Das eiskalte Händchen

Travolta zeigt Hackman wo’s langgeht

schnapptshorty300

Chili Palmer sitzt am Fenster und geht seiner Lieblingsbeschäftigung nach, er raucht. Chili Palmer ist Mitarbeiter im Außendienst einer Inkasso-Firma, so eine Entweder-du-zahlst-jetzt-deine-Schulden-oder-ich-breche-dir-deine-Beine-Firma. Aber eigentlich ist er ein netter Kerl, denn er hat ganz viele Filme gesehen. Er kann, wir werden es erleben, die Dialoge von Orson Welles mitsprechen, er weiß, wann John Wayne am Rio Bravo schießen wird und er trägt eine schwarze Jacke wie Al Pacino sie trug, und als Ray Barboni sie ihm klaut, wird er ihm die Nase einschlagen dafür. Und ganz oft, doch wer hätte das nicht, hat er in Rick’s Cafe gesessen. „Schauen Sie mich an“ – das hat nach noch nie jemand so cool gesagt, so aasig. Doch erwähnt er, das ist merkwürdig, nie Woody Allen. Dabei, Bulletts over Broadway muß ein Mann wie Chili einfach lieben. Denn da war es, dass Cheech zu einer grauenhaften Schauspielerin sagte „Du bist eine grauenhafte Schauspielerin“ und sie erschoss, denn der Gangster Cheech war ein kunstsinniger Mann. Und Chili Palmer ist auch ein kunstsinniger Mann. Daraus müsste sich doch etwas machen lassen. So sitzt Chili Palmer, der nette Gangster, und blickt nachdenklich aus dem Fenster, als Ray Barboni, der doofe Gangster, eine ziemlich dumme Bemerkung macht. Ray Barboni geht nicht so oft ins Kino. Denn dann hätte er Pulp Fiction gesehen und gewußt, daß der Mann eine Glückssträhne hat.

John Travolta war ein Star der Superklasse, als er (1977) „Nur Samstag Nacht“ die Diskotheken abräumte. Dann kam die erfolgreiche Schmiere („Grease“) und dann lange nichts. Bis Quentin Tarantino ihn holte für den bislang wunderbarsten Schund des Jahrzehnts, „Pulp Fiction“, der den coolen Zeitgeist der 1990er so präzise formulierte wie „Saturday Night Fever“ den tanzenden der 1970er Jahre. John Travolta wachte danach eines Morgens auf und war dem Problem konfrontiert, welche der gebotenen zweistelligen Millionengagen er zuerst akzeptieren sollte. Nun macht ihm Hollywood den Hof, in der Hoffnung, um John Travolta einen weiteren Film spinnen zu können, darin er so unglaublich cool ist wie in „Pulp Fiction“. John Woo aus Hong Kong, der Großmeister des ritualisierten Sterbens, drehte die Operation: „Broken Arrow“ und Barry Sonnenfeldt, Regisseur der „Addams Family“ war ebenfalls gehalten, das eiskalte Händchen, in dem John cool die Zigaretten hält, zu vergolden. Es ist ein guter Action-Film geworden und eine schöne Komödie, aber die Spitze ihrer Genres sind beide nicht. Vermutlich ist ein singulärer Genie-Streich wie „Pulp Fiction“ nicht wiederholbar, aber der nicht nachlassende Versuch wird uns womöglich ein paar nette Filme eintragen und John Travolta ein paar neue Flugzeuge, er fliegt so gern.

Also fliegt Chili Palmer nach L.A., um Schulden bei einem Hinterhof-Produzenten einzutreiben. Statt dessen verfällt er auf den Gedanken, endlich die Branche zu wechseln, Produzent. Man braucht nur etwas Geld, man muss eine Menge Filme kennen und einen Star auftreiben. Chili hat etwas Geld, und er treibt einen Star auf, einen kleinen, kurzen, einen „shorty“, und er lässt ein paar ziemlich harte Burschen ziemlich hart auflaufen. Inside Hollywood, eine freundliche, nette und unterhaltsame Komödie – zum ganz großen Film indessen fehlte wohl der Biss: Sie sind alle irgendwie freundlich, irgendwie nett. Sogar Ray Barboni ist so blöde, daß er uns schon wieder dauert, im Übrigen hat er die Mona Lisa im Rücken, wenn er auf dem Scheißhaus sitzt.

Aber es ist ein Film, in dem auch der coole John Travolta, der kleine Danny de Vito und der verprügelte Gene Hackman an einem Tisch sitzen und über das Kino reden, ein Film, in dem Bette Middler sich und ein Drehbuch an den Mann zu bringen sucht, kurz, ein lehrreicher Film.

Aber am lehrreichsten ist John Travolta, der Gene Hackman erklärt, wo’s langgeht. „Irgend etwas muß ich doch sagen“, sagt Gene Hackman. „Nein, müssen Sie nicht“ sagt John Travolta.

Es reicht, wie er die Zigarette hält im eiskalten Händchen. Wie er den rechten Zeigefinger streckt, wie er mit genießender Beiläufigkeit den Rauch entlässt. Wie er, der trainierte Tänzer, läuft. Lässig, arrogant, gelegentlich brutal und immer nett. Wie er Denny de Vito coacht, der einen Mafiosi spielt, der John Travolta ist.

Und Chili versteht wirklich was vom Kino. „Das ist ein Scheiß Titel“ sagt er. Aber sie haben nicht auf ihn gehört. So blieb es bei Schnappt Shorty.

utor: Henryk Goldberg

Text geschrieben: 1999

Text: veröffentlicht in FILMSPIEGEL

Bild: UIP