Thrill auf engstem Raum: Joel Schumachers Telefon-Krimi

Joel Schumacher dreht seit Mitte der achtziger Jahre jährlich einen Film, manchmal auch zwei. Aber seit Falling Down – das war 1993 – ist er übers Mittelmaß nicht hinausgekommen und hat mit Produktionen wie Batman & Robin oder 8mm sogar schwere Flops abgeliefert. Phone Booth ist eine Überraschung: ein dichter Thriller um den irischen Star Colin Farrell, den Schumacher mit Tigerland bekannt gemacht hat.

Diese Kammer ist ziemlich hell. Durchsichtig ist sie und eigentlich gar nicht zum Schauen bestimmt, sondern zum Sprechen und Hören. Ein Ort der Moderne mit Alters- und Auflösungserscheinungen: Wie soll die alte Telefonzelle gegen das Handy bestehen, das prinzipiell – wie Colin Farrell gleich in den ersten Filmminuten mit seinem dynamischen Plaudergang über den Broadway vorführt – jeden Ort zur Telefonzelle, zur phone booth, machen kann? Ganz zu schweigen von den neuen Möglichkeiten der mobilen Telefone, die nicht länger nur Töne, sondern auch Bilder senden und empfangen können.

Gegen den Frontalangriff der Mobilität und Flexibilisierung wehrt sich die Telefon-Kammer, indem sie ihrerseits Hören, Sprechen, Sehen und Gesehen-Werden zusammenbringt. Zumindest könnte man auf diese Weise Joel Schumachers Thriller verstehen, wenn man die Telefonzelle in ihrer Titelrolle lässt und den Schritt von Phone Booth zum deutschen Verleihtitel Nicht auflegen! nicht mitgeht. Ein Ding, ein öffentlicher, begrenzter Raum wird Spielort und Hauptakteur zugleich – dieses Verfahren hat eine eigene Kinotradition und hat uns zu Genüge mit abstürzenden Flugzeugen, sinkenden Schiffen oder verrückt spielenden Fahrstühlen bekannt gemacht. Im Sinne dieser Tradition könnte man Phone Booth auch als Katastrophenfilm bezeichnen.

Die Katastrophe besteht darin, dass Colin Farrell als windiger “Medienberater” namens Stu zum Gefangenen der letzten abschließbaren Telefonzelle auf der 53. Straße in Manhattan wird. Während er sonst von dieser Stelle aus seine Geliebte Pamela (Katie Holmes) anzurufen pflegt, weil seine zu Recht misstrauische Ehefrau Kelly (Radha Mitchell) die Handyabrechnungen kontrolliert, verkehrt sich nun an diesem Ort das Machtspiel über Kontrolle und Entzug. Ein offensichtlich bestens informierter Irrer ruft Stu in der Zelle an, um ihm seine neue Situation mitzuteilen: Der Unbekannte hat ein Präzisionsgewehr auf sein Opfer gerichtet, Auflegen bedeutet Exekution, und nachdem ein gezielter Schuss den Ernst der Lage bestätigt hat, stellt die Stimme ihre Forderung. Stu soll alle seine Lügen, Ehebrüche und sonstigen Verfehlungen bekennen.

“My two-thousand dollar watch is fake, and so am I.” Bis es zu diesem Geständnis vor laufenden TV-Kameras, einer Menschenmenge und auf Stu gerichteten Polizeiwaffen kommt, hat sich das katastrophale Verhältnis von Hören, Sprechen, Gesehen-Werden, Sehen und Schießen zugespitzt. Ein Unbeteiligter ist erschossen worden, die Öffentlichkeit ist von der Schuld Stus überzeugt, und dieser darf weder auflegen noch von seiner Bedrohung erzählen, wenn ihm sein Leben lieb ist – oder wahlweise das seiner Frau oder seiner Geliebten, die inzwischen ebenfalls am Ort des Geschehens eingetroffen sind. “You get to choose between them: Pam – Kelly, Kelly – Pam, Bam-Bam!”

Die Ausweglosigkeit der Situation überträgt sich auf uns, weil wir keinen Wissens- oder Perspektiv-Vorsprung gegenüber Stu gewinnen. Phone Booth hat von Klassikern wie Hitchcocks Fenster zum Hof gelernt und unsere Perspektive mit der Colin Farrells verzahnt. Auch für uns materialisiert sich die Bedrohung im Hörer der Telefonzelle; ihre Konsequenzen sind Schussopfer in unmittelbarer Nähe. Der fixierte Fernsprechautomat wird zum Zentrum der Gefahr und Aufmerksamkeit; man könnte meinen, es ginge hier neben der öffentlichen Demütigung des Gefangenen ebenso um die Zurschaustellung der Zelle selbst. “I want your attention”, hatte die Stimme – das Telefon – Stus Frage nach dem Warum beantwortet.

So wird es sein. Schon zu Anfang hatte sich der Unbekannte als Serienkiller vorgestellt; doch erst nachdem jemand vor Stus und unseren Augen gestorben ist und der Erpresser sich als Attentäter erwiesen hat, erscheint der Titel des Films in einem neuen Licht. Phone Booth ist nicht nur der amerikanische Ausdruck für Telefonzelle, sondern verweist auch auf den Attentäter Abraham Lincolns, John Wilkes Booth. Die Prominenz dieses Namens, der nicht nur in In the Line of Fire als Pseudonym eines Serienkillers auftauchte, verstärkt den Subjektcharakter der Titelfigur. Dieses Telefon lebt – the name is Booth, Phone Booth.

Aus diesen Momenten von Verdichtung an einem Ort, der zudem wie ein dezidiert unheimliches Ding zu agieren scheint, wächst eine klassische und gleichzeitig höchst aktuelle Form von Thrill. Vielleicht der nächste Schritt, der – nach David Finchers Panic-Room-Paranoia – Hightech und Überwachung auf engstem Raum zusammenführt. Auf dem Höhepunkt der Spannung jedoch, wenn Stu unbemerkt per Handy – nun “kämpfen” beide Telefone gleichsam direkt gegeneinander – seine Zwangslage aufdeckt, lässt Phone Booth seine eigene Geschlossenheit fahren. Joel Schumachers Inszenierung und Larry Cohens Drehbuch einigen sich am Ende auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, indem sie sich dann doch ganz konventionell dem Körper des antagonistischen Scharfschützen zuwenden. Letztlich muss die Telefonzelle doppelt verlieren: Gegen das Handy, das klein, mobil und unauffällig die Rettung bringt, und gegen den Körper des Feindes, für den die Zelle nur ein Spielzeug unter vielen gewesen ist.

Autor: Jan Distelmeyer

Diese Kritik ist zuerst erschienen in: epd film 07/ 02