Die Lieder des Windes

Ein melancholischer Dokumentarfilm aus Deutschland über die Sehnsucht

Der Vorhang so rot, die Sehnsucht so groß. Die alten Filme hier, bei denen die Tonspur knistert, sind getaucht in die süße Farbe Jugend. Und draußen, das wirkliche Leben, so bunt, so grau. Da prüft die Dame mit dem Hut vor dem Spiegel, die Korrespondenz der roten Handschuhe mit der gleichfalls roten Handtasche, da wirft der Mann mit dem geföhnten Haar noch einen vergewissernden Blick auf sich selbst ehe sie gehen. Im „Bellaria“ singt Zarah Leander manchmal „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“ und das wollen sie hören. Die Lieder, die der Wind herüber trägt aus jenem fernen Land, das Damals heißt.

Douglas Wolfsperger, der dafür den deutschen Ernst-Lubitsch-Preis erhielt,ist mit „Bellaria“ einer der schönsten deutschen Dokumentarfilme der letzten Zeit gelungen, der zudem zu den wenigen Werken seiner Gattung gehört, die in Deutschland den Weg ins Kino schaffen.Wolfsperger entspricht einem nostalgischen Empfinden und er macht es zugleich zum Gegenstand der Betrachtung. Lauter alte Leute, die nicht alle bessere, nur andere Zeiten gesehen haben, gehen in das Wiener Kino „Bellaria“, darin die alte UFA lebt. Zeitflüchter, die sich in einem beinahe rituellen Akt vergewissern, dass es einmal schöner war. Und der Regisseur, das macht die Wärme dieses Filmes, fährt seinen Leuten nichts übers Maul, er respektiert ihr Leben, er lässt ihnen ihre Melancholie, er grinst nicht, er lächelt nur. Er weiß wohl, dass wir alle einmal diese Sehnsucht haben werden – doch wonach?

Eine der Frauen ist froh, dass ihr Mann tot ist, es war nicht so schön. Eine andere sagt ihrem Verblichenem noch jeden Abend „Gute Nacht“, es war das Schönste. Der Mann mit dem geföhnten Haar bewahrt die Locke seiner Mutter in einer Pappschachtel und den roten Abdruck der Lippen von Zarah Leander auf einer Zigarettenschachtel. Eine Frau kauft billige Konserven auf Vorrat, so kann sie sich die Konserven des Bellaria leisten.

Manchmal gehen sie auf Friedhöfe. Einmal kommt der alte Karl Schönböck ins Bellaria und sieht sich einen alten Film mit Karl Schönböck an. Die Besucher umringen ihn, er ist der Beweis, dass es wirklich war. Kurze Zeit später wird er sterben. Das wäre ein Schluss gewesen, doch Douglas Wolfsperger ist milde.

„Das ist der Mann, den ich vor fünf Monaten kennen gelernt habe“ sagt eine alte Dame am Ende vor dem Bellaria. „Entschuldigung“, widerspricht der Liebhaber, er ist 91, „es waren sieben“. Dann küsst er sie. Und der Mann im Mond schaut zu.

Autor: Henryk Goldberg