Nur ein Genie

„Ich bin doch nur ein Dirigent!“ ruft der Mann verzweifelt in das Licht der Scheinwerfer. Und der Reichsmarschall lacht diabolisch. Nein, so ist es natürlich nicht, aber warum ist es nicht so? Schließlich ist „Der Fall Furtwängler“, mit dem sich Istvan Szabo hier beschäftigt im Grundsatz auch der Fall Gründgens. Mephisto hätte, als Haltung, dem US-Major Steve Arnold sehr gefallen, der den Fall Furtwängler zu untersuchen hat, 1945. Der Unterschied ist die Haltung der Autoren. Klaus Mann verbreitet Meinungen, Ronald Harwood stellt Fragen. Die eine vor allem, auf die es nur unbefriedigende Antworten gibt: ob das Genie nämlich anderen Regeln unterworfen wird, ob es ausgenommen ist von dem für gewöhnliche Menschen geltenden Normengefüge?

Für diese Frage hat Harwood genau die richtige Figur: Der Major, ein Versicherungsmann, ist ein weithin amusischer Mensch und Beethoven ist ihm so gleichgültig wie der Umstand, dass der Mann vor ihm in dem Ruf steht, einer der beiden weltweit besten Dirigenten seiner Generation zu sein. Er hat den Nazis den Ruf poliert. Er hat ein paar Juden gerettet, aber er war die Kulisse vor den Konzentrationslagern. Und die Menschen, denen er Kraft gab?

Szabos Film ist wie Harwoods Stück: Er macht seine ästhetische Existenz vergessen und fesselt als Diskussionsgrundlage. Kein sinnlicher Film, lauter Debatten, doch einer, der intellektuell zu bannen vermag, mit dem dominanten Harvey Keitel, den Szabo im Grunde mehr vorführt als den Kollaborateur, dem Stellan Skarsgard Präsenz erspielt. Und übrigens auch deutsche Schauspielern wie Moritz Bleibtreu, Ulrich Tukur und Birgit Minichmayr. Ich bin doch Deutscher, beschreibt Furtwängler sein Problem. „Man kann“, schrieb Carl Zuckmayer dazu, „über diesen Standpunkt kein Urteil fällen -wer einen Standpunkt einnimmt, muss ihn mit aller Konsequenz tragen.“ Das macht den Unterschied: dem Genie wird diese Konsequenz kaum abverlangt.

Autor: Henryk Goldberg

Text geschrieben Januar 2007

Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine