Ein dienstbarer Geist

Wer ihn liebt, der soll es eben tun

Wenn das Licht ausgeht, dann schleicht die ganze Harry-Potter-Philologie mit eingezogenem Schwanz aus dem Saal. Denn sie hat das deutliche Empfinden, für das, was jetzt beginnt etwa die Bedeutung einzunehmen, die soziologische Analysen des Geschlechtsverkehrs für die Sache selbst besitzen, wenn sie einmal begonnen hat: keine.

Die kulturkritischen Untersuchungen über immer aggressivere Vermarktungsstrategien verflüchtigen sich so wie die über die Sehnsüchte nach der heilen, also klar polarisierten Welt, über die Botschaften, die der kleinen, freundlichen Geschichte womöglich abzuziehen sind. Diese Botschaft, wenn es denn eine sein soll, ist so schlicht wie der Film. Es ist dem globalisierten Kinderdorf gleichgültig, ob eine Geschichte komplex organisiert ist oder eher eindimensional, es ist gleichgültig, ob sie eine differenzierte Welt zeigt oder eine klar gegliederte. Es ist alles vollkommen unerheblich, so lang am Ende das Gute obsiegt hat auf eine Weise, die eine Art von Spannung erzeugt. Denn diese Geschichte vollzieht sich so, wie sich diese Geschichten seit Jahrzehnten vollziehen in der Kinderliteratur, nur, dass sie statt Mathe und Physik eben Zaubersprüche und Hexenkunde pauken, nur, dass der bad boy aus der Klasse nicht den Fußball klaut und damit wegrennt, sondern den Erinnerdich und damit wegfliegt.

Der Unterschied zu den guten Kindergeschichten früherer Tage ist die globale Konfektionierung des Kulturverhaltens, die mediale Verwertungsmaschinerie. Wo J.R.R. Tolkien, dessen Herr der Ringe am 19. Dezember in die Kinos kommt, zum schöpfenden Gott eines originären Universums wurde, da arbeitet J.K. Rowling mit wackerem Charme im Weinberge eines anderen Herrn, wo dieser ein prägendes Muster schuf, da arbeitet jene nach geprägten Mustern, wo jener eigene Sprachen und Geografien entwarf, da spricht diese bekannte Sätze in bekannten Gegenden. Das ist ein Unterschied, aber der ist, mit allem Recht der Welt, den Kindern gleichgültig. Darüber zu meditieren, ob man Harry Potter nun liebe oder nicht, das scheint so sinnvoll wie die Frage, ob blau womöglich eine schönere Farbe sei als grün. Und so ungefähr verhält es sich mit dem Film, weshalb auch in allen Blättern mehr über den Geist der Zeiten und der Märkte geredet wird als über die Sache selbst.

Aber ganz ohne geht es wohl nicht, seufzt der Autor, und erbittet Generalpardon bei den Fans aller Altersklassen. Er hat nichts gegen sie, wirklich. Aber er insistiert, dass nicht alle alles lieben müssen. Beginnen wir versöhnlich, halten wir fest, dass diese zweieinhalb Stunden nicht langweilig sind. Das ist ein freundlicher Film, dazu noch glänzend ausgestattet. Es ist ein Film, in dem man alles, alles wieder findet, was Rowling im Stein der Weisen mit viel Charme erfunden hat. Und das, der Film als Fundbüro für die Besucher, war die Hauptaufgabe dieses Produktes und genau das führt dazu, dass ihm wie kaum einem anderen Film der Produktcharakter anzumerken ist. Denn der Film verhält sich zum Buch, wie das Theater es einst zum Drama tat: Ein devoter, dienstbarer Geist des Dichters.

Chris Columbus, der Regisseur (Kevin allein zu Haus, Mrs. Doubtfire) war dafür der Mann, der Steven Spielberg nicht gewesen wäre, denn der ist ein Herr, kein Diener. So liegt Konsequenz darin, dass das vorzügliche Design des Filmes besser ist als die Geschichte, die sich darin vollzieht. Auch die Darsteller sind Teil dieses Produktdesigns, Wiedererkennung war hier alles und noch kein Film hat so selbstverständlich die Kenntnis des Buches vorausgesetzt. Hier wird keine Geschichte interpretiert, hier wird sie fotografiert. Selbst die Geschichte funktioniert vorrangig als abzuarbeitende Motivliste. Es gibt eine Differenz zwischen dem Ablauf der Fabel und ihrem Geist, die Figuren verlieren mitunter ihren Charakter, etwa in der sich eigentlich erst entwickelnden Beziehung Harrys zu Hermine, etwa in der verlorenen Skurrilität des Dumbledore. So ist es konsequent, dass Harry, Dumbledore und die Lehrerin McGonnegall um vieles blasser sind als etwa der sinistre Snape oder der gutmütige Riese Hagrid, die chemisch reinen Figuren sind, auf den Typ reduziert, immer langweiliger als die etwas komplizierteren.

Wer nicht glauben mag, dass dies ein, wiewohl freundlicher, so doch eher mittelklassiger Film ist, der stelle sich vor, er kenne das Buch nicht. Harry Potter, das ist die Liebe der Fans im Zeitalter der medialen Reproduzierbarkeit. Aber all dies Gerede kümmert weder die Kinder noch die Produzenten, beide erleben hier das reine Glück. Denn sie fanden den Stein der Weisen.

Autor: Henryk Goldberg

Text geschrieben November 2001

Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine

Bilder: Warner