. Ordell, der Waffenschieber, hat gerade erst einen Mitarbeiter letal entsorgt, so wird er es jetzt mit Jackie halten. Aber Jackie ist anders. Jackie hat dem Kautionsanwalt Max die Pistole geklaut, als er sie aus dem Knast nach Hause fuhr. Und jetzt ist es dunkel im Zimmer und Ordell ist da und er hat die Hände an ihrem Hals. Und Jackie hat die Pistole in der Hand. Fortan wird Ordell diese Frau ernster nehmen. Dennoch wird Jackie schließlich in einem Auto sitzen mit einer halben Million, die einmal Ordell gehörte. Er wird sie aber nicht vermissen, denn er wird auf dem Boden liegen mit einer Kugel, die einem Polizisten gehörte. Jackie liebt außer ihrer Zukunft noch die alten Platten und sie fragt den 56-jährigen Burschen: „Max, wie stehen Sie zum Älterwerden?“ Und das ist so ungefähr das Thema.

Quentin Tarantino ist 34, und dennoch ist, was ihn umtreibt, die Frage, wie einer mit Anstand älter zu werden vermag. Denn der Autor von „Natural Born Killers“, der Erfinder der „Pulp Fiction“ hat bereits einen Mythos begründet – den Kult des blutgefüllten Spaßbades mit viel coolen Drinks und hohem Intelligenzfaktor. Denn selbst, wenn eine Art Fortsetzung des kraftgenialischen „Pulp Fiction“ gelänge, so wäre es der schlechtere Film, die kreative Leistung ist die des ersten Males. „Pulp Fiction“ ist eine gültige, klassische – will sagen: vollendete -, Erscheinung der Pop-Kultur, auf seine Weise ein Gipfel, von dem kaum noch Wege nach oben führen. So ist Tarantino mit der Frage befasst, wie er Tarantino bleiben und sich dennoch verändern könnte – eine Frage, die die Ernsthaftigkeit des weltweit verehrten jungen Mannes beglaubigt. Dieser Film steht dafür, er ist eine Art von Atempause, von Zwischenstation. Der Meister hat einen Film gemacht, einen konventionellen, er ist nicht zum Kopisten seiner selbst geworden, alles ist noch möglich. Quentin Tarantio und das Kino, das bleibt auf absehbare Zeit eine offene Zweierbeziehung.
Von Beziehungen der offenen Ausgänge handelt auch „Jackie Brown“. Allein die Besetzung mit Pam Grier ist eine solche Geschichte. Die glänzend aussehende und auch sonst dominante Grier war in den Siebzigern eine, heute beinahe vergessene, Gallionsfigur des schwarzen Kinos, schön, stark, weiblich, schwarz. Und womöglich hat Tarantino ihr eine Renaissance geschenkt, wie er sie Travolta schenkte. Der Film – dessen kleiner Plot in der Frage besteht, ob und wie die erwischte illegale Geldbotin sowohl ihren Boss als auch die Bullen zu linken vermag – handelt von lauter Zweierbeziehungen, er findet in lauter Dialogen statt. Jackie und Max (Robert Forster), Jackie und Ordell (wieder: Samuel L. Jackson), Ordell und Louis (Robert DeNiro), Louis und Melanie (Bridget Fonda). Die Dialoge haben schon so etwas wie den „Tarantino-Touch“, lässig, cool, beiläufig. Aber sie scheinen mitunter über der Geschichte zu schweben. Denn Tarantino hat, was wir vermissen, da er uns nicht den Tarantino tanzt, die Leerstelle bislang durch nichts anderes ersetzen können, der merkwürdige Glanz ist verschwunden, vielleicht, dass Tarantino erwachsen werden will. Gewiss, manchmal kann er es nicht lassen. „Schon gut, Louis“, sagt Melanie, da wird sie von Max erschossen. „Was ist nur aus dir geworden?“, sagt Ordell, da hat er Max gerade erschossen.
Dies ist ein relativ normaler, relativ lässiger, relativ durchschnittlicher Film, der seine öffentliche Aufmerksamkeit nicht aus eigenem Wert gewinnt. Ein Film, der Bedeutung hat als eine Art Zwischenhalt für einen Regisseur, der ernsthaft der Frage nachhängt, was er bleibt, wenn er nicht mehr der Stifter des coolen Kultes ist.
Indessen, Quentin Tarantino hat noch sehr viel Zeit.

Autor: Henryk Goldberg

Text geschrieben: 1997

Text: veröffentlicht in FILMSPIEGEL

Bild: Universum Film