Das Schöne an Woody-Allen-Filmen ist, dass sie eigentlich keine sind. Sie sind nicht nur Produkte des gleichnamigen Drehbuchautors und Regisseurs, sondern in aller Regel auch Ensemble-Filme, Tummelplätze und Hinterzimmer von Schauspielern, die mit ihren Rollen (wie der Akteur Woody Allen selbst) eigene „Signaturen“ in den Filmen hinterlassen.

Darum war beispielsweise Schmalspurganoven (2000) sowohl ein Woody-Allen- als auch ein Tracey-Ullman-Film; einige der schönsten Szenen gehörten sogar ganz und gar Elaine May als schusseliger Keksverkäuferin und love-interest. Celebrity von 1998 musste vielleicht gerade deshalb so unkomisch und hölzern bleiben, weil der schmallippige Kenneth Branagh den Allen-Part übernommen hatte; weil das – zumindest in dieser Beziehung – tatsächlich mehr ein Kenneth-Branagh- als ein Woody-Allen-Film war.

„Ich bin smarter als Sie, ich bin schneller als Sie, ich bin stärker als Sie, ich kann verstehen, warum Sie Angst vor mir haben!“ Diesmal übergibt Woody Allen „seinen“ Film mindestens zur Hälfte an Helen Hunt, die sich ihm in jeder Beziehung als überlegen vorstellt. Sie heißt Betty Ann Fitzgerald und ist mehr als nur die neue Mitarbeiterin der New Yorker Versicherungsgesellschaft, in welcher der hausinterne Detektiv C.W. Briggs (Allen) den donnerhallenden Ruf eines notorisch Herzen brechenden Superschnüfflers genießt. „Fitz“ ist der weibliche Zerrspiegel einer von ihr ausdrücklich benannten „brüchigen Männlichkeit“; genau die Person also, bei der Briggs‘ Philip-Marlowe-Inszenierung desaströs endet, die wir schon von der ersten Sekunde an belacht hatten. Alles an diesem Film verweist auf das Jahr 1940, den Zeitpunkt der Geschichte, nur Woody Allen verweist auf Woody Allen, genauer gesagt: auf den Bruch zwischen ihm und seiner Rolle. Eigentlich ist Woody Allen in all seinen Filmen ein wandelnder Bruch.

Der brüchige Mann, der eben noch – „Ich bin ein großer Schnüffler!“ – für die Erschnüffelung eines gestohlenen Picasso gefeiert worden war, hasst die starke Frau, die (mit uns) in ihm immer nur den alten Woody sehen kann. Sie nennt ihn „schleimiges kleines Wiesel“, er empfiehlt ihr das „Gestapo-Restaurant“. Ein gegenseitiges Übereinkommen: „Sie sind zu alt und zu klein!“ – „Sie haben den besten Teil vergessen: Ich verliere meine Haare!“ Von diesem Zweikampf lebt Im Bann des Jade Skorpions, bis der Titel ins Spiel kommt und damit eine Varieté-Nummer des Magiers Voltan (David Ogden Stiers). Der hypnotisiert als speziellen Gag seines Auftritts die verhassten Briggs und Fitzgerald, auf dass sie bei Nennung ihrer Codewörter (Konstantinopel und Madagaskar) nicht nur in willfährige Trance, sondern auch noch in inbrünstige Liebe zueinander verfallen. Wenn das Sex gewesen ist, dann folgt darauf nun das obligate Verbrechen, denn Voltan setzt das Codewort „Konstantinopel“ fürderhin per Telefon ein, um Briggs zu nächtlichen Trance-Raubzügen bei reichen Versicherungsklienten zu instrumentalisieren. Dass dieser am nächsten Morgen nichts mehr davon weiß, versteht sich ebenso von selbst wie die sinnige Konsequenz, dass der Detektiv nun seine eigenen Diebstähle aufklären soll.

Das Über-Ich jagt sein Es, oder so ähnlich – was Film noir war (die psychologisch unterfütterte „Ein Mann auf der Jagd nach sich selbst“-Nummer), soll Komödie werden und bleibt es auch. Eine Femme fatale (Charlize Theron) meint, ein Tête-à-tête mit Briggs wäre für sie eine sehr interessante Erfahrung, weil sie normalerweise einen attraktiveren, athletischeren Männertyp kurzsichtigen Versicherungsbeamten vorziehe. Bald darauf rettet Briggs Fitz das Leben, als die sich wegen eines unglücklichen Techtelmechtels mit ihrem Boss Magruder (Dan Aykroyd) aus dem Fenster stürzen will – und spätestens in Fitzgeralds Wohnung ist dann nicht mehr zu leugnen, dass dieser Film noir ein perfide komponierter Film multicolore ist: Jedes Zimmer eine andere Blümchentapete, rosa überall, gerne auch grüne Strickkostüme. Ein rot-weiß gepunkteter Pyjama versetzt Freunden der düster-expressionistischen Bildgestaltung den ästhetischen Todesstoß.

Während im Hintergrund also Film noir erfolgreich niedergerungen wird, entspinnt sich weiter vorne jene Situationskomik, die aus der Hassliebe zwischen Fitz und Briggs sowie aus dessen unbewussten Missetaten erwächst, die ihn kurzzeitig sogar hinter Schloss und Riegel bringen. Ganz gleich, ob man das nun mit Screwball-Comedy oder eben Woody Allen assoziieren mag, kommt es hier auf das Timing der Gags an, bei dem Helen Hunt und Woody Allen ein gerechtes Unentschieden erstreiten. Am Ende gibt es dann noch ein schönes Eingeständnis, das eigentlich schon gar nicht mehr nötig gewesen wäre und zeitgenössischen, geriatrischen Helden wie Sean Connery gut zu Gesicht stünde. The last laugh is on me: Wenn Woody Allen schließlich die knapp 30 Jahre jüngere Helen Hunt abschleppen darf, dann nur Dank eines Zauberspruchs, der wahlweise Madagaskar oder eben Hollywood heißt.

Autor: Jan Distelmeyer

Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd film 11/ 01