Ein Augenöffner
Schwere Zeiten für Orks und Harrys
Einmal begegnen Harry, Hermine und Ron einem Troll. Um ihn zu finden, müssen sie die Tür der Mädchentoilette öffnen. Harry steckt ihm seinen Zauberstab in die Augen, woraufhin dem verscheidenden Unhold der Rotz aus der Nase läuft. Auch Die Gefährten begegnen einem Troll. Um ihn zu finden, müssen sie den Zauber der unterirdischen Hallen von Moria lösen, wo Balin, der Zwergenkönig, einst herrschte. Die Männer kämpfen lang mit dem Wesen, und dass Leoglas, der unsterbliche Elb, dem Troll auf den Rücken springt und ihn seinen unfehlbaren Pfeil in den Nacken schießt, das ist noch nicht das Ende dieses Kampfes.
Das Vorkommen der beiden Trolle beschreibt den, mindestens äußeren, Unterschied der beiden Fantasie-Filme des Jahres. Joanne K. Rowling hat hübsche, anmutige Kinderbücher über eine Zauberschule geschrieben, J.R.R. Tolkien zauberte die komplexe Geschichte eines neuen Kosmos. Wo die Lehrerin neu, und originell, zusammenfügte, was bereits an Geschichten und Geschöpfen in der Welt war, da stiftete der Professor als Schöpfer eine neue Welt mit eigener Geschichte und mit ihr beinahe eine neue Gattung. Denn Tolkien, allein das erhebt ihn weit über Rowling, wurde durch Herr der Ringe zu einem Ahnherrn der Fantasy, der Kosmos der Star Wars Saga ist kaum zu denken ohne den von Mittelerde. Tolkien hatte den Ehrgeiz der Stifter, sein Impuls war ein philologischer: neue Sprachen erschaffen, eine in sich geschlossene Welt mit einer eigenen Historie. Es gibt wenig andere Fiktionen, die durch die sich zueinander fügenden Details eine solche Quasi-Realtät und eine Art von Eigenleben entwickelt haben. Wenn auch dieser philologische Ehrgeiz eines Wissenschaftlers für die Mehrheit der Leser und Zuschauer weitgehend gleichgültig bleiben dürfte, so hinterlässt er doch seine Signatur: Eine Art von Kraft, von dunkel grummelnder Mysthik, ein Pathos der Bedeutsamkeit, die den Herrn der Ringe, als einzelnes Werk wie als wirkender Anreger, weit hinausheben über Harry Potter. Diese Differenz ist so deutlich, dass sie nur weger der zeitlichen Nähe beider Filme der Erwähnung wert scheint.
So ist es wohl auch einfacher, aus diesen Büchern einen kräftigen Film zu fertigen als aus Harry Potter. Hinzu kommen noch zwei begünstigende Umstände. Zum einen muss es als vorteilhaft gelten, wenn einem Schriftsteller nicht das Recht der letzten Entscheidung gegeben ist. Und zum anderen ist Tolkiens Fangemeinde, wie sein Buch, etwas älter, und so vielleicht mehr auf den Geist des Werkes bedacht als auf jeden seiner Buchstaben. Was bedeutet, das dieser Film nicht ganz so viel Rücksicht auf die Wiedererkennungssehnsucht von Millionen Kinderaugen zu nehmen hatte. Die Summe dieser Umstände hat uns einen Film beschert, der, anders als Harry Potter, einen Platz behaupten wird als ein Kunstwerk aus eigenem Recht. Gesetzt den Fall, es gäbe beide Bücher nicht und mithin auch nicht die begleitenden medialen Blähungen , so wäre Harry Potter und der Stein der Weisen nichts als ein hübscher, kleiner Kinderfilm, der zweispaltige Besprechungen erhielte und Der Herr der Ringe Die Gefährten noch immer ein beträchtliches, auffälliges Werk.
Der Neuseeländer Peter Jackson (Heavenly Creatures) hatte die schwere Aufgabe, eine weltweit bekannte, komplexe Welt zu visualisieren und er hat diese Aufgabe so gelöst, dass sich kaum ein wirklicher Einwand wird erheben lassen, dem Buch verbunden und doch souverän damit verfahrend. Er inszeniert, assistiert von einem Team vorzüglicher Ausstatter und Tricktechniker, das schwere, lastende Pathos der Geschichte aus dem Dritten Zeitalter von Mittelerde in mythischer Landschaft. Und er hat das, was als die Botschaft der Saga gelten könnte, die Korrumpierbarkeit durch Macht, noch ein wenig kräftiger akzentuiert als Tolkien. Er unterstellt deutlicher ein Eigenleben des Ringes, also der Macht, er inszeniert kräftig die Gefährdung der positiven Figuren durch den Ring. Und wenn er die Zauberer Gandalf und Saruman (Christopher Lee) gegeneinander kämpfen lässt, dann ist, als wolle er noch einmal zeigen, wem das Copyright im Kampf der Lichtschwerter gebührt. Die einzelnen Kulturen die Zauberer, Zwerge, Elben, Orks, Menschen und die Hobbits natürlich, sind gut voneinander abgesetzt und ebenso gut wieder zusammengeführt.
Wer die Bücher nicht nur als Story mag sondern als den Mythos einer komplexen Welt, wird womöglich etwas vermissen. Die erklärenden Scharniere zwischen der Handlung nämlich. Diese Passagen mögen die einen langweilen, für die anderen, und den Autor, begründen sie erst den Mythos von Mittelerde. Derlei lässt sich nicht unmittelbar visualisieren, doch kann Jackson die mythischen, quasi-historischen Begründungen hinter der Handlung immerhin aufheben als bedeutungsschwere Atmosphäre. Der Film bewahrt bei aller Sinnenfreude doch immer auch eine Konzentration, die Bedrohung noch aus beiläufigen Details gewinnt. Peter Jackson erhält den Geist des Buches, indem er ein ziemlich getreues Abbild des ersten Teiles schafft, und er gewinnt ihm einen hohen Schauwert, eine visuelle Opulenz, die diese drei Stunden, auch wenn man kein Fantasy-Fan ist, nicht zu lang werden lassen. Eltern können, wenn es denn gewünscht wird, ihre etwas größeren Kinder frohgemut ins Kino begleiten, es gibt viel zu sehen und wenig zu stöhnen. Gewiss, einige Figuren verlieren an Prägnanz und Witz, das war in der puren Handlung, im reinen Dialog schwer zu vermitteln. Der grimme Zwerg Gimli und der elegische Elb Leoglas etwa, im Buch ein wirklich schönes Paar. Auch der Herr Butterblüm, Betreiber des Gasthauses Zum tänzelnden Pony ist ein Verlust. Oder der kleine Held Frodo und sein dienender Freund Sam. Hier zeigt sich übrigens eine marketingbedinge Rücksichtnahme auf die orthodoxen Anhänger des Stoffes. Denn anders als in der in Fankreisen umstrittenen Übersetzung von Wolfgang Krege nennt der kleine Sam seinen großen Chef nicht Chef und dabei hat Krege diese Beziehung mit schwer zu überbietender Liebe gezeichnet. Aber man wollte wohl niemanden verärgern. Und, auch hier leider, es fehlt der höchst merkwürdige Tom Bombadil, der wohl zu wenig handlungstreibend ist, um ihn unterzubringen. Die Hobbits, die skurilen Helden, die liebenswürdigen kleinen Bürger, die Kleinbürger, die die Welt erretten, wirken ein wenig kindlicher, als sie im Buch erschienen und so geht auch, ebenfalls anders als bei Tolkien, der große Streicher mit ihnen um. Frodo wenigstens hätte auch als Vertrauensschüler nach Hogwarts gepasst. Doch aufs Ganze besehen ist das nichts als ein schöner Film und für Orks wie Harrys kommen schwere Zeiten. Die Potter-Filme der nächsten Jahre werden vermutlich, nach dem filmischen Urknall, Stück um Stück verlieren, diese eher nicht.
Ein Augenöffner, gar keine Frage, sagt einer der Hobbits, und mehr ist nicht zu sagen.
Text: Henryk Goldberg
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