Napalm fürs Vaterland

Hollywood gewinnt für Amerika den Vietnamkrieg: Randall Wallace‘ Film „Wir waren Helden“

„Papi, was ist ein Krieg?“, fragt das Töchterlein vor dem Schlafengehen. Mel Gibson schlägt für einen kurzen Moment die Augen nieder. Ein Augenblick der Besinnung, aus dem die ganze Aufrichtigkeit, Entschlossenheit und Sorge des Familienvaters Lieutenant Colonel Hal Moore spricht. „Es ist etwas, das nicht geschehen sollte. Wenn Menschen versuchen, anderen Menschen das Leben zu nehmen, dann gehen Soldaten wie dein Daddy dorthin, um das zu verhindern.“ Zwei Filmstunden später wird Daddy aufrecht und entschlossen den Einsatz von Napalmbomben gegen den vietnamesischen Feind anfordern.

Randall Wallace‘ Wir waren Helden bestätigt als Fortsetzung der aktuellen Kriegsfilmwelle jenes Kinobild, das seit Spielbergs Der Soldat James Ryan zur unverrückbaren „Wahrheit“ geworden ist: Krieg ist ein von anderen Mächten ausgelöster Zustand, in den wir unschuldig hineingeraten. Eine Art pervertiertes Naturphänomen, das über seine Protagonisten hereinbricht wie der sprichwörtliche „Kugelhagel“ in der Eröffnung von Saving Private Ryan oder in vergleichbaren Szenen aus Jean-Jaques Annauds Duell – Enemy at the Gates oder John Woos demnächst anlaufendem Windtalkers. Auge in Auge mit der „Bestie Krieg“: Der Blick auf historische Hintergründe tritt hinter die subjektive Perspektive des Frontsoldaten. „So fühlt sich das an, wenn Daddy im Krieg ist“, brüllt uns die seit Spielberg notorisch bewegliche Kamera im Schlachtgetümmel entgegen, auf die schon mal Blut und Dreck spritzt, wenn sie zwischen Schüssen und Schreien an abgetrennten Extremitäten und aufgesprengten Bäuchen vorbeihetzt. Dazwischen, ein Fels in der Brandung, steht aufrecht Colonel Moore.

Warum also sollten wir uns über Wir waren Helden aufregen? Nichts daran ist neu, wenn Kamera und Ton eine authentische Körpererfahrung simulieren und das Publikum zur Identifikation auffordern. Es ist auch keine Überraschung, dass sich bei Moore und seinen Untergebenen, frei nach Ernst Jünger, wahre Kameradschaft erst im Angesicht der Bestie erweist. Doch was diesen Film so verlogen und zum Tiefpunkt des zeitgenössischen Kriegskinos macht, hat nicht allein mit der aufgeladenen Ikonografie zu tun. Es ist vielmehr die Kombination von Heldentum, Kriegsszenario und seinem Schauplatz: Vietnam. In der langen Geschichte des Vietnamkriegfilms hat es noch nie einen derart untadeligen Staroffizier wie den Superdaddy Colonel Moore gegeben. Ein Mann mit Humor, Familie, Moral, Bildung, Zweifeln an „den Politikern“, Ehrgefühl und noch dazu mit einer Frau (Madeleine Stowe), die während des Einsatzes die Soldatenbräute an der Heimatfront betreut.

Als Moore von nordvietnamesischen Soldaten eingekesselt wird, fragt er im Angesicht des Todes seinen alten Waffenbruder Plumley, wie sich wohl General Custer in der aussichtslosen Schlacht gegen die Indianer gefühlt habe. „Sir“, lautet Plumleys knappe Antwort, „Custer war ein Schlappschwanz, Sir – Sie nicht!“ Und weil Moore eben kein Schlappschwanz ist, sondern der Mann, der nach John Wayne in Die Grünen Teufel (1968) und Sylvester Stallone in Rambo II (1986) den verlorenen Vietnamkrieg für die USA gewinnen wird, dreht sich der Spieß um. Mit dreister Metaphorik werden die eingekesselten, gleichsam vom Aussterben bedrohten US-Truppen kurzerhand zu Indianern umdefiniert – Kommando „Häuptling Crazy Horse“. Nach dieser Umwertung traut sich Wir waren Helden auch den letzten Schritt: Zum ersten Mal werden amerikanische Napalmbomben zum Heilsbringer. Sie sind die Rettung in einem Krieg, den kein Amerikaner gewollt hat, aber der hier fürs Erste gewonnen werden kann. Als Offizier und Familienvater hat Mel Gibson damit offiziell jenen Traum verwirklicht, der in Rambo II nur nachträglich durch einen Außenseiter hatte geträumt werden dürfen.

Vielleicht aber ist der traurigste Aspekt dieses Films gar nicht sein Verhältnis zur Geschichte des Vietnamkriegs, sondern sein Verhältnis zur Gegenwart. Eine eigene Geschichte mit einer eigenen Moral: Wir waren Helden gehört zu einer genreübergreifenden Entwicklung, die seit einiger Zeit das Gegenteil dessen feiert, wofür man Hollywood lieben lernte. Denn das Wunderbare am Hollywood-Kino lag nicht zuletzt darin, innerhalb streng gesetzter Genrerahmen Raum für Überraschungen, Innovationen, Selbstreflexivität und bisweilen sogar Subversives zu entwickeln. Gerade diese Freiheit wird derzeit nicht nur in den Kriegsfilmen zerstört, sondern auch in konservativen Melodramen und Familienfilmen von Das Glücksprinzip über Family Man bis zu A Beautiful Mind und Das Haus am Meer. Auch an der Familienfront winkt die Rückkehr zu anachronistischen Geschlechterrollen und stupider Ordnung. Ganz zu schweigen vom Science-Fiction-Genre, das mit reaktionären Remakes ein Loblied auf Massenvernichtungswaffen anstimmt. Insofern ist Mel Gibsons heldenhafte Einäscherung Vietnams umso schwerer zu ertragen, als sie ganz selbstverständlich einem aktuellen Trend folgt.

Autor: Jan Distelmeyer

Diese Kritik ist zuerst erschienen in: Die Zeit 06/ 02