Der Herr der Dinge

“Matrix reloaded“ – die Demo eines langen Computerspiels

Manchmal will jemand ein Computerspiel gewinnen, obschon er seine drei Leben schon verloren hat. Dann gibt er einen bestimmten Code ein, und schon verfügt er über so viele Leben wie er mag. So lacht er, wenn er stirbt und spendiert sich eine Wiederauferstehung. Diese Codes nennt man cheats, was so viel wie betrügen bedeutet und sie sind gleichsam das Bekenntnis zur Unverbindlichkeit des Spieles. Im Kino hingegen gilt die Vereinbarung, Leben und Sterben als das zu nehmen, was sie scheinen. Ein Tod ist ein Tod ist ein Tod. Matrix hatte die Vereinbarung des Kinos ersetzt durch die des Videospieles: Es macht Spaß, aber es ist nicht wirklich. Kein Mensch hat sich je gefürchtet in Wolfenstein. Dieses Spiel mit den cheats wird Folgen haben für den Kinofilm, denn Matrix ist die Mutter eines Subgenres.

Als Larry und Andy Wachowski 1999 die Matrix-Saga erschufen, da benötigten sie eine inhaltliche Begründung, um die Figuren eines Filmes behandeln zu können wie die eines Computerspieles. So wurden sie zum Teil eben eines solchen Spieles erklärt. Deshalb ist die Matrix eine Computersimulation, darin die Menschen ein virtuelles Leben leben. Tatsächlich liegen sie in einer chemischen Suppe, woselbst ihnen die, nun ja, Bioenergie abgemolken wird, von denen sich die herrschenden Maschinen ernähren. Nur einige wenige wissen darum. Nero (Keanu Reeves) ist der Auserwählte und Morpheus ist sein Prophet. Obschon der einzige Gott, der, den religiösen Dogmen folgend, auf Erden wandelte, keinen Propheten hatte, weil er sich selbst offenbarte.

Der erste Teil der Matrix erzählte, wie das populäre Kino es vermag, sich in Rufweite chicer Zeitgeistphilosophie zu begeben, um seine Ästhetik zu begründen. Und diese Ästhetik, diese Unverbindlichkeit des virtuellen Seins, ermöglichte ein sehenswertes, handwerklich innovatives Produkt des Actionkinos. Wenn auch ein wenig irritierte, wie ernsthafte Leute begannen, aus diesem zeitgeistigen Quark mit ernstem Gesicht philosophischen Schaum zu schlagen. Ob der Mensch also tatsächlich der Herr der Dinge sei, ob diese Dinge, die für uns wahrnehmbare Welt, die tatsächliche Welt sei. Die Frage ist seit Plato gestellt, nur, dass dieser Film in einigem Ernst betrachtet, nichts mit ihr zu tun hat. Das ist nicht Platos dunkle Höhle, das ist Hollywoods kühles Konstruktionsbüro.

Der zweite Teil, Matrix reloaded hingegen erzählt, wie dieses Büro, wenn es einmal das Potenzial einer Geschichte erkannt hat, diese zu Schanden reitet durch Maßlosigkeit.

Denn nun haben sie vergessen, dass ihre Konstruktion ein Quark ist, ein Vorwand, und lassen die Figuren ironiefrei Philosophie und Weltgeist absondern, dass es schmerzt. Morpheus-I-have-a-dream predigt, als habe er gerade eine wichtige Unterredung auf dem Sinai gehabt, obschon sein Chef ja eigentlich auf dem Olymp siedelt; das Orakel brabbelt, als sei es eine Hausfrau aus Delphi, die beim Putzen im Tempel immer mal was aufschnappt.

Und dann müssen sie einen Schnäppchenladen für Weltkultur geplündert haben.

Eine Frau heißt, obschon ihr Mann Franzose ist, Persephone, eine andere, obschon kinderlos, Niobe. Ein Schiff ist die Gnosis, obschon wahre Christen das nicht so gern betreten dürften, die letzte Zuflucht im Erdinneren heißt Zion, Davids Stadt. Dort feiern sie eine Rave-Party wie die Bekenner in den Katakomben. Und Zions Tochter gar ist Trinity, was die Sache etwas heikel macht, denn der, so zu sagen, nachösterliche Neo, der Auferstandene, kuschelt mit dieser, der heiligen Dreifaltigkeit, von der er ja ein Teil ist. Aber die hat eh nie jemand wirklich verstanden.

Und dann suchen sie den Schlüsselmacher, obwohl der Merowinger ihnen nicht sagen will, wo er ist, bis der Neomessias den Architekten trifft, der vielleicht der Herr der Dinge ist. Das hat ihnen der Batman gesagt.

Diesen sich in die Breite verlaufenden Quark beiseite, bleiben die Bilder.

Und die leiden auch. Denn wenn die wirklich Guten gar nicht wirklich sterben Können, Neo Christ Superstar kann keine Ernährungsprobleme lösen, aber seine Freundin vom Tod erwecken, er kann nicht überm Wasser wandeln, aber fliegen , dann bedeutet dass alles nichts mehr. Wenn das böse Programm Mr. Smith sich hundertfach klonen kann, dann sind die Schlägereien damit zwar lustig, aber so spannend wie die 130-Minuten-Demo eines Computerspieles. Dieser Körperlosigkeit sucht der Film durch Design zu begegnen, viel schweres Eisen in Zion, schwere Zahnräder.

Zu der komplexen Vermarktungskampagne dieser Saga, die im November beendet wird, gehören Videospiele, für die von den Darstellern eigene Szenen gedreht wurden. Das Videospiel ist keine Ergänzung dieses Filmes, es ist seine eigentliche Existenzform.

Autor: Henryk Goldberg

Text geschrieben  2003

Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine